Starke-Familien-Gesetz: Kinderarmut muss man mit weniger Bürokratie bekämpfen
Die Grundidee des Kinderzuschlags ist richtig. Doch viele Eltern scheitern schon am 23 Seiten langen Merkblatt. Ein Kommentar zum Starke-Familien-Gesetz.
Die Statistiken sind ernüchternd: Jedes fünfte Kind in Deutschland ist von Armut bedroht, im Osten sogar jedes vierte. Als arm gilt laut offizieller Definition, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat. Für eine Familie mit zwei Kindern lag die Grenze zuletzt bei etwa 2100 Euro im Monat. Im Alltag heißt das viel zu oft, dass jede Ausgabe mehrmals überdacht werden muss – seien es die neuen Turnschuhe fürs Fußballspielen oder das Geburtstagsgeschenk für die Klassenkameradin.
Es ist deshalb überfällig, dass die Bundesregierung nicht nur das Kindergeld anhebt, sondern auch gezielt etwas für die Familien tut, die an der Armutsgrenze leben. Familienministerin Franziska Giffey verspricht, mit dem nun vorgelegten „Starke-Familien-Gesetz“ das Leben von Familien zu verbessern, in denen das Geld trotz Arbeit knapp ist. Ab Juli dieses Jahres soll der Kinderzuschlag angehoben werden, von 170 Euro pro Kind im Monat auf 185 Euro. Das soll verhindern, dass Eltern mit einem niedrigen Einkommen wegen ihrer Kinder auf Hartz IV angewiesen sind. Außerdem sind Verbesserungen beim Bildungspaket geplant.
Doch auch wenn dies ein erster Schritt ist, reicht er nicht aus. Zwar war die Grundidee des Kinderzuschlags bei der Einführung 2005 genauso richtig wie heute. Die allgemeinen familienpolitischen Leistungen so zu ergänzen, dass gezielt diejenigen Unterstützung erhalten, die sonst durchs Raster fallen würden, ist sinnvoll. Das Problem ist allerdings, dass der Zugang zum höheren Zuschlag schwierig ist. Nicht alle Familien, die ihn nötig hätten, profitieren davon. Laut Schätzungen bekommt nur ein Drittel der Berechtigten die Unterstützung.
Viele scheitern an komplizierten Anträgen
Das liegt auch daran, dass viele Eltern den Kinderzuschlag entweder nicht kennen oder an den komplizierten Anträgen scheitern. Allein das Merkblatt zur Übersicht, das vom Familienministerium herausgegeben wird, umfasst 23 Seiten. Bei den Jamaika-Sondierungen nach der letzten Bundestagswahl war deshalb auch eine Idee der Grünen in der Diskussion, nach dem die Familienkassen die Leistung automatisch ausgezahlt hätten, wenn die Voraussetzungen vorliegen. Weniger Bürokratie – damit könnte der Staat Alleinerziehende ebenso wie Paare mit Kindern entlasten und mehr Kindern zu ihrem Anspruch verhelfen.
Einen anderen Konstruktionsfehler will die Familienministerin beheben: Bisher haben Eltern wegen der starren Einkommensobergrenzen (600 Euro für Alleinerziehende, 900 Euro für Paare) den Anspruch verloren, sobald sie im Monat einen Euro mehr verdient haben. Am Ende standen sie finanziell dann sogar schlechter da als zuvor. Stattdessen soll der Zuschlag nun schrittweise geringer werden und erst komplett auslaufen, wenn die Eltern ihn nicht brauchen.
Auch beim Bildungspaket sieht es ähnlich zwiespältig aus. Ein höherer Zuschuss für Schreibmaterial oder einen Ranzen zum Schuljahresbeginn, keine Zuzahlungen mehr fürs Schulmittagessen oder das Schülerticket – all das sind vernünftige Maßnahmen, die vielen Familien im Alltag helfen können. Doch auch hier ist es bisher so, dass nicht alle Eltern die Leistungen beantragen.
Es wäre vernünftig, wenn die Koalition noch einmal bei der Bürokratie ansetzen würde. Dann könnte aus dem „Starke-Familien-Gesetz“ ein Gesetz werden, das wirklich alle bedürftigen Familien stärkt.
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