Debatte über Verteidigungsausgaben: Kreative Buchhaltung für Nato-Zweifler Trump
Außen- und Verteidigungspolitiker warnen davor, den Streit um die Nato-Verteidigungsausgaben zum Wahlkampfthema zu machen. Derweil machen neue Ideen zur Erreichung des Zwei-Prozent-Ziels die Runde.
Der von US-Präsident Donald Trump angezettelte Streit über die Lastenverteilung innerhalb der Nato ist im deutschen Wahlkampf angekommen. Der neue SPD-Vorsitzende Martin Schulz reagierte direkt nach seiner Wahl am Sonntagabend auf Äußerungen des CDU-Präsidiumsmitglieds und Staatssekretärs im Finanzministerium, Jens Spahn, der dafür plädiert hatte, die Bundesregierung solle zugunsten der Verteidigungsausgaben auf Erhöhungen bei Sozialleistungen verzichten. „Sozialleistungen auf der einen Seite zu kürzen und dafür 20 Milliarden Euro mehr in die Rüstung zu stecken“, dazu sei er nicht bereit, sagte Schulz. Die Außen- und Verteidigungspolitiker der Koalitionsfraktionen sind alarmiert.
Norbert Röttgen (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, warnte die SPD davor, den Verteidigungsetat innenpolitisch auszuschlachten. „Das sollte Herr Röttgen vor allem in seiner eigenen Partei verbreiten“, kontert der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Wolfgang Hellmich (SPD). Aufgeworfen habe die Debatte schließlich der CDU-Politiker Spahn. Doch auch Hellmich mahnt: Verteidigungsausgaben hätten im Wahlkampf nichts zu suchen. „Es geht um unsere internationale Reputation“, sagte er dem Tagesspiegel.
Zwei Prozent: Ohne Rechenspiele "illusorisch"
Die Vereinbarung der Nato-Partner 2014 in Wales, ihre Verteidigungsausgaben bis 2024 auf „einen Richtwert“ von zwei Prozent der jeweiligen Bruttoinlandsprodukte (BIP) „zuzubewegen“, wie es in der Abschlusserklärung heißt, regt indes seit Wochen die kreative Phantasie im politischen Berlin an. Derzeit erreicht der deutsche Verteidigungsetat 1,23 Prozent des BIP. Um ihn auf zwei Prozent hochzuschrauben, müssten bis 2024 rund 20 Milliarden Euro zusätzlich investiert werden. „Illusorisch“ nennen das Politiker aller Parteien. Schon kurz nachdem Trump Deutschland an seine Zusage aus dem Jahr 2014 erinnerte, kam daher die Idee auf, die Ausgaben für Entwicklungsprojekte in das Zwei-Prozent-Ziel einzurechnen. „Was wir für den Aufbau und die Stabilität von Krisenstaaten tun, dient auch der Friedenssicherung“, sagt SPD-Politiker Hellmich. Außenminister Sigmar Gabriel (SPD), Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und andere in der Koalition argumentieren genauso. Auch bei ihrer Pressekonferenz mit Trump in Washington, als sich Merkel klar zur Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels bekannte, erwähnte sie im Nachsatz die Bedeutung der Entwicklungshilfe.
Trump reagierte darauf nicht und verstieg sich zu der Behauptung, Deutschland schulde der Nato Geld. In die Nato wird aber gar kein Geld eingezahlt. Und so bezieht sich auch das Zwei-Prozent-Ziel nicht etwa auf Ausgaben für die Nato, sondern auf die Verteidigungsausgaben der Mitgliedsstaaten insgesamt. Für deren Berechnung tun sich in Berlin nun ebenfalls neue Interpretationsspielräume auf. So will Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) „natofähige“ Ausgaben anderer Ressorts berücksichtigt sehen. Laut Verteidigungsministerium zählen dazu unter anderem Minenräumprojekte, die das Auswärtige Amt finanziert, sowie die Ausgaben für den Wehrbeauftragten des Bundestages und Versorgungsausgaben für ehemalige NVA-Soldaten. Alles in allem kommen so noch einmal 2,5 Milliarden Euro zusammen, was für die BIP-Quote jedoch kaum etwas bringt.
Nato-Engagement nicht nur finanziell betrachten
Zusätzlich hat die findige Ministerin einen Aktivitätsindex ins Spiel gebracht. Nato-Mitglieder sollen nicht nur nach ihren Rüstungsinvestitionen beurteilt werden, sondern auch danach, was sie „tatsächlich in laufende Einsätze“ einbringen. Deutschland sei immerhin zweitgrößter Truppensteller innerhalb der Nato, argumentiert das Verteidigungsministerium. Der größte Truppensteller sind freilich die USA – und das stört Trump. Die USA hätten ihre Kräfte überdehnt, erläutert Hellmich. Außerdem wollten sie sich stärker auf den asiatischen Raum konzentrieren. Dass Deutschland und andere Nato-Partner künftig mehr leisten müssen, ist für ihn daher keine Frage. Das starre Zwei-Prozent-Ziel sei aber wenig hilfreich: „Wir müssen uns fragen: Was wollen wir leisten und was brauchen wir dafür. Danach müssen unsere Planung ausrichten.“
Ulrike Scheffer