Costa Rica und der Klimawandel (1): Kleines Land, große Rolle
Costa Rica hat sich viel vorgenommen. Das kleine mittelamerikanische Land will seine Wirtschaft bis 2100 vom Kohlendioxid befreien - und so ein Vorbild werden.
Costa Rica ist ein grundsympathisches Land: Schon 1948 hat Costa Rica seine Armee abgeschafft. Das Land wird solide demokratisch regiert. Jeder Präsident und jede Präsidentin bekommt genau eine Chance, nach vier Jahren darf er oder sie nicht erneut antreten. 1987 ist der ehemalige Präsident Oscar Arias mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden, weil er sich sehr und letztlich um die Friedensprozesse der chaotischen Nachbarländer der „Schweiz Mittelamerikas“ bemüht hatte. Der Umweltschutz und der Einsatz für ein besseres Weltklima gehören zur allseits akzeptierten Staatsdoktrin in Costa Rica.
Am 23. September hat Costa Rica seinen nationalen Klimaschutzplan (Intended National Determinded Contribution) oder INDC vorgelegt. Und wieder ist er vergleichsweise ehrgeizig ausgefallen. Die INDCs sind die Grundlage für den neuen globalen Klimavertrag, der Anfang Dezember in Paris fertig ausgehandelt werden soll. Mehr als 150 Staaten haben ihre Klimaschutzpläne vorgelegt. Costa Rica hat sich mit dem seinen ganz an den wissenschaftlichen Notwendigkeiten orientiert – und nicht daran, was andere machen. Um die globale Erwärmung unter zwei Grad im Vergleich zum Beginn der Industrialisierung zu halten – darauf hat sich die Weltgemeinschaft inzwischen geeinigt – müsste auch das Niedrig-Emissionsland Costa Rica seinen Treibhausgasausstoß bis 2100 auf Null setzen, also seine Wirtschaft vom Kohlendioxid (CO2) befreien, oder wie es im Beschluss der Gruppe der sieben wichtigsten Industriestaaten von Elmau im Sommer heißt: die Weltwirtschaft in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts „dekarbonisieren“. Das hat sich Costa Rica vorgenommen. Im INDC heißt es wörtlich: "Costa Rica will ein Labor für die Weltwirtschaft für den Prozess der tiefgehenden Dekarbonisierung werden."
Klimaschutz hat Tradtion
Der klimapolitische Ehrgeiz Costa Ricas hat Tradition. Der schon erwähnte Oscar Arias, der einzige Präsident, der zunächst von 1986 bis 1990 und noch einmal von 2006 bis 2010 regieren durfte, hat 2007 das Ziel ausgegeben, zum 200. Geburtstag Costa Ricas als unabhängiges Land im Jahr 2021 „klimaneutral“ zu werden. Klimaneutralität wird in diesem Zusammenhang etwas eigenwillig interpretiert, denn tatsächlich lautet das Ziel: 2021 soll Costa Rica wieder bei einem Kohlendioxidausstoß angelangt sein, wie er 2005 an das UN-Klimasekretariat in Bonn gemeldet worden ist. Im neuen INDC wird nun festgehalten, dass der CO2-Ausstoß pro Kopf und Jahr bis 2030 nicht höher als 1,73 Tonnen liegen soll, 2050 soll der jährliche Pro-Kopf-Ausstoß auf 1,19 Tonnen sinken und 2050 sollen es noch 0,27 Tonnen pro Kopf und Jahr sein. Absolut bietet Costa Rica im Vergleich zu 2012 eine Emissionsminderung um rund 25 Prozent an. Das wären im Jahr 2030 rund 9,3 Millionen Tonnen CO2, im Jahr 2012 waren es 12,4 Millionen Tonnen. Zum Vergleich: Allein das schmutzigste deutsche Kohlekraftwerk Neurath produziert mehr als 16 Millionen Tonnen CO2 im Jahr.
Beim Wald hat sich Costa Rica verschätzt
Als Oscar Arias sein Ziel ausgab, dachte er noch, dass sich der CO2-Ausstoß der gerade mal 4,8 Millionen Einwohner Costa Ricas mit der Aufforstung von degradierten Waldflächen gegenrechnen ließe. „Da haben wir uns allerdings deutlich verschätzt“, sagt Professor Lenin Corrales von der Universität der Hauptstadt San José. Costa Rica kämpft seit Jahrzehnten um seine Wälder. 1987 waren gerade noch 21 Prozent des Landes mit Wäldern bedeckt, 2014 waren es wieder 52 Prozent. Bis auf 60 Prozent Waldfläche will Costa Rica bis 2030 wieder kommen. Allerdings ist der Minderungsbeitrag der Wälder beim CO2 kleiner als angenommen, „weil die Wälder schon älter sind und deshalb beim Wachstum nicht mehr so viel CO2 aufnehmen können“, sagt Corrales. Doch wegen des ehrgeizigen Ziels von 2007 „sind die Industrie, die Landwirtschaft und auch die ganze Bevölkerung längst darauf vorbereitet, dass sich Dinge verändern müssen“, berichtet er weiter.
Das Land ächzt unter seinem Verkehr
Das größte Problem ist für Costa Rica der Verkehr. Die Emissionen aus dem Verkehr wachsen beständig. Auf 1000 Einwohner kommen 244 Autos, „das ist für Lateinamerika ein sehr hoher Wert“, meint Corrales. Zum Vergleich in Deutschland kommen nach Angaben des Kraftfahrtbundesamts 665 Autos auf 1000 Einwohner. Aber im Nachbarland Nicaragua sind es nach Weltbankangaben gerade mal 52 Autos pro 1000 Einwohner.
Die Stromversorgung war in diesem Jahr schon fast ein halbes Jahr lang 100 Prozent erneuerbar und komplett CO2-frei. Mehr als 90 Prozent des Stroms in Costa Rica werden aus Wasserkraft hergestellt, dazu kommen einige Windparks und wenige Biogasanlagen sowie nahezu keine Solaranlagen, obwohl das Potenzial für Fotovoltaik bei rund zehn Gigawatt Leistung läge. Insgesamt sind in Costa Rica derzeit 2,7 Gigawatt Stromerzeugungsleistung installiert – einschließlich einiger Schwerölkraftwerke, die aber nur dann angeworfen werden, wenn eine lang anhaltende Dürre herrscht und die Wasserkraftwerke zu wenig Strom liefern.
Bauern bekommen Geld, wenn sie Bäume pflanzen
Da es bei der Stromversorgung nichts zu tun gibt, muss Costa Rica Lösungen für seine Verkehrsprobleme finden und die Landwirtschaft klimafreundlicher machen. Bauern, die Vieh halten, bekommen beispielsweise Anreize, statt der Weidewirtschaft lieber Bäume zu pflanzen und Wälder entstehen zu lassen. Das wird aus der Benzinsteuer vergütet. Solche Vergütungen gibt es auch, wenn Bauern oder Förster die Bäume stehen lassen, anstatt sie zu roden.
Monica Araya, die früher Klimaverhandlerin für Costa Rica war, bis sie von der vorhergehenden Regierung gefeuert wurde, weil sie den geplanten Bau einer weiteren Raffinerie kritisiert hatte, ist mit dem INDC Costa Ricas ziemlich zufrieden. In einer ersten Bewertung für das von ihr gegründete Nivelas-Institut lobt sie, dass das Land keine Bedingungen gestellt hat. Weder macht es sein Klimaangebot von finanziellen Zusagen noch von Klimaschutzleistungen anderer Länder abhängig. „Das ist deshalb bemerkenswert, weil Costa Rica eine Volkswirtschaft ist, die wenig CO2 ausstößt und mit überproportional hohen Schäden durch den Klimawandel rechnen muss. Es wäre also viel einfacher, sich zu beklagen, anstatt selbst zu handeln“, schreibt sie.
Die Folgen des Klimawandels sind vor allem an der karibischen Atlantikküste zu sehen. Dort steigt der Meeresspiegel zwischen zwei und drei Millimeter jährlich, haben die Messungen ergeben. Das Ergebnis: Die einst endlosen weißen Strände sind schon weitgehend verschwunden, überspült vom Meer. Und immer mehr große Bäume werden vom Meer unterspült und stürzen kreuz und quer über das, was vom Strand noch übrig ist. An der Pazifikküste ist der Anstieg des Meeresspiegels langsamer, um rund 1,5 Millimeter steigt er dort jährlich. Aber weil das Meer wärmer wird, steigt das Risiko von Stürmen und Sturmfluten. Dass auch in Costa Rica nicht alles super läuft, ist das Thema des nächsten Blogeintrags zu Costa Rica und dem Klimawandel.
Die Autorin hält sich auf Einladung der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) derzeit in Costa Rica auf.