Baby über Flughafenmauer an US-Soldaten überreicht: Kleinkind ist nach Behandlung wieder beim Vater
Verzweifelte Menschen übergaben US-Soldaten ein Baby über die Flughafenmauer. Jetzt ist das Kind wieder beim Vater.
Ein Baby, das am Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul über eine Mauer mit Stacheldraht hinweg an US-Soldaten übergeben wurde, ist nach einer medizinischen Behandlung wieder bei seinem Vater.
Pentagon-Sprecher John Kirby äußerte sich am Freitag zu dem Vorfall, der auf einem Video festgehalten wurde und viel Mitgefühl auslöste. "Das Elternteil hat die Marineinfanteristen gebeten, sich um das Baby zu kümmern, weil das Baby krank war", sagte Kirby. Der US-Soldat habe das Kleinkind deswegen über die Mauer gezogen und zu einem norwegischen Krankenhaus auf dem Flughafengelände gebracht. Auf dem Video ist zu sehen, wie der Soldat das Baby an einen anderen Soldaten weiterreicht.
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"Sie haben das Kind behandelt und das Kind seinem Vater zurückgegeben", sagte Kirby. Er sprach von einem "Akt des Mitgefühls" der US-Soldaten. Wo sich das Baby und sein Vater inzwischen befinden, konnte der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums nicht sagen. "Ich weiß nicht, wo sie jetzt sind." Er wisse auch nicht, ob der Vater mögliche eine afghanische Ortskraft sei, die sich um ein Sondervisum für die USA bewerbe.
Rund um den Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul herrscht weiter Chaos. Tausende Afghanen hoffen immer noch auf eine Gelegenheit, sich nach der Machtübernahme der militant-islamistischen Taliban mit westlichen Flügen in Sicherheit zu bringen. Trotz aller Gefahren hält der Ansturm von Menschen, die auf das Flughafengelände gelangen wollen, weiter an.
Die CNN-Journalistin Clarissa Ward, die als eine von wenigen ausländischen Journalisten noch vor Ort ist, schilderte die Situation als „katastrophal“. Auf Twitter schrieb sie, dass sich laut Soldaten an der Start- und Landebahn des Flughafens 10.000 Menschen abgefertigt und abreisebereit aufhielten. Da Katar sich jedoch weigere, mehr Afghanen aufzunehmen, steckten diese Menschen fest.
Bereits am Donnerstag hatte Ward von einem „Tornado des Wahnsinns“ gesprochen. Ihr zufolge warfen Menschen Babys über den Zaun, um sie in Sicherheit zu bringen.
Derweil sprach US-Präsident Joe Biden von einer „Hetzjagd“ auf den Flughafen - von Menschen, die den USA nicht geholfen hätten und auf keiner Prioritätenliste stünden. „Viele Afghanen denken, dass sie lieber nach Amerika kommen, als unter der Herrschaft der Taliban zu bleiben - unabhängig davon, ob sie in der Vergangenheit etwas mit den Vereinigten Staaten zu tun hatten“, sagte Biden im Weißen Haus in Washington.
Zudem kündigte Biden eine Fortsetzung der US-Evakuierungsflüge aus Kabul an, nachdem diese vorübergehend gestoppt gewesen seien. Die Flüge seien für ein paar Stunden unterbrochen worden, um die Ankunft von Ausreisenden abzuwickeln, so der US-Präsident. Der zuständige Kommandeur habe aber bereits angewiesen, die Flüge nun wieder fortzusetzen. Biden sagte, seit dem Start der Evakuierungsmission vor etwa einer Woche hätten die USA rund 13.000 Menschen ausgeflogen. Nach Angaben des Weißen Hauses waren es allein in den vergangenen 24 Stunden 5700 Menschen.
Bereits am Donnerstag hatte Biden betont, das Chaos beim Abzug der US-Truppen sei unvermeidbar gewesen - wegen des Zusammenbruchs der afghanischen Regierung, des Militärs und der schnellen Machtübernahme der Taliban. Er versicherte im Fernsehsender ABC, die US-Soldaten am Flughafen könnten notfalls auch über den geplanten Abzugstermin am 31. August hinaus bleiben. „Wenn dort noch amerikanische Bürger sind, werden wir bleiben, bis wir sie alle rausgeholt haben.“
Auf die Frage, ob die US-Regierung Fehler gemacht habe oder ob man besser mit der Lage hätte umgehen können, entgegnete Biden: „Nein. Ich glaube nicht, dass wir es auf eine Weise managen konnten (...), um ohne Chaos rauszukommen. Ich weiß nicht, wie das gehen soll.“
Menschen demonstrieren mit afghanischer Nationalflagge
In Afghanistan selbst demonstrierten trotz des Siegeszugs der Taliban offenbar Menschen mit der Nationalflagge. In sozialen Medien kursierten Videos, wie etwa in der Hauptstadt Kabul geschätzt 100 Menschen durch eine Straße ziehen und die rot-schwarz-grüne Flagge hochhalten. Sie riefen „Lang lebe Afghanistan“ und „Unsere Flagge, unser Stolz“. Zuverlässig überprüfen ließen sich die Aufnahmen zunächst nicht. Die Nationalflagge entwickelt sich seit der Machtübernahme der Taliban zunehmend zu einem Protestzeichen gegen die Islamisten, die eine eigene Fahne haben.
Nach ihrem Eroberungszug haben die Taliban am Sonntag die Macht im Land übernommen. Viele Afghanen befürchten eine Rückkehr der Schreckensherrschaft der Islamisten der 1990er-Jahre, während der etwa Frauen vom öffentlichen Leben ausgeschlossen waren und die Vorstellungen der Islamisten mit barbarischen Strafen durchgesetzt wurden. Viele Menschen wollen deshalb das Land verlassen. Deutschland, die USA und andere Staaten fliegen derzeit eigene Staatsangehörige und afghanische Helfer aus.
Doch Biden räumte Probleme bei der Evakuierung von Afghanen ein. Zwar würden die Taliban „kooperieren“ und US-Bürger und Botschaftsmitarbeiter ausreisen lassen. Mit Blick auf die Evakuierung der früheren afghanischen Mitarbeiter der US-Behörden und Streitkräfte gebe es jedoch „ein bisschen mehr Schwierigkeiten“, sie rauszubekommen. Biden räumte ein, dass es rund um den Flughafen weiter chaotisch zugehe, „aber es wird momentan niemand getötet“.
Ein ehemaliger Helfer von ausländischen Stellen hatte der dpa am Donnerstag hingegen gesagt: „Die amerikanischen Soldaten lassen nur ihre Leute durch.“ Eine andere Ortskraft berichtete, sie habe von 20 Uhr abends bis 2 Uhr morgens versucht, in den Flughafen zu gelangen. Ein US-Soldat habe gesagt, jemand müsse herkommen und überprüfen, ob er wirklich eine Ortskraft der Deutschen sei. Immer wieder seien Schüsse in die Luft gefeuert worden. Auch Tränengas sei eingesetzt worden. Das US-Verteidigungsministerium bestätigte am Mittwoch, das Soldaten auch in die Luft geschossen hätten, um die Menge vor dem Flughafen im Zaum zu halten.
700 Millionen Euro fehlen zur Unterstützung der Afghanen
Am Flughafengelände von Kabul gibt es verschiedene Eingänge. Viele Menschen befinden sich beim Zugang zum zivilen Teil, der am südlichen Ende des Flughafens liegt. Von dort aus werden kommerzielle Flüge abgewickelt, die allerdings aktuell eingestellt sind. Am nördlichen Ende gibt es einen Zugang zum militärischen Teil. Ein weiterer Eingang liegt rund einen Kilometer östlich vom Eingang zum zivilen Teil. Rund um diese Eingänge - aber auch entlang der Sprengschutzwände, die das Gelände umgeben - harren Tausende Menschen aus oder versuchen irgendwie, auf das Gelände zu gelangen.
International ist die Sorge groß. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sprach von einer „Katastrophe für die Werte und die Glaubwürdigkeit des Westens“. Man habe dabei versagt, das Land auf seinem Weg zu einen modernen Staat zu begleiten.
Den Vereinten Nationen zufolge fehlen mindestens 700 Millionen Euro an Spenden zur Unterstützung der Menschen in Afghanistan. Italien will einem Zeitungsbericht zufolge einen Sondergipfel der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) einberufen. Für nächste Woche ist zudem eine Videokonferenz der G7-Staats- und Regierungschefs im Gespräch. (dpa/AFP)