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Hält nicht viel vom Klimapaket: Michael Kretschmer (CDU) ist Ministerpräsident von Sachsen.
© Michael Kappeler/dpa

„Inländer-Diskriminierung“: Kretschmer verwendet einen rechtlichen Begriff falsch

Der sächsische Ministerpräsident kritisiert Teile des Klimapakets und spricht von „Inländer-Diskriminierung“. Was seine Äußerung zur Folge haben könnte.

Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hat sich zum geplanten Klimakompromiss der Großen Koalition geäußert: „Ich empfinde das Klimapaket an vielen Stellen als Inländer-Diskriminierung“, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Als Beispiele nennt er den geplanten nationalen CO2-Zertifikate-Handel, den deutschen Kohleausstieg sowie die geplante Erhöhung der Luftverkehrssteuer.

Kretschmer verwendet einen rechtlichen Begriff, jedoch falsch: Inländer-Diskriminierung bezeichnet die Besserbehandlung von EU-Ausländern in Deutschland. Sie betrifft etwa Handwerker, die in anderen EU-Ländern ihre Ausbildung absolviert haben und in Deutschland arbeiten.

Was das bedeutet, erläutert der Europarechtler Stefan Lorenzmeier von der Universität Augsburg an einem Beispiel: „In Polen ausgebildete Arbeiter dürfen theoretisch in Deutschland alles tun, wofür deutsche Unternehmer einen Meistertitel benötigen.“ Für Letztere gilt der Meisterzwang, den die deutsche Handwerksordnung vorschreibt. Handwerker, die in anderen EU-Staaten ausgebildet wurden, müssen sich jedoch nicht an das Gesetz halten.

Diskriminierungsverbot ermöglicht Diskriminierung

Diese Ungleichbehandlung ist legal wegen des in der Europäischen Union geltenden Diskriminierungsverbots. Demzufolge dürfen EU-Ausländer in den Mitgliedsstaaten nicht schlechter behandelt werden als Inländer. Deutschland dürfe Inländer jedoch schlechter behandeln als EU-Ausländer, sagt Rechtswissenschaftler.

Was hat der Begriff "Inländer-Diskriminierung" nun mit dem Klimapaket zu tun? Nicht viel. Lorenzmeier zufolge benutzt der sächsische Ministerpräsident einen rechtlichen Begriff eher als politisches Schlagwort. Dass man bei den Maßnahmen des Klimapakets von Inländer-Diskriminierung sprechen kann, bezweifelt er. Denn kommt das Klimapaket, gelten seine Regelungen für alle Menschen in Deutschland. Die Herkunft hat keinen Einfluss darauf, wie viel man an der Tanksäule zahlt oder dem Stromanbieter sowie der Fluggesellschaft überweist.

Was Kretschmer also vermutlich meint: Für Deutschland entsteht durch das Klimapaket ein Wettbewerbsnachteil. Wenn Deutschland einen höheren CO2-Preis einführt als die anderen EU-Mitgliedstaaten, müssten Hersteller in Deutschland mehr Geld für Benzin zahlen als in Italien oder Spanien.

Dass der sächsische Ministerpräsident wirklich eine Debatte über den innereuropäischen Wettbewerb anstoßen will, geht jedoch nicht aus seiner Äußerung hervor. Vielmehr regt er an, dass sich Deutschland beim Klimaschutz auf weniger ambitionierte EU-Regelungen verlassen sollte, statt sich darüber hinaus anzustrengen: „Ich kann nicht verstehen, warum wir über die Regelungen hinausgehen, die uns die EU vorgibt.“

Sonst, so meint er wohl, würde sich Deutschland gegenüber anderen Ländern benachteiligen. Mit der Definition von "Inländer-Diskriminierung" hat das aber nichts zu tun.

Eine populistische Argumentation

Kretschmers Vorstoß scheint so eher ein Fingerzeig auf eine klimapolitische Hintertür zu sein, die auch die AfD benutzt. Sie lehnt Maßnahmen der deutschen Bundesregierung zur Bekämpfung des Klimawandels ab. Deutschland stoße schließlich nur einen Bruchteil der weltweiten CO2-Emissionen aus. Folglich sollten erst große Emittenten wie China und die USA weniger Treibhausgase ausstoßen, bevor in Deutschland die Kohlekraftwerke abgeschaltet werden oder der Verbrennungsmotor abgeschafft wird.

Der CDU-Politiker benutzt eine populistische Argumentation, die in der Vergangenheit bei vielen Bürgern oft erfolgreich war: Deutschland werde in der EU gegenüber den anderen Mitgliedsstaaten benachteiligt oder sogar ausgenutzt. Der sächsische Ministerpräsident distanziert sich mit seiner Äußerung deutlich von dem Klimakompromiss, den seine Partei mitausgehandelt hat – ein Signal nicht nur an rechte Wähler, sondern auch an die Spitze der CDU.

Mit "Inländer-Diskriminierung" im Sinne des rechtlichen Begriffs hat das alles nichts zu tun.

Eva Przybyla

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