Machtfrage auf dem CDU-Parteitag: Kramp-Karrenbauer hat sich Luft verschafft
Die CDU-Chefin beendet ihre Parteitagsrede mit einer Kampfansage. Friedrich Merz tut sich dagegen schwer.
Die Kampfansage hat sich die CDU-Chefin für den Schluss ihrer Rede aufgehoben. Anderthalb Stunden hat Annegret Kramp-Karrenbauer auf dem Parteitag in Leipzig gesprochen, immer wieder Applaus bekommen. Doch jetzt will sie es wissen. Die CDU-Chefin ruft: Wenn die Partei ihren Weg nicht mitgehen wolle, „dann lasst es uns heute aussprechen. Dann lasst es uns heute auch beenden.“ Wenn die Partei aber der Meinung sei, „dass wir gemeinsam diesen Weg gehen sollten, dann lasst uns hier und jetzt und heute die Ärmel hochkrempeln.“
Nach Monaten der Kritik an ihrer Person stellt AKK die Machtfrage. Die Botschaft: Ihre Kritiker sollen sich entweder auf diesem Parteitag hervorwagen oder auch in Zukunft schweigen. Mit diesem Schachzug will sie ihren Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen. Ein Jahr, nachdem sie zur CDU-Chefin gewählt wurde, versucht Annegret Kramp-Karrenbauer den Befreiungsschlag.
Die CDU-Chefin weiß: In der Aussprache nach ihrer Rede will sich auch Friedrich Merz zu Wort melden, ihr alter Rivale im Kampf um den Parteivorsitz. Gut ein Jahr ist er nun her, der legendäre Parteitag in Hamburg: AKK und Merz gehen gegeneinander in die Stichwahl. Viele rechneten damit, dass Merz das Rennen machen würde, doch er hielt eine schwache Rede und erreichte viele Delegierte nicht. AKK dagegen traf genau den richtigen Ton. Mit 51 Prozent der Stimmen gewann sie das Rennen und hatte doch fortan eine gespaltene Partei zu führen.
Anfangs schien ihr das zu gelingen. Initiativen wie das Werkstattgespräch zum Thema Migration kamen auch bei Merkel-Gegnern gut an. Doch nach ihrem verunglückten Karnevalswitz über Toiletten für das dritte Geschlecht war es mit ihrem glücklichen Händchen vorbei, es folgte Patzer auf Patzer. Wirtschaftsflügel und Parteinachwuchs machten aus ihrer Bewunderung für Friedrich Merz keinen Hehl.
Vor einigen Wochen nach der Landtagswahl in Thüringen stellte JU-Chef Tilman Kuban in der CDU-Vorstandssitzung die Führungsfrage. Der Parteinachwuchs sprach sich dafür aus, eine Urwahl über die Kanzlerkandidatur durchzuführen – ein Affront gegen Kramp-Karrenbauer.
Kramp-Karrenbauer muss zeigen, dass sie die CDU noch begeistern kann
In ihrer Rede in Leipzig muss die CDU-Chefin nun zeigen, dass sie die Partei noch begeistern kann. Sie entwirft zunächst zwei Zukunftsvisionen. Eine düstere von einem abgehängten Deutschland, das nur noch „verlängerte Werkbank“ für andere Industrienationen ist. Und eine wünschenswerte, in der Deutschland bei der Pisa-Studie auf dem ersten Platz landet, staatliche Dienstleistungen auf dem Smartphone funktionieren und die Bundesrepublik mit technischen Innovationen Probleme in aller Welt löst. „Die Zukunft ist offen“, rief sie.
In ihrer Rede schlägt Kramp-Karrenbauer einen Bogen von Digitalisierung über Umweltpolitik bis hin zu Verteidigung und Sozialem.
- Sie spricht sich gegen einen Ausschluss des chinesischen Huawei-Konzerns vom Ausbau des 5G-Mobilfunknetzes aus. „Die entscheidende Frage ist: Haben wir Sicherheitsstandards definiert und können wir sicherstellen, dass diese garantiert sind? Wenn das der Fall ist, kann man ein Unternehmen zulassen.“
- Die CDU-Chefin fordert ein Digitalministerium. Das sei der „Nukleus“, um die Digitalisierung in Deutschland voranzubringen.
- Sie attackiert den Koalitionspartner. Der größte Unterschied zur SPD sei: „Wir wollen Wohlstand für alle aber nicht Wohlfahrt für alle. Nicht jeder ist ein Bedürftigkeitsfall in Deutschland.“ Leistungen des Sozialstaats müssten auf den Prüfstand, sie dürften nicht mit der Gießkanne verteilt werden. Kramp-Karrenbauer spricht von einem „TÜV“ für Sozialausgaben. „Die Unterstützung muss zielgerichteter bei denen ankommen, die sie wirklich brauchen.“
- Sie kritisiert die Langsamkeit der Bundesrepublik – etwa beim Bauen. „Wir arbeiten uns mühsam durch den Dschungel der Bürokratie, den wir selbst aufgesetzt haben.“ Es brauche einen maximal intensiven Bürokratieabbau. „Entweder wir legen den oder wir bleiben in diesem Dschungel stecken.“
- Die CDU-Chefin attackiert Parteikollegen, die ständig die Errungenschaften der Regierung schlecht redeten. „Das ist keine erfolgreiche Wahlkampfstrategie“, ruft sie. Das kann durchaus als Seitenhieb auf Friedrich Merz verstanden werden.
Nach ihrer Rede, abgeschlossen mit der scharfen Kampfansage, spenden ihr die Delegierten minutenlang stehend Beifall. Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer sagt: „Der Applaus zeigt, heute wird nicht Schluss gemacht.“
Es fällt ihrem Rivalen Friedrich Merz denn auch erkennbar schwer, darauf zu reagieren. Vor ihm sind erst einmal Gesundheitsminister Jens Spahn und Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner an der Reihe. Merz bedankt sich dann bei Kramp-Karrenbauer für eine „kämpferische und mutige Rede“. Da hätten auch kritische Töne nicht gefehlt. Auf Kramp-Karrenbauers Machtfrage geht Merz nicht ein.
Die CDU, sagt Merz, werde ihre Grundsatzentscheidung über ihre künftige Aufstellung erst im Dezember 2020 treffen. Dabei lässt er offen, ob er damit die Personalentscheidung über einen Unions-Kanzlerkandidaten oder das Grundsatzprogramm der Partei meint. „Wir sind am Anfang dieses Prozesses und ganz gewiss nicht am Ende“, sagt Merz. Ihm werden noch immer Ambitionen auf eine Kanzlerkandidatur nachgesagt. Insofern kann diese Ansage auch als verklausulierte Drohung verstanden werden.
Friedrich Merz will Bereitschaft zur Zusammenarbeit demonstrieren
Doch ähnlich wie schon vor einem Jahr in Hamburg mag der Funke zum Publikum nicht so recht überspringen. Merz zieht Vergleiche zur SPD: „Die Sozialdemokraten sind strukturell illoyal und wir sind loyal. Zu unserer Vorsitzenden und zur Bundesregierung“. Ein erstaunlicher Satz angesichts seiner jüngsten Kritik. Doch Merz will offenbar seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit demonstrieren. Er will als einer dastehen, dem der Zusammenhalt in der Partei wichtig ist.
Annegret Kramp-Karrenbauer kann nun mit der Wirkung ihrer Rede durchaus zufrieden sein. Die CDU-Chefin hat sich Luft verschafft. Die Frage ist nur, wie lange die reicht.
Maria Fiedler