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Das Haus der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft, aufgenommen während der Sondierungsverhandlungen zwischen CDU, CSU, FDP und Bündnis90/Die Grünen.
© Michael Kappeler/dpa
Update

Jamaika-Sondierungen vertagt: Knapp 70 Prozent der Deutschen bei Scheitern für Neuwahlen

Die Jamaika-Sondierungen gehen seit Freitagmittag weiter. Angela Merkel: "Es wird nicht leicht. Aber ich will Auftrag zur Regierungsbildung umsetzen."

Nachdem am frühen Freitagmorgen die Sondierungsgespräche unterbrochen worden sind, sitzen seit elf Uhr mittags die Jamaika-Chefunterhändler wieder zusammen. Zuvor machte auch Angela Merkel noch einmal klar, worum es ihr geht. "Es ist nicht einfach", sagte die Kanzlerin auf dem Weg in die CDU-Parteizentrale. Man habe "eine Vielfalt von Themen, insofern sei es "nicht ganz trivial, die verschiedenen Enden zusammenbringen". Allerdings geht die Kanzlerin nach wie vor von einem Zustandekommen der Jamaika-Koalition aus: "Ich gehe mit dem Willen in diese Verhandlungen, den Wählerauftrag, eine Regierung zu bilden, auch umzusetzen", betont sie. "Es wird nicht leicht, aber es lohnt sich sicher, diese Runde auch zu drehen." Sprach's und entschwand ins Konrad-Adenauer-Haus zu weiteren Gesprächen der Parteivorsitzenden von CDU, CSU, FDP und Grünen.

CDU, CSU, FDP und Grüne hatten am Freitagmorgen ihre Beratungen über einen Einstieg in Koalitionsverhandlungen für ein Jamaika-Bündnis nach langen Verhandlungen in der Nacht vertagt. "Wir gehen in die Verlängerung", sagte Grünen-Chef Cem Özdemir am Freitagmorgen. Wie lange die weiteren Gespräche dauerten, hänge auch vom Schiedsrichter ab, sagte Özdemir ohne den Namen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu nennen. Am Ende komme es nur auf das Ergebnis an.

Je länger sich die Sondierungsverhandlungen hinziehen, desto mehr nimmt in Umfragen die Zustimmung für ein Jamaika-Bündnis ab. Laut "Politbarometer" von ZDF und Tagesspiegel fänden es nur noch 50 Prozent gut, wenn es zu einer solchen Koalition käme. Das ist ein Rückgang um 7 Prozentpunkte im Vergleich zu Oktober. 31 Prozent fänden eine Jamaika-Koalition schlecht - 6 Prozentpunkte mehr als zuvor. 16 Prozent der Befragten (plus 2) wäre es egal, wie die jüngste Umfrage der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen ergab. Sollte Jamaika am Ende nicht zustande kommen, wären mehr als zwei Drittel der Befragten (68 Prozent) für Neuwahlen - Mehrheiten finden sich dabei quer durch alle Lager von Parteianhängern. Nur 29 Prozent der Befragten sind gegen Neuwahlen.

Laschet: Jede Chance auf Einigung nutzen

Es gehe um die staatspolitische Verantwortung, sagte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) am Morgen. Jede Chance auf eine Einigung müsse genutzt werden. "Es gab bei vielen Themen ein Verstehen der anderen Position, aber keine Ergebnisse, das ist das traurige", sagte Laschet.

CSU-Chef Horst Seehofer hat zugegeben, dass es schwerwiegende Probleme bei den Sondierungen zugegeben. Aber er wolle weiter und ohne Zeitlimit für das Bündnis kämpfen. „Wir werden alles Menschenmögliche tun, um auszuloten, ob eine stabile Regierungsbildung möglich ist“, sagte Seehofer nach den unterbrochenen Verhandlungen. Es gebe noch viele Streitthemen und keine ausreichende Annäherung, dies gelte auch für den Abbau des Soli-Steuerzuschlags: „Das sind schwierige Felder, die zu bearbeiten sind.“ Für die Fortsetzung der Gespräche gebe es kein Zeitlimit. Beim umstrittenen Familiennachzug von Angehörigen von bereits in Deutschland lebenden Asylbewerbern zeigte sich Seehofer hart. Hier gehe es um Hunderttausende Personen. „Deshalb können wir einer Lösung, die eine Ausweitung der Zuwanderung zum Ergebnis hat, nicht zustimmen.“ 

FDP-Vize Kubicki ist frustriert

FDP-Chef Christian Lindner zeigte sich optimistisch, dass man noch zu einer Lösung kommen werde. Eine Einigung sei weiter möglich, die Sondierung dürfe nicht an ein paar Stunden scheitern. Er sprach von einem "historischen Projekt". Die größten Schwierigkeiten gebe es bei den Themen Flüchtlings- und Finanzpolitik.

Weniger optimistisch war dagegen FDP-Vize Wolfgang Kubicki. Es sei kein Vertrauen aufgebaut worden. "Mich frustriert das hier extrem." Er werde jetzt anderthalb Stunden duschen. „Und dann gehe ich ins Fernsehen und versuche, einen guten Eindruck zu hinterlassen. Und Optimismus zu verbreiten.“ Wenig später trat Kubicki dann auch schon im ARD-Morgenmagazin auf und fand für die aktuelle Situation deutliche Worte: "Die Fronten sind verhärtet." Eigentlich wäre das Wochenende frei gewesen - jetzt wollten die Sondierer versuchen, "den Knoten zu lösen", so Kubicki. Auch praktische Probleme ergäben sich aus der Verlängerung: "Ich muss meine Frau jetzt bitten, dass sie mir neue Hemden bringt."

Gespräche könnten das ganze Wochenende dauern

Unions-Fraktionschef Volker Kauder rechnet mit weiteren Gesprächen über das gesamte Wochenende. "Es geht weiter. Das ganze Wochenende, davon gehen wir mal aus", sagt Kauder beim Verlassen des Sondierungsortes. Er forderte aber ebenfalls einen Abschluss bis Sonntag: "Es muss an diesem Wochenende jetzt dann auch zu einem Ergebnis kommen", sagte der CDU-Politiker. Kauder sei trotz aller Schwierigkeiten überzeugt, dass dies gelingen könne. Die Sondierungen hätten sich in einigen Bereichen so vertieft, dass es eigentlich schon Koalitionsverhandlungen seien. "Deswegen ist auch die Verhandungsdauer länger." Alle, die behaupteten, es gäbe keine Unterschiede zwischen den Parteien mehr, könnten diese Differenzen jetzt sehen.

Die CDU-Vizevorsitzende Julia Klöckner warnte vor einem Scheitern der Sondierungen. Die Parteien müssten sich bewusst sein, was die Alternative wäre, sagte Klöckner vor der Fortsetzung der Gespräche. „Man muss vor Augen haben, dass der Deutsche Bundestag sich nicht selbst auflösen kann, dass der Bundespräsident auch vieles in der Hand hat und die Frage ist, ob bei Neuwahlen die Ergebnisse besser werden.“

Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) geht grundsätzlich von einem Erfolg der Jamaika-Sondierungen aus. „Das ist eine schwierige Geburt“, sagte er am frühen Freitagmorgen, nachdem sich die Unterhändler von CDU, CSU, FDP und Grünen auf den Mittag vertagt hatten. „Das war schwierig und das bleibt schwierig. Und deshalb machen wir morgen weiter. Und dann hoffen wir, dass wir zum Abschluss kommen“, ergänzte er.

Vor allem Grüne und CSU sollen sich dem Vernehmen nach bei den Gesprächen zum Thema Familiennachzug und Flüchtlingspolitik insgesamt verhakt haben. In der Nacht soll es diverse Einzelgespräche und zum Ende hin eine Runde der Parteivorsitzenden gegeben haben. CSU-Chef Horst Seehofer weist Vorwürfe zurück, die CSU sei gespalten. Er kritisiert vor allem Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner, der "Falschbehauptungen" aufgestellt habe. Die Grünen-Vorsitzende Katrin Göring-Eckardt habe ihm versichert, dass dies auch nicht in ihrem Sinne sei. "Wir müssen für Ordnung sorgen", sagt Seehofer. Die CSU und auch die Union seien sehr geschlossen.

Flüchtlingspolitik bleibt Knackpunkt

Vieles hing dem Vernehmen nach am Flüchtlingsthema und dabei besonders an der Unionsforderung, den bis März 2018 befristeten Stopp des Familiennachzugs für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus zu verlängern. Die Grünen wollen die Regelung auslaufen lassen und den Nachzug wieder ermöglichen. Sie zeigten sich dann aber gesprächsbereit.

Bewegung habe es aber bei einigen Themen gegeben - laut Teilnehmern beim Thema Klima gegeben. CDU-Chefin Angela Merkel hatte eine Reduzierung der Kohlestromproduktion um sieben Gigawatt angeboten. Union und FDP hatten ursprünglich nur drei bis fünf Gigawatt zugestehen wollen, die Grünen wollten acht bis zehn Gigawatt. Dem Vernehmen nach sollte es dabei um Strom aus Braunkohle gehen. Die Produktion sollte allerdings im Einvernehmen mit den Kraftwerksbetreibern reduziert werden.

Grundlage der Verhandlungen in der Nacht war ein bereits am Mittwoch erarbeitetes 61-seitiges Verhandlungspapier, das aber noch einige eckige Klammern enthielt, die die unterschiedlichen Positionen zum Ausdruck bringen. (Mit dpa)

Marius Mestermann, Christian Tretbar

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