Wahl in Schweden: Konservative zittern um die Macht
Einen Monat vor den Wahlen in den Schweden führt die linke Opposition klar Premier Reinfeldt versucht nun, durch einen humanitären Appell zu punkten.
Da war er wieder, der große Taktiker Fredrik Reinfeldt. Vier Wochen vor den Parlamentswahlen am 14. September appellierte der schwedische Ministerpräsident eindringlich an die Bevölkerung seines Landes: „Öffnet eure Herzen für alle, die aus Angst um ihr Leben zu uns fliehen.“ Die humanitäre Großmacht Schweden, sagte der 48-Jährige, müsse ihre Tradition von Toleranz und Offenheit fortführen. Damit setzte Reinfeldt überraschend ein neues Thema auf die Tagesordnung, das im Wahlkampf seiner konservativen Partei „Moderaterna“ bis dato keine Rolle gespielt hatte: die Flüchtlingspolitik. Reinfeldt suchte ein Thema, das die Richtung des gegenwärtigen Wahlkampfes ändert.
Der läuft nämlich nicht gut für die Koalition aus Konservativen, Liberalen, Christdemokraten und dem landwirtschaftsnahen Zentrum, die die Geschicke Schwedens in einer stabilen Minderheitsregierung seit acht Jahren lenkt. Nach jüngsten Meinungsumfragen liegt die Regierungskoalition fast elf Prozent hinter der linken Opposition aus Sozialdemokraten, Grünen und Linkspartei, die mit mehr als 49 Prozent der Stimmen klar führt. Mit seinem deutlichen Bekenntnis zu einer liberalen Migrationspolitik will Reinfeldt der Opposition den Wind aus den Segeln nehmen. Sie wirft der Regierung vor, mit ihrer massiven Steuersenkungspolitik bei gleichzeitig drastischer Kürzung von Arbeitslosen- und Krankengeld an den Grundfesten der schwedischen Gesellschaft – Gleichheit und Solidarität – gerüttelt zu haben. Unter Reinfeldt, so lautet die Kritik, sei Schweden ein kälteres Land geworden.
Schweden nimmt bereits viele Migranten auf
Allerdings wäre es unfair, Reinfeldts Appell zur Aufnahme von mehr Flüchtlingen als reine Taktik abzutun. Die bürgerlich-liberale Minderheitsregierung hat konsequent eine für europäische Verhältnisse großzügige Migrationspolitik verfolgt, teilweise sogar mit Unterstützung der oppositionellen Grünen. Nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen UNHCR nimmt Schweden von allen europäischen Ländern, gemessen an der Einwohnerzahl von 9,5 Millionen, nach Malta die meisten Flüchtlinge auf. Doch Reinfeldts Appell hatte noch einen Nachsatz. Mit der Zuwanderung, sagte der Konservative, seien kurzfristig zunächst einmal erhebliche Kosten verbunden. „Deshalb machen wir in diesem Wahlkampf auch keine Versprechen, denn dafür gibt es keinen finanziellen Spielraum.“
Die Botschaft ist klar: Während die Konservativen für wirtschaftliche Stabilität stehen, gefährde die linke Opposition mit teuren Wahlgeschenken leichtsinnig den Haushalt. Tatsächlich konnte Reinfeldt bei den Wahlen 2006 und 2010 gerade mit dem Thema Wirtschaftspolitik punkten. Mit der viel beschworenen „Arbeitslinie“, die normale Arbeitsplätze über Sozialleistungen und staatliche Beschäftigungsmaßnahmen stellt, brachte die in in Schweden „Allianz“ genannte Koalition das Land relativ unbeschadet durch Finanz- und Eurokrise und schuf eine Viertel Million neue Jobs.
Doch während Reinfeldt stolz diese Bilanz präsentiert, kritisiert sein Gegner im Kampf um den Posten des Regierungschefs, der sozialdemokratische Parteivorsitzende Stefan Löfven (57), die herrschende „Massenarbeitslosigkeit“. Die Zahlen geben beiden Recht. Einerseits hat Schweden die höchste Beschäftigungsquote innerhalb der EU. Andererseits stieg die Arbeitslosigkeit unter der Regierung Reinfeldt von sechs auf derzeit acht Prozent. Auch die Jugendarbeitslosigkeit erhöhte sich um fast vier Prozentpunkte auf knapp 24 Prozent. Während die Wirtschaftsdiskussion die Debatte bislang beherrschte, interessieren sich die Wähler Umfragen zufolge im Wahlkampf 2014 aber vor allem für zwei Themen: Schule und Gesundheit. Bereiche, in denen die linke Opposition Stimmen holen kann. Die Bürgerlichen privatisierten in den vergangenen acht Jahren massiv das Schul- und Gesundheitswesen sowie die Altenpflege.
Gewählt wird am 14. September
Mit gemischten Ergebnissen. Zum einen freuen sich die Schweden über die ungewohnte Wahlfreiheit, zum anderen verschrecken Berichte über Missstände im privaten Sektor, in dem Gewinn mitunter vor Qualität geht. Das schlechte Abschneiden Schwedens in der jüngsten Pisa-Studie heizt die Debatte zusätzlich an. Dass mehr Wahlfreiheit in der Regel auch zu mehr Ungleichheit führt, wird den gleichheitsliebenden Schweden zunehmend bewusst. Viele wollen daher das Rad durch einen Regierungswechsel am 14. September zurückdrehen. Die linke Opposition bedient diesen Wunsch. So versprechen zum Beispiel die Sozialdemokraten der zweifellos schlecht bezahlte Lehrerschaft mehr Kronen im Portemonnaie, finanziert durch eine neue Bankensteuer; auch die Grünen setzen neben ihrem Kernthema Umwelt auf höhere Lehrergehälter und mehr Chancengleichheit für Schüler. Die Linkspartei wiederum will Gewinne im Bildungs-, Gesundheits- und Pflegesektor gänzlich verbieten.
Vor diesem Hintergrund versucht der in Bedrängnis geratene Ministerpräsident, das Thema Einwanderungspolitik zu pushen. Ein Schachzug, der nach Ansicht vieler Beobachter vor allem ein Risiko birgt: Er bringt das Lieblingsthema der einwanderungsfeindlichen Schwedendemokraten aufs Tapet, die seit 2010 im Parlament sitzen. Die nationalistische Rechtspartei begrüßte Reinfeldts Rede als „unvorhergesehenes Weihnachtsgeschenk“ und Parteichef Jimmie Åkesson twitterte: „Der Ministerpräsident hat es bestätigt: Sozialstaat oder Masseneinwanderung. Du hast die Wahl.“
Den Schwedendemokraten, die Umfragen zufolge bei neun Prozent der Stimmen liegen (2010: 5,7 Prozent), kann noch eine wichtige Rolle im Reichstag zukommen. Selbst wenn es im September für die „Allianz“ nicht reichen sollte, ist nicht sicher, dass der linke Block eine mehrheitsfähige Regierung zusammenbekommt. Zu groß sind die Gegensätze vor allem zwischen Sozialdemokraten und der Linkspartei. Im Fall einer erneuten Minderheitsregierung – egal, ob links oder bürgerlich – hätten die weiter gestärkten Nationalisten ein gewichtiges Wort bei der Politikgestaltung mitzureden.
Karin Bock-Häggmark