Abstimmung über neuen Präsidenten: Kolumbien hat die Wahl der Extreme: Duque oder Petro
Die Kolumbianer stimmen am Sonntag über einen neuen Präsidenten ab. Duque oder Petro: Der eine will mit Angst punkten, der andere mit Hoffnung.
Wer in diesen Tagen durch Bogota läuft, könnte meinen, dass die Kolumbianer gerade nur ein Großereignis bewegt: die Fußball-WM in Russland. Überall stehen Straßenhändler und verkaufen Trikots, Pappaufsteller, Armbänder und anderes Merchandise der kolumbianischen Nationalmannschaft.
Erst auf den zweiten Blick fallen überall in der Hauptstadt die Menschen auf, die Flyer verteilen, Radtouren veranstalten und mit Ampel-Flashmobs kurzzeitig den Verkehr an Hauptverkehrsstraßen lahmlegen. Die vorwiegend jungen Leute protestieren für die Kampagne „Menschliches Kolumbien“ des Präsidentschaftskandidaten Gustavo Petro und umgehen mit ihren Aktionen ein Dekret, das offizielle Wahlwerbung in der Hauptstadt auf ein Minimum reduziert.
Erste wirklich freie Wahl seit Jahrzehnten
Am Sonntag stimmen die Kolumbianer für einen neuen Präsidenten – und haben dabei zum ersten Mal seit Jahrzehnten eine wirkliche Wahl. Zumindest ist das das Bild, das der 58-jährige Ökonom Petro vermitteln will: Er inszeniert sich als Begründer einer linken Massenbewegung in der Tradition des 1948 ermordeten liberalen Präsidentschaftskandidaten Jorge Eliecer Gaitan und betont: „So nah an einem gesellschaftlichen Umbruch waren wir seit 70 Jahren nicht mehr.“
Als Projektionsfigur für einen Umbruch taugt Petro gut: Der ehemalige Guerillero provozierte bereits als Kongressabgeordneter und später als Bürgermeister der Hauptstadt jenes „privilegierte Establishment“, dessen Vertreter Ivan Duque er sich bei der Stichwahl gegenüber sieht.
Die Positionen der beiden Kandidaten, die nach der ersten Wahlrunde am 27. Mai nun erneut antreten, könnten kaum unterschiedlicher sein. Gerade deshalb zeigt die Wahl auch deutlich die Risse, die die kolumbianische Gesellschaft nach wie vor durchziehen. Während Petro sich als Mann des Volkes inszeniert und Kritikern als Populist gilt, steht der 41-jährige Anwalt Duque für die alten Eliten, die die Kontrolle des Landes seit Jahrzehnten unter sich aufteilen.
Der rechtskonservative Duque gilt Kritikern als Marionette des umstrittenen Ex-Präsidenten Alvaro Uribe und verspricht, zum Kurs der „harten Hand“ zurückzukehren. Konkret hieße das eine erneute Militarisierung des Landes, wieder Null-Toleranz gegen Drogenkriminalität, vor allem aber: Wesentliche Änderungen im Friedensprozess mit den beiden Guerilla-Gruppen Farc und ELN.
Duque musste zwar seine Äußerung, wonach er den 2016 mit den Farc unterzeichneten Friedensvertrag „zerreißen“ wolle, nach einer Empörungswelle revidieren. Er will aber weiter gegen das Amnestiegesetz für entwaffnete Kämpfer vorgehen und ihre politische Beteiligung beschränken.
Dabei weiß er den großen Teil der Bevölkerung hinter sich, der beim Referendum 2016 gegen das Friedensabkommen stimmte. Gegen illegale Gruppierungen setzt Duque auf die militärischen Strategien seines politischen Ziehvaters Uribe, dem allerdings umfangreiche Verbindungen zu paramilitärischen Gruppierungen und Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden.
Dass Duque als Favorit in die Stichwahl geht, liegt jedoch vor allem an einem: Angst. Der durch Propaganda geschürten Furcht vieler der knapp 50 Millionen Kolumbianer, dass Petro sie enteignen und Kolumbien in eine Art „zweites Venezuela“ verwandeln könnte.
Angst vor Chaos wie in Venezuela
Der Angst, dass der von Petro versprochene gesellschaftliche Umbruch – gerade mit Blick auf die Krise im Nachbarland – auch in Kolumbien Chaos auslösen könnte. Experten warnen bereits vor einem Kurseinbruch des kolumbianischen Pesos, sollte Petro die Wahl für sich entscheiden.
Andererseits ist es gerade die Angst vor eine Rückkehr in die Zeit vor dem Friedensprozesses, die viele Kolumbianer dazu bewegen dürfte, für Petro zustimmen – oder sich zu enthalten. Zahlreiche Intellektuelle werben für einen leeren Stimmzettel als Zeichen gegen die beiden politischen Extreme und für die Mitte der Gesellschaft, die sich bei der Abstimmung nicht repräsentiert sieht.
Das Lager Petros setzt im Wahlkampf vor allem auf Hoffnung: Den Glauben an eine gerechtere Gesellschaft mit gleichen Chancen für alle, an ein Land in Frieden. „Wir stehen gerade vor der einzigartigen Möglichkeit, ein besseres Land zu erschaffen“, sagt etwa der 24-jährige Esteban Guerrero von der zivilgesellschaftlichen Initiative „Ojo a la Paz“ (Auge auf den Frieden). Für Aktivisten wie ihn steht am Sonntag nicht weniger als der gesellschaftliche Frieden auf dem Spiel.
Letzte Umfragen sehen Duque knapp vorn
Auch Humberto de la Calle, Chef-Unterhändler im Friedensprozess mit den Farc und unterlegener Präsidentschaftskandidat, warnte in einem offenen Brief, dass die Positionen Duques „ein enormes Risiko für das Land bedeuten“ würden. „Es wäre ein gravierender Fehler, das Abkommen aufzukündigen oder zu verändern“, schrieb er. Wie viele andere Experten befürchtet er, dass sich die ehemaligen Rebellen illegalen Gruppierungen anschließen könnten, um einer Haftstrafe zu entgehen.
Umfragen prognostizieren, dass es am Sonntag auf einen knappen Sieg für Duque hinauslaufen wird. Für die Bewegung rund um Petro ist es jedoch bereits ein Erfolg, dass eine gesellschaftliche Alternative es erstmals bis in die Stichwahl geschafft hat. Der Wandel sei nicht mehr aufzuhalten, sagt Guerrero. „Wir haben keine Angst vor der Angst – und sind noch viel zu jung, um die Hoffnung auf einen gesellschaftlichen Wandel zu verlieren.“ Das soll heißen: Wenn wir dieses Mal nicht gewinnen, dann eben in vier Jahren.
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