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Von zwei auf fünf. Jimmie Akesson am Wahltag 2010, als seine Schwedendemokraten den Sprung in den Reichstag schafften. Inzwischen könnten sie mehr als die wenigen Prozent damals erwarten.
© rtr

Schweden: Die Sehnsucht nach Grenzen der Einwanderung

Die rechtspopulistischen Schwedendemokraten profitieren davon, dass sie als einzige Partei gegen offene Grenzen sind. Inzwischen arbeiten sie auch an einem sauberen Image.

Es läuft gut dieser Tage für Jimmie Åkesson. Ob in den großen Tageszeitungen, in Funk oder Fernsehen - der Chef der rechtspopulistischen Schwedendemokraten ist überall präsent. Gerade noch galt die Partei, die 2010 mit einem Wahlergebnis von 5,7 Prozent erstmals in den Reichstag einzog, den etablierten Medien als politisches Schmuddelkind, das man am besten mit Nichtachtung strafte. Die Totschweige-Taktik hat nicht funktioniert. Mittlerweile schicken sich die Schwedendemokraten an, hinter Sozialdemokraten und Konservativen zur drittstärksten politischen Kraft zu werden. Jüngste Meinungsumfragen bescheinigen Åkesson und seiner Mannschaft Wählersympathien von knapp acht Prozent. Tendenz: offenkundig steigend mit jedem Tag, an dem sich das offizielle Schweden einer schmerzlichen Einsicht verweigert - der Einsicht, dass seine Asyl- und Einwanderungspolitik gescheitert ist.

Neben Deutschland und Frankreich hat sich Schweden in den vergangenen Jahren innerhalb der EU als eines der großzügigsten Asylländer profiliert. Nicht zu übersehen sind inzwischen aber die Anzeichen dafür, dass das Land mit den praktischen Folgen der Zuwanderung überfordert ist. So ist das multikulturelle Malmö mit seinem großen muslimischen Bevölkerungsateil weltweit als gefährlicher Aufenthaltsort für Juden verschrien. Die OECD moniert regelmäßig die schlechte Integration auf dem Arbeitsmarkt - von der Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis bis zur Arbeitsaufnahme vergehen in Schweden im Schnitt sieben Jahre, und die Jugendarbeitslosigkeits-Quote von rund 25 Prozent ist zu weiten Teilen Spiegelbild der Perspektivlosigkeit, die zumal in den Einwanderervororten von Malmö, Göteborg und Stockholm herrscht. Beim Beschaffen von Wohnraum für die Neuankömmlinge kämpfen Kommunen und zuständige Behörden täglich gegen das Scheitern an; an Grenzen stößt man dabei vor allem in den Großstädten, so in Stockholm, wo die regulären Wartezeiten für eine Mietwohnung schon jetzt vielfach die Zehn-Jahres-Marke überschreiten.

Über eine "völlig chaotische" Situation in den Auffanglagern und den "spürbar gewachsenen Widerwillen" der Gemeinden, Asylsuchende aufzunehmen, klagte kürzlich Tolle Furugård, leitender Mitarbeiter der Einwanderungsbehörde, im Schwedischen Rundfunk. In dieser Woche präsentierte seine Behörde nun Prognosen, die bisherige Berechnungen noch in den Schatten stellen. Bewarben sich im vergangenen  Jahr noch 29 700 Menschen um Asyl in Schweden, waren es 2012, vor allem aufgrund des Konflikts in Syrien, bisher knapp 35 000. Für 2013 rechnet man nun  mit mehr als 54 000 Anträgen; zusätzlich erwartet man allein aus Somalia rund 20 000 Ersuchen auf Familienzusammenführunng. Derzeit treffen wöchentlich rund 1250 Asylsuchende ein, vorwiegend aus Syrien -  die höchsten Zahlen seit dem Balkan-Krieg Anfang der 1990er Jahre. Um dem Druck standzuhalten, hat die Einwanderungsbehörde Schichtarbeit eingeführt und versucht nun, mit Maßnahmen wie Verhören per Videolink die  Asylverfahren zu beschleunigen.

Das bürgerliche Minderheitskabinett unter Fredrik Reinfeldt, das in Sachen Einwanderungspolitik mit den einwanderungsfreundlichen Grünen kooperiert, gerät angesichts der aktuellen Entwicklung zunehmend unter Druck. Die Zustände bei der Aufnahme von Asylbewerbern seien  "unhaltbar" geworden, räumt Migrationsminister Tobias Billström inzwischen ein. Aus dem linken Parteienspektrum muss er sich vorwerfen lassen, verschiedene Asylbewerbergruppen gegeneinander auszuspielen: Angesichts der steigenden Zahl von Asylbewerbern, vorwiegend Roma, aus den westlichen Balkanländern fordert Schweden jetzt gemeinsam mit mehreren EU-Ländern von der EU-Kommission, für die Bürger dieser Länder die Visumspflicht wiedereinzuführen. Diese Asylanträge, so Billström, seien  "zu großen Teilen unbegründet" und kosteten das schwer belastete Asylsystem Zeit und Kraft.

Unterdessen fordern Linke und Grüne, die zunehmend widerspenstigen Kommunen gesetzlich zur Aufnahme von Asylbewerbern zu zwingen. Dabei stoßen sie auf harten Widerstand: "Unsere Sozialsysteme laufen schon seit zehn Jahren auf dem Zahnfleisch", sagt Boel Godner, sozialdemokratische Gemeinderatsvorsitzende im mittelschwedischen Södertälje. Die Stadt, die sich wegen der Aufnahme zahlreicher Flüchtlinge aus dem Irak den  Spitznamen "Little Bagdad" erworben hat, habe schon jetzt "keine einzige freie Wohnung" mehr, Neuankömmlinge schlüpften bei Familie und Freunden unter, die Situation sei "allgemein prekär".

Ähnlich gespannt ist die Lage in den Einwanderervororten der Großstädte. Dass Jimmie Åkesson und seine Schwedendemokraten in Stockholm nach der jüngsten Untersuchung des Meinungsforschungsinstituts Sifo mittlerweile auf gut fünf Prozent kommen - bei den Wahlen 2010 lagen sie noch bei zwei Prozent -, verdanken sie nicht zuletzt Kommunen wie dem vor allem von Einwanderern bewohnten Botkyrka. Unterdessen bemüht sich Åkesson um ein stubenreines Image: Im am Wochenende verabschiedeten neuen Kommunikationsprogramm der Partei will man offenkundigen Rassismus aus dem Sprachgebrauch streichen und sich  als "moderate, einwanderungskritische Partei" breiten Wählergruppen andienen. Mehrere Beobachter beurteilen die Erfolgsaussichten dieser Strategie als gut. Nach Auffassung von Andreas Johansson-Hejno, Politologe an der Universität Göteborg, bieten  Åkesson und Co. vielen Schweden endlich das, wonach sie sich seit mehr als zwanzig Jahren sehnen: eine Partei, die die Zuwanderung begrenzen will.

Anne Rentzsch

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