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Die Terrorgruppe IS verbreitet im Irak Angst und Schrecken.
© AFP

Erzfeinde IS und Al Qaida: Konkurrenten des Terrors

Abu Mujahid ist in Deutschland geboren und hatte sich Al Qaida angeschlossen. Dort war es ihm nicht radikal genug - er ging zum "Islamischen Staat". Die Rivalität der zwei Terrororganisationen erhöht ihre Gefahr für Europa.

Er nennt sich Abu Mujahid und trägt eine schwarze Häkelkappe. Das Sturmgewehr hält er locker in beiden Händen, während er in die Videokamera redet. "Ich habe in Deutschland gelebt und bin in Deutschland geboren", deklamiert der junge Mann mit dunklem Bart. "Eines Tages hat mich der Wind der Rechtleitung getroffen. Dann bin ich – wie jeder andere auch – zu dem Entschluss gekommen, dass man in Deutschland definitiv nicht leben kann und dass Allah von einem verlangt, den Boden der Ungläubigen zu verlassen."

„Ich habe mir gedacht, ok, al Qaida"

Abu Mujahid ging nach Syrien und schloss sich zunächst der Al-Nusra-Front an. "Ich habe mir gedacht, ok, Al Qaida – das ist schon der richtige Weg, da werde ich schon nicht falsch sein", bekennt er leutselig in seinem Youtube Auftritt. Doch bereits nach einigen Monaten fühlte er Enttäuschung über die neuen Mitkämpfer, weil sie den Jihad seiner Meinung nach nicht so richtig praktizieren, wie es der deutsche Auswanderer "aus den Büchern" gelernt hat. Doch zum Glück "hat Allah mir Türen aufgemacht". So sei er am Ende zum „Islamischen Staat“ gekommen. "Jetzt bin ich froh, ich habe den Treueeid auf den Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi abgelegt", frohlockt er. "Jetzt bin ich ein stolzes Mitglied des Islamischen Staates."

Wie Abu Mujahid haben seit Mitte letzten Jahres tausende Kämpfer in Syrien und Irak die Seiten gewechselt, Al Qaida den Rücken gekehrt und dem "Islamischen Staat (IS)" Gefolgschaft geschworen – genauso wie Terrorbrigaden in Ägypten, Libyen und Algerien. Rund 50.000 Jihadisten kämpfen in ihren Reihen, darunter etwa 15.000 Ausländer, von denen rund ein Viertel aus Europa kommt. Seit der neue, selbst ernannte "Kalif Ibrahim", alias Abu Bakr al-Baghdadi, weltweit als der gefürchtetste Organisator des Islam-Terrors gilt, war es eine Weile stiller geworden um die Al Qaida-Führung von Ayman al-Zawahiri in Afghanistan.

Ein Screenshot des Videos, mit dem sich die Terrororganisation Al-Qaida auf der arabischen Halbinsel zum Angriff auf die Redaktion des französischen Satiremagazins "Charlie Hebdo" bekennt.
Ein Screenshot des Videos, mit dem sich die Terrororganisation Al-Qaida auf der arabischen Halbinsel zum Angriff auf die Redaktion des französischen Satiremagazins "Charlie Hebdo" bekennt.
© dpa

Al Qaida strebt die Herrschaft über ein konkretes Territorium an

Zudem hatten die IS Extremisten dem 63-jährigen Bin Laden-Nachfolger vor einem Jahr öffentlich den Gehorsam aufgekündigt. Anders als Al Qaida verfolgen sie ein jihadistisches Staatsprojekt und streben die Herrschaft über ein konkretes Territorium an. Acht Millionen Menschen leben im Nahen Osten inzwischen unter ihrem Scharia-Regime auf einer Fläche so groß wie England, auch wenn ihre zunächst atemberaubender Expansion dank der internationalen Luftschläge und der Kampfkraft der kurdischen Peschmerga vorerst gestoppt scheint.

Stattdessen ist der globale Terrorrivale Al Qaida jetzt weltweit zurück in den Schlagzeilen – vor allem seine gefährlichste Filiale im Jemen. Die beiden von der Polizei erschossenen Pariser Attentäter auf "Charlie Hebdo" wurden hier in Terrorcamps ausgebildet. Am Mittwoch hieß es in einem von "Al Qaida auf der Arabischen Halbinsel" veröffentlichten Bekennervideo, der Angriff sei von Al Qaida-Chef Al-Zawahiri angeordnet worden. Die Kämpfer im Jemen hätten das Ziel festgelegt, den Operationsplan entworfen und finanziert sowie "die Helden rekrutiert". Dagegen deklamierte der dritte Attentäter auf den jüdischen Supermarkt in einem Video, er handele im Auftrag des "Islamischen Staates". Gegenüber der "New York Times" jedoch bestritt ein Vertreter von Al Qaida im Jemen, die Bluttaten seien gemeinsam geplant worden. Das Doppelattentat sei einzig Ergebnis der persönlichen Bekanntschaft der drei Attentäter.

Blutige Rivalität

Dennoch könnte die blutige Rivalität der beiden extremistischen Erzfeinde ihre Gewaltstrategien mit der Zeit verändern – und die Terrorgefahr in Europa und den Vereinigten Staaten zusätzlich erhöhen. So könnte IS in Zukunft stärker darauf setzen, Al Qaida mit spektakulären Attentaten in westlichen Ländern zu übertrumpfen, ausgeführt durch ihre nicht-arabischen Jihadisten. Al Qaida dagegen könnte versuchen, in Syrien ebenfalls eine größere Region unter seine Kontrolle zu bringen und sich damit am südlichen Rand des Mittelmeeres fest zu etablieren.

So gelang Kämpfern der Al-Nusra-Front vor drei Wochen ein spektakulärer Coup gegen die Assad-Armee, der den Erfolgen des "Islamischen Staates" um nichts nachsteht. In einer 24-stündigen Schlacht, die mehr als 200 Tote kostete, eroberten 3000 Kämpfer zwei wichtige nordsyrische Militärbasen, gegen die die gemäßigten Rebellen zwei Jahre lang vergeblich angerannt waren. Dieser Erfolg dürfte die territoriale Kontrolle der Al-Nusra-Front in der Provinz Idlib im Norden weiter festigen, wo sie im November ein eigenes "Islamisches Emirat" ausriefen. Auch auf den Golanhöhen kontrolliert Al Qaida inzwischen strategische Stellungen, vor allem Quneitra nahe der Demarkationslinie zwischen Syrien und Israel. Damit aber steht der von Osama bin Laden vor gut zwanzig Jahren gegründete Terrorbund erstmals wenige hundert Meter vor den Toren Israels.

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