Flüchtlingspolitik: Kirchenvertreter werben für „humanitäre Korridore“
Nach Vorbild eines italienischen Projekts könnten auch in Deutschland kirchliche Organisationen Flüchtlinge aufnehmen - und die gefährliche Fahrt übers Mittelmeer verhindern.
Es ist ein Pilotprojekt, das wohl nicht die gesamte Flüchtlingskrise lösen kann – aber möglicherweise Flüchtlinge vor dem Ertrinken im Mittelmeer rettet. Seit dem Beginn des Jahres nehmen kirchliche Organisationen in Italien Flüchtlinge aus Syrien, Eritrea, Somalia, dem Südsudan und weiteren afrikanischen Ländern auf. Am Montag setzten sich in Berlin deutsche Kirchenvertreter dafür ein, derartige „humanitäre Korridore“ auch hierzulande einzurichten.
Das italienische Pilotprojekt geht auf eine Vereinbarung zwischen dem italienischen Innen- und Außenministerium sowie der katholischen Laiengemeinschaft Sant’Egidio, der Union der Evangelischen Kirchen in Italien und der Waldenser-Tafel zurück. Nach der Vereinbarung sollen insgesamt 1000 Flüchtlinge direkt aus Lagern im Libanon, Marokko und Äthiopien aufgenommen werden. Wie Ursula Kalb von Sant’Egidio Deutschland am Montag erläuterte, werden die ersten Monate des Pilotprojektes komplett von den kirchlichen Trägern finanziert. „Das Projekt verhindert die gefährliche Überfahrt über das Meer und rettet damit Menschenleben“, sagte sie. Kalb warb dafür, den Modellversuch der „humanitären Korridore“ auch in Deutschland und anderen EU-Staaten zu verwirklichen.
Landesbischof Dröge und sein katholisches Gegenüber Koch begrüßen Pilotprojekt
Berlins evangelischer Landesbischof Markus Dröge begrüßte im Grundsatz das Projekt. Dröge sprach sich dafür aus, die humanitären Aufnahmeprogramme für syrische Flüchtlinge in den Bundesländern neu aufzulegen. Es sei zu begrüßen, wenn nicht nur Privatpersonen Verpflichtungen zur Aufnahme von Flüchtlingen übernehmen. „Es wäre auch möglich, dass Kirchengemeinden dies tun“, sagte Dröge.
Auch der katholische Erzbischof von Berlin, Heiner Koch, setzte sich mit Blick auf die „humanitären Korridore“ in Italien dafür ein, die weitere Ausdehnung des Pilotprojektes auf Deutschland zu überprüfen. Die Sant’Egidio-Vertreterin Ursula Kalb erläuterte, dass der bestehende aktuelle Rechtsrahmen der EU bereits über die geeigneten Instrumente verfüge, um das Projekt umzusetzen. Den Ländern, die sich an dem Projekt beteiligten, sei es freigestellt, wie viele humanitäre Visa sie ausgeben wollten.
BDI: Gebot zur Flüchtlingshilfe und Zuwanderungsfragen nicht vermengen
An der öffentlichen Vorstellung des Pilotprojektes nahm auch Markus Kerber, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), teil. Er warnte davor, das humanitäre Gebot zur Aufnahme von Flüchtlingen mit der Frage der wirtschaftlichen Notwendigkeit von Zuwanderung zu vermengen. Kerber forderte, dass das Pilotprojekt der humanitären Korridore ein Bestandteil eines Gesamtkonzeptes in der Flüchtlingspolitik sein müsse, das auch die Ursachen der Migration in den Blick nehme. Nach den Worten des BDI-Hauptgeschäftsführers werde die Hilfe für die Herkunftsstaaten der Flüchtlinge „sehr, sehr viel Geld kosten“.