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Juso-Chef Kevin Kühnert wird von der Parteiführung in Schutz genommen.
© Ralph Orlowski/REUTERS

Linkes Bündnis: Kühnert eröffnet die Option Grün-Rot-Rot

Befürworter eines Linksbündnisses fühlen sich ermutigt – die Koalitionsoption aus Grünen, SPD und Linken wird wieder spannender

Die Kritik an Juso-Chef Kevin Kühnert mag in den vergangenen Tagen lautstark und teils heftig gewesen sein – für den 29-Jährigen war es eine „lehrreiche Beobachtung“, wie er kürzlich auf Twitter schrieb: „Ringen die Gesellschaft und ihre demokratischen Parteien um Wohlstandsverteilung, soziale Gerechtigkeit, Marktmacht und Daseinsvorsorge, dann ist die AfD abgemeldet.“ Tatsächlich redet derzeit keiner über die AfD, seitdem der Juso-Chef mit seinen Thesen zum „demokratischen Sozialismus“ und zu einer möglichen „Kollektivierung“ von BMW für Furore gesorgt hat.

Die SPD dürfte es freuen. Ein weiterer Nebeneffekt der Debatte um Kühnerts Vorschläge: Während der wirtschaftsliberale Flügel vor einem gefährlichen Dammbruch warnt, sehen sich die Linken in der SPD bestärkt. „Gut, dass Kevin Kühnert die Debatte angestoßen hat“, heißt es dort.

Selbst in der SPD-Führung trifft Kühnert auf Verständnis. Mit Zurechtweisungen hält man sich im Willy-Brandt-Haus auffallend zurück. Kurz vor der Europawahl und die Bürgerschaftswahl in Bremen freuen sich die Genossen eher über die panischen Reaktionen beim politischen Gegner.

„Entspannter mit Kevin Kühnert umgehen“

„Ich bin ganz und gar dafür, dass man etwas entspannter mit den Äußerungen von Kevin Kühnert umgeht“, sagt die stellvertretende Parteivorsitzende Malu Dreyer dem Tagesspiegel auf der re:publica-Konferenz. „Selbstverständlich trifft er nicht den Nerv aller Sozialdemokraten und ich finde auch seine Forderungen nicht richtig.“ Er sei der Juso-Vorsitzende und dazu da, auch grundsätzliche Themen der SPD polarisierend anzusprechen. Man solle das nicht überbewerten. „Verstaatlichung von Unternehmen ist natürlich nicht mein Weg, nicht unser Weg. Aber dass wir über die Grundsatzfragen reden, das ist gewünscht.“

So sieht es auch Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und selbst SPD-Mitglied. Kühnerts Thesen hält er für einen „wichtigen Debattenbeitrag“ – und nicht für einen Grund, nicht mehr SPD zu wählen, wie BMW-Betriebsratschef Manfred Schoch kürzlich gesagt hatte. Nach einem Treffen mit rund 300 Personal- und Betriebsräten in der SPD-Bundestagsfraktion, an dem am Montag auch Parteichefin Andrea Nahles teilnahm, sagte Hoffmann: „Wenn ein Juso-Vorsitzender eine Aussage macht, die durchaus gewisse Beachtung erzielt hat, dann kann es noch nicht bedeuten, dass ich die gesamte SPD damit in Sippenhaft nehme.“ Nicht „ängstlich nervös“ sollte die Partei damit umgehen, sondern selbstbewusst. Auch deutete Hoffmann an, dass grundsätzlich etwas dran sei an den Aussagen des Juso-Chefs: „Wir erleben doch gerade, dass dieser Kapitalismus aus den Fugen gerät.“

Die SPD-Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis vom linken Flügel der Partei will jetzt „den Moment nutzen“. „Wir müssen deutlich machen, dass wir Politik im Sinne eines demokratischen Sozialismus durchsetzen wollen, das gilt insbesondere in der Pflegepolitik und der Gesundheitspolitik“, sagt sie. „Viele Krankenhäuser wurden nun von privaten Investoren betrieben, die an ihren Profit denken. Wir müssen die Krankenhäuser in Deutschland wieder in öffentliche Verantwortung nehmen.“

Im linken Lager anschlussfähig

Solche Ideen sind vor allem im linken Lager anschlussfähig – und könnten eine Arbeitsgrundlage für neue rot-rot-grüne Bündnisse (kurz R2G genannt) sein. Kommende Woche wollen sich jeweils fünf Vertreter von SPD, Grünen und Linken in Berlin treffen, um darüber zu diskutieren. Der SPD-Politiker Frank Schwabe, einer der Mitbegründer des R2G-Gesprächskreises sagt: „Kühnert hin oder her. Es gibt sowieso eine neue Fantasie durch die Umfrageergebnisse, aber auch gewisse Ernüchterung bei anderen Projekten.“

Den Umfragen zufolge wäre derzeit wohl eine Variante am wahrscheinlichsten, bei der die Grünen den Kanzler stellen G2R müsste das dann wohl heißen. Bei den Grünen gibt es Bewegung in diese Richtung, zumal man mit Schaudern sieht, dass sich die Union im Dickicht der CO2-Steuer verheddert und beim Klimaschutz am liebsten auf ein „Weiter so“ wie bisher setzen würde. Grünen-Chefin Annalena Baerbock hat außerdem einen guten Draht zu Linken-Chefin Katja Kipping, zudem scheint mit dem Rückzug von Sahra Wagenknecht dort zunehmend das gemäßigte Lager an Gewicht zu gewinnen.

Engagierter Klimaschutz mit Jamaika oder der CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer sei halt so eine Sache, sagt Schwabe. „Unabhängig von der Kühnert-Debatte gibt es ein neues Verständnis eines helfenden Sozialstaats. Und wenn man den Sozialstaat entsprechend weiterentwickeln will, dann geht das nach Lage der Dinge eben nur mit Rot-Rot-Grün. Und jetzt muss man es dann auch einfach mal machen.“

Allerdings sind die Grünen deutlich zurückhaltender beim Thema staatliche Eingriffe oder Enteignungen, als zum Beispiel Kühnert – sie sehen das nur als letztes Mittel an, wenn zum Beispiel Immobilien oder Bauland allein zu Spekulationszwecken benutzt werden. Plötzlich weht der Zeitgeist irgendwie wieder weiter links- und lässt eine schon totgeglaubte Option bei allen Differenzen gerade mit der Linken (Stichwort Europapolitik, Haltung zu Nato und Kriegseinsätzen) wieder neu auferstehen.

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