Vorstoß von AKK zu Nordsyrien: Kramp-Karrenbauer wagt den höchsten Einsatz
Die Verteidigungsministerin fordert einen Stabilisierungseinsatz, die Bundeswehr müsste mitmachen. Das ist mutig, aber sehr riskant. Ein Kommentar.
Der Vorstoß der Verteidigungsministerin für einen internationalen Stabilisierungseinsatz in Nordsyrien ist überraschend, irritierend, elektrisierend. So etwas hat die deutsche Politik lange nicht gesehen. Denn diese Idee fordert die Nato heraus, den Bundestag, die Koalition. Annegret Kramp-Karrenbauer wagt den höchsten Einsatz, für sich, die Bundesregierung, die Bundeswehr. Mehr geht nicht. Richtig: Sie kann nicht mehr als verlieren. Aber dann alles.
Die Union, ihre Union, versammelt sich einstweilen hinter ihr. Die Kanzlerin auch – sagt die Ministerin. Mindestens widerspricht Angela Merkel nicht. Was heißt, dass sie AKK gewähren lässt. Es ist doch so: Wenn ihre Nachfolgerin im CDU-Vorsitz sich durchsetzt, straft sie alle Lügen. Von wegen, sie kann es nicht – dann kann Kramp-Karrenbauer Kanzlerin werden. Sogar schneller als gedacht. Weil sie sich bewiesen hat.
„All in“, würde man beim Poker sagen. Das ist mutig. Aber ist es auch vernünftig? Es darf keiner auf die Idee kommen, AKK spiele um ihrer selbst willen mit dem Leben der ihr anvertrauten Menschen. Doch wenn Deutschland international so weit geht, kann es nicht beiseite stehen. Dann muss die Bundeswehr mitmachen und auch bereit sein zur Führung. 40.000 Soldaten sind nötig, um die Pufferzone zu sichern und eine humanitären Katastrophe zu verhindern. Ein paar hundert reichen nicht, und dass die Bundeswehr ein Lazarett betreibt, ist nicht genug. Wenn es so käme, dann wäre Engagement bis hin zur kämpfenden Truppe am Boden gefordert. Bis hin zu tödlichen Kämpfen. Bis hin zum: Krieg.
Kein Wunder, dass der Außenminister aufgeschreckt wird
Das führt zu einer völligen Neuausrichtung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Kein Wunder, dass der Koalitionspartner erschreckt ist. Aber auch kein Wunder, dass der Außenminister aufgeschreckt wird; von ihm wäre ein solche Initiative niemals zu erwarten. Die Verteidigungsministerin will dagegen Schluss machen mit der Vorstellung, dass dieses Deutschland, stärkster Partner in Europa und einer der stärksten in der Nato, bei internationalen Krisen nur zuschaut. Und dass Deutschland, wenn es ernst wird, die Partner vorschickt. Diese Haltung könnte bei den Franzosen und Briten verfangen – sie könnten die Bundesregierung beim Wort nehmen. Davonstehlen ist dann, wenn diese beide zustimmen nicht. Nicht mehr. Jedenfalls nicht ohne weltweiten Reputationsverlust.
Was den Bundestag unter größten Zugzwang brächte, die Bundeswehr, eine Parlamentsarmee, zu entsenden. Und die wäre auf Jahre gebunden, mit Menschen, mit Material, mit Geld. In ihrer bedrängten Situation eine solche Herausforderung – das kann gefährlicher werden als Afghanistan.
Frechheit siegt? Das mag ein gutes Motto fürs Saarland sein
Kramp-Karrenbauer spricht selbst von offenen Fragen. Sie verwehrt sich kritischen Nachfragen nicht. Denn der Grundgedanke, die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) weiter zu bekämpfen, die Lage in der Region zu stabilisieren und eine Rückkehr von Flüchtlingen zu ermöglichen, muss vor jedem Beginn schon weitergedacht werden – bis zum Ende: Wann und wie kommt die Armee aus Syrien wieder heraus?
Die Verteidigungsministerin und CDU-Vorsitzende geht höchstes Risiko. AKK hat den Vorstoß mit einer Medienoffensive begleitet, was besagt, dass ihr diese Einschätzung bewusst ist; dass sie die sogar gewollt hat. Weil das alles auf einmal ist: Ein großer politischer Aufschlag – dazu außenpolitisch, wo sie nicht profiliert ist –, der ein binnenpolitischer Befreiungsschlag werden soll. Den Druck, unter dem sie steht, so zu beantworten – mit Druck, zeigt, warum Merkel in Kramp-Karrenbauer eine Nachfolgerin erkannt hat.
Frechheit siegt? Das mag ein gutes Motto fürs Saarland sein. Auf diesem großen Terrain verbietet es sich. Dieser Vorstoß darf keine Idee von Zauberlehrlingen um AKK herum gewesen sein, damit sie endlich Statur gewinnt, koste es, was es wolle. Eben nicht. Menschenleben sind zu kostbar.