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Evakuierte aus Kabul nach der Landung in Taschkent an Bord einer Bundeswehr-Maschine
© dpa/Marc Tessensohn/Bundeswehr
Update

Evakuierung aus Afghanistan: Bundeswehr bringt weitere 500 Menschen nach Deutschland

Die Evakuierung von Deutschen und Afghanen geht weiter. Gerettete berichten von Schrecken in Kabul. Die Linke fordert Hilfe jenseits der Hauptstadt.

Die Bundeswehr setzt ihre Bemühungen zur Evakuierung deutscher Staatsbürger und afghanischer Ortskräfte aus Kabul fort. Am Frankfurter Flughafen landeten in der Nacht zum Donnerstag zwei weitere Maschinen mit insgesamt rund 500 Menschen, die aus Afghanistan in Sicherheit gebracht worden sind.

Die Flugzeuge - eines von Lufthansa und eines von Uzbekistan Airways - waren wenige Stunden zuvor in der usbekischen Hauptstadt Taschkent gestartet. An Bord der Lufthansa-Maschine waren nach Airline-Angaben rund 250 Menschen, die zuvor mit einer Bundeswehr-Maschine von Kabul nach Taschkent geflogen worden waren. Im Flieger der staatlichen Fluggesellschaft Uzbekistan Airways saßen laut Auskunft des Flughafenbetreibers etwa 240 Menschen.

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Zuvor war laut Bundesverteidigungsministerium ein weiterer A400M direkt aus Deutschland über Baku nach Kabul geflogen. Zusätzlich „zu den an Bord befindlichen Paletten mit Versorgungsmaterial aus Deutschland“ seien dort noch 15 zu evakuierende Personen aufgenommen worden, bevor die Maschine nach Taschkent flog. Mehrere Militärtransporter der Bundeswehr pendeln zwischen Kabul und der usbekischen Hauptstadt Taschkent, von wo aus die Evakuierten ihren Weiterflug nach Deutschland antreten sollen.

Die Taliban hatten in den vergangenen Wochen viel schneller als erwartet die Macht in Afghanistan übernommen. Jetzt versuchen Deutschland und andere westliche Staaten in Hauruck-Aktionen, ihre Bürger und afghanische Helfer außer Landes zu bringen. Wegen chaotischer Zustände am Flughafen Kabul hatte der Evakuierungseinsatz am Montag schleppend begonnen. Inzwischen hat sich die Lage etwas entschärft und das Rollfeld kann durchgehend für Starts und Landungen genutzt werden

Gerettete berichten von Schüssen und Toten in Kabul

Nach ihrer Landung in Deutschland berichteten Passagiere von schlimmen Erlebnissen und chaotischen Verhältnissen am Flughafen in Kabul. Er habe Tote gesehen und Schüsse gehört. „Es ist schrecklich“, sagte Mahmud Sadjadi. „Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit. Nur Chaos“, beschrieb er die Zustände in Kabul.

Der Mann aus dem Westerwald war zuvor mit dem Evakuierungsflug der Lufthansa nach Frankfurt geflogen worden. Sadjadi, der sich drei Wochen in Kabul aufgehalten hatte, sagte, insbesondere am Flughafen der afghanischen Hauptstadt sei es gefährlich. „Man muss beispielsweise auch durch eine Barriere der Taliban durchgehen.“ Afghanische Sicherheitskräfte hätten geschossen. Er habe mitbekommen, wie Menschen gestorben seien. Ohne Pass sei kein Durchkommen zum Flughafen möglich gewesen.

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Ein anderer Passagier, der seinen Namen nicht nennen wollte, berichtete von organisatorischen Schwierigkeiten bei der Rückkehraktion. „Die Situation ist schwer und nicht leicht unter Kontrolle zu bringen“, sagte er. Die Menschen in Afghanistan bräuchten aber Hilfe. „Die Welt muss den afghanischen Leuten helfen.“

Der Passagier Sadjadi dankte der Bundesregierung für die Rettung, beklagte aber auch fehlende Informationen. „Es gab keine Informationen, wo wir uns sammeln müssen, wann wir uns sammeln müssen.“ Man sei allein gelassen worden, auf seine Mails habe er keine Antwort bekommen. Andere Länder hätten ihre Leute mit Bussen eingesammelt und zum Flughafen gebracht. „Gott sei Dank ist alles gut gegangen.“

Dennoch denke er an die vielen Menschen, die noch in Afghanistan seien. Die Situation sei schrecklich, sagte Sadjadi, der in Frankfurt von seinen Kindern empfangen wurde. „Das Billigste, was es gibt, ist das Leben eines Afghanen“, sagte der Deutsche mit afghanischen Wurzeln. Mit dem Land würde ein schreckliches Spiel gespielt. Er selbst habe noch Familie in Afghanistan, seine Geschwister lebten dort.

Linke fordert Rettungsaktion auch jenseits von Kabul

Die Linke fordert eine Ausweitung der laufenden Evakuierungen von gefährdeten Menschen in Afghanistan über die Hauptstadt Kabul hinaus. „Die meisten Ortskräfte, Lehrerinnen oder auch mutige Lokalpolitikerinnen oder Journalistinnen leben nicht in Kabul, sondern verteilt über die Provinzen Afghanistans“, sagte Fraktionschef und Spitzenkandidat Dietmar Bartsch der Deutschen Presse-Agentur. „Die bereits existierenden Verabredungen mit den Taliban sollten schleunigst ausgeweitet werden.“

Nach Angaben des Nationalen Sicherheitsberaters von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, hatten die militant-islamistischen Taliban zugesagt, Zivilisten unbehelligt zum Flughafen in Kabul zu lassen, damit sie das Land verlassen könnten. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes hatte am Mittwoch gesagt, man habe nur in Kabul die Möglichkeit, Menschen auszufliegen und auch dort nur, wenn sie es zum Flughafen schafften. Für Deutschland führt der Botschafter in Afghanistan, Markus Potzel, nach Angaben von Außenminister Heiko Maas (SPD) derzeit im Golf-Emirat Katar Gespräche mit Taliban-Vertretern.

Es müsse geprüft werden, wie Evakuierungen auch über andere Flughäfen, mit Transporthubschraubern oder auch über Straßen aus Städten wie Masar-i-Scharif, Kundus oder Kandahar möglich würden, forderte Bartsch. „Die Nato-Staaten sind es ihren Ortskräften und Familien schuldig, alles in Bewegung zu setzen, um sie zu retten.“

Bartschs Co-Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl und Parteichefin Janine Wissler sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe mit Blick auf mögliche Flüchtlingsbewegungen, es sei zu befürchten, dass nur sehr wenige Menschen das Land überhaupt verlassen könnten. „Als reichster Staat in der Europäischen Union muss Deutschland natürlich einen großen Teil dieser Menschen aufnehmen, die jetzt aus Afghanistan kommen. Kapazitäten dafür sind vorhanden.“ (dpa)

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