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Das Verfahren bringt Manuela Schwesig in eine Doppelrolle - als Kritikerin der Herdprämie und als beklagte zuständige Ministerin
© Felix Zahn/dpa

Herdprämie vor Gericht: Kindern ist egal, wer kocht - Frau Schwesig auch

Das umstrittene Betreuungsgeld wird zu einem Fall für das Bundesverfassungsgericht, weil die SPD und die heutige Familienministerin ein Drama aus ihm machten. Dabei war es der Partei nie wichtig genug, dafür die Koalition zu riskieren. Doch jetzt gibt es die Chance, das Gesetz mit Karlsruher Mitteln zu kippen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Schlimmer als das Betreuungsgeld müssten in der Logik seiner Kritiker diejenigen sein, die es in Anspruch nehmen: Rückwärtsgewandte, Unemanzipierte, Fortschrittsverweigerer. Etwas zwischen Islamist und Allgäuer Hausfrau. Dass überwunden Geglaubtes fortbesteht, zeigen jedoch bundesweit hunderttausende Anträge auf die umstrittene Sozialleistung, sogar in der Kitastadt Berlin. Massen von Zwei- und Dreijährigen, die für 150 Euro Herdprämie zu Hause dumm gehalten statt mit öffentlichen Mitteln frühbeschult zu werden.

Oder sind die Eltern samt Kinder doch nicht so blöd und retro? Und ist das überwunden Geglaubte eher ein Ergebnis aktueller Willensentschlüsse, die sich in Friedenauer Akademikerhaushalten ebenso ereignen können wie in Neuköllner Migrantenfamilien? Man weiß es nicht genau. Deshalb gibt es Politik. Sie organisiert das Gemeinwesen, auch wenn man alles nicht so genau weiß.

Weil politischen Rechthabern dies nicht reicht, findet sich das Betreuungsgeld am Dienstag vor dem Bundesverfassungsgericht wieder. Eine Normenkontrollklage aus Hamburg, die nun ausgerechnet von jenem Ministerium abgewehrt werden soll, an dessen Spitze mit Manuela Schwesig eine ausgewiesene Gegnerin der von der CSU durchgedrückten Familienleistung steht. Ihre Gesandten werden jene mit derselben Leidenschaft verteidigen, mit der ein geschmierter Boxer von Runde eins an durch den Ring taumelt. Geht die Regierung k.o., hat Mutti künftig wieder weniger zum verkochen. Die deutsche Sozialdemokratie würde dies als wichtiges Signal auf dem Weg in die Moderne begrüßen.

Dass es so kommt, ist durchaus möglich. An der Zuständigkeit des Bundes bestehen ernsthafte kompetenzrechtliche Zweifel, die wohl auch den Bundespräsidenten bewogen hatten, bei der Ausfertigung des Gesetzes die Stirn zu runzeln. Wie die Verhandlungsgliederung zeigt, werden die Richter auch in das Hamburger Lieblingsthema einsteigen, einen möglichen Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes, weil es selten Männer sind, die zu Hause bleiben. In ihren Entscheidungen zum Elterngeld haben die Richter ihn als Auftrag interpretiert, „überkommene Rollenverteilungen zu überwinden“. Da ist es wieder, das Überwinden. Identifizieren die Richter es weiterhin als verfassungsrechtliches Programm, wären sie ganz auf Linie der Hamburg-Schwesig-Allianz.

Das Betreuungsgeld war für die SPD nicht so wichtig, als dass sie dafür die Koalition riskiert hätte, es ist aber wichtig genug, um es vor Gericht zu bringen. Das muss kein Widerspruch sein, so läuft Politik, wenn sie mit den Mitteln des Rechts weitergeführt wird. Aber man sollte nicht so tun, als handele es sich um gesellschaftlich Entscheidendes. Kinder müssen essen. Wer kocht, ist letztlich egal.

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