Durchbruch der Euro-Finanzminister: Knapp an der Blamage vorbei
Die Euro-Finanzminister schaffen doch noch eine Einigung. Das zeigt: Die EU ist in der Corona-Krise durchaus zur Solidarität fähig. Ein Kommentar.
Solidarität - kein Wort ist zuletzt auf europäischer Ebene wohl öfter beschworen worden. Zu Recht. Denn es ist wohl unbestritten, dass Länder wie Italien und Spanien von der Corona-Krise zumindest nach gegenwärtigem Stand härter betroffen sind als etwa Deutschland.
Allerdings hat in den vergangenen Wochen jeder etwas anderes unter „Solidarität“ verstanden. Italiens Regierungschef Giuseppe Conte meinte damit Corona-Bonds, also gemeinsame Staatsanleihen. Zahlreiche andere Staaten, darunter Deutschland, wollten zwar sehr wohl gemeinschaftliche Hilfen der EU, aber ohne gemeinschaftliche Haftung.
Den Euro-Finanzministern ist es nun im zweiten Anlauf gelungen, eine Einigung darüber zu erzielen, wie die EU Solidarität für notleidende Staaten, kleine und mittlere Unternehmen sowie Kurzarbeiter zeigen kann. Sie ersparten der Gemeinschaft, in der zu Beginn der Krise vor allem der nationale Eigensinn regierte, eine weitere Blamage. Das Paket mit einem Gesamtvolumen von mehr als 500 Milliarden Euro zeigt, dass die EU durchaus zu einem raschen Handeln in der Lage ist.
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Risiko für Italien
Für Deutschlands Finanzminister Olaf Scholz traf es sich dabei gut, in der zähen Diskussion über Europas Finanzhilfen nicht den „bad guy“ spielen zu müssen. Diese Rolle übernahm Wopke Hoekstra. Scholz‘ niederländischer Amtskollege gab am Ende seine Forderung auf, Kredite aus dem Euro-Krisenfonds ESM an Länder wie Italien mit überharten Bedingungen zu verknüpfen.
Allerdings birgt gerade der Rückgriff auf den ESM, der bereits während der Euro-Krise mit Krediten einsprang, Risiken: Falls das ohnehin schon hoch verschuldete Italien über den Krisenfonds demnächst weitere Kredite erhalten sollte, könnte sich die finanzielle Schieflage des Landes verschlimmern.
Streit um Corona-Bonds geht in neue Runde
Im Streit um die viel beschworenen Corona-Bonds reichten die Finanzminister den Stab für eine Lösung an die Staats- und Regierungschefs weiter. Die Debatte um Gemeinschaftsanleihen geht damit in eine neue Runde. Mit der Vertagung des Streits ist aber auch klar, dass Corona-Bonds in nächster Zeit nicht zum Einsatz kommen werden - zumindest nicht, wenn es um unmittelbare Schritte gegen die wirtschaftliche Talfahrt in der EU geht.
Alles andere hätte die EU zum jetzigen Zeitpunkt überfordert. Die Gemeinschaft, die angesichts der allgegenwärtigen nationalen Abschottungstendenzen, aber auch wegen des neuen Geldmangels in der EU-Kasse in Post-Brexit-Zeiten und des autoritären Durchmarschs des ungarischen Regierungschefs Viktor Orban zahlreichen Zerreißproben ausgesetzt ist, sollte sich mitten in der Krise keinen spaltenden Grundsatzstreit über Corona-Bonds leisten.
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Gemeinschaftliche Schuldenaufnahme bleibt auf der Agenda
Das heißt allerdings nicht, dass die Diskussion über eine gemeinschaftliche Haftung tabu ist. Wenn es demnächst um Investitionshilfen für die Wirtschaft in den einzelnen Mitgliedstaaten geht, werden kreative Lösungen gefragt sein. Eine gemeinschaftliche Schuldenaufnahme im Einklang mit den EU-Verträgen könnte zum Mittel der Wahl werden.
Die Frage, wie der von den Finanzministern „Recovery Fund“ getaufte neue Topf finanziert wird, wird noch zahlreiche Verhandlungsstunden kosten. Entscheidend wird aber sein, dass die EU weiter zusammensteht, auch wenn die akute Krise vorbei ist. Zu Recht dürfen die EU-Partner dabei erwarten, dass Deutschland als stärkste europäische Wirtschaftskraft in der Erholungsphase ebenfalls seinen Beitrag leistet.