Geburtenraten: Kinder, Kinder
Dass mehr Paare Nachwuchs bekommen, hat auch mit Maßnahmen der Politik zu tun, aber nicht nur. Ein Kommentar
Da war die SPD mal ganz vorne. Als Sigmar Gabriel im Frühjahr auf SPD-Kanzlerkandidatur und Parteivorsitz zugunsten von Martin Schulz verzichtete, begründete er das auch damit, mehr Zeit für die Familie haben zu wollen. Da war gerade die zweite Tochter geboren. Lieber mehr mit Kindern spielen, als sich für die Partei aufreiben. Politisch war das wegen beständiger Kritik am SPD-Chef zwar nicht die reine Wahrheit, aber immerhin. Ein Signal war es schon – jedenfalls, bis Gabriel den noch reise-intensiveren Job des Außenministers übernahm.
Das Leben ist konkret eben doch viel komplizierter und widersprüchlicher, als es sich Frauen und Männer wünschen. Die gute Nachricht aber ist, dass Frauen in Deutschland trotzdem wieder mehr Kinder bekommen. Der Trend zur Kinderlosigkeit, der viele Jahre immer wieder die Politik beschäftigte, scheint gebrochen zu sein, melden die Statistiker. 2015 lag die durchschnittliche Geburtenziffer wieder bei 1,5 Kindern pro Frau – das gab es 1982 zum letzten Mal. Und ging ein leichter Anstieg 2014 noch auf die Zuwanderung zurück, sind es nun die in Deutschland geborenen Frauen, die Kinder kriegen. Vor allem bei gut gebildeten Frauen wächst der Mut zum Kind.
Ein Kinderparadies ist Deutschland damit immer noch nicht – da vermittelt der Augenschein in Berliner Trendkiezen, wo gefühlt jede zweite Frau oder Mann einen Kinderwagen schiebt, ein falsches Bild: Die Rate der Kinderlosigkeit bleibt in Europa immer noch eine der höchsten. Aber dennoch – da deutet sich eine Zeitenwende an. Um bei der Politik zu bleiben: Selbst im Bundestag sieht man Kinderwagen vor dem Plenarsaal stehen. In der abgelaufenen Wahlperiode wurden 21 Parlamentarierinnen während ihrer Mandatszeit auch Mütter.
Hat also das 2007 von Ursula von der Leyen eingeführte Elterngeld seine Wirkung entfalten? So leicht ist der Zusammenhang mit der steigenden Gebärfreude dann doch nicht herzustellen. Das Elterngeld war ein Baustein – doch es brauchte davon viele, um einem gesellschaftlichen Wandel ein standfestes Fundament zu geben. Auch der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz war wichtig, um den Städten und Kommunen Druck zu machen.
Trotzdem geht es nicht vorrangig um mehr Geld oder um steuerliche Besserstellung von Menschen mit Kindern. Es geht etwa um Zeit. Und um gesellschaftliche Anerkennung der Väter und Mütter, die sich für Kinder entschieden haben und nicht entmutigen lassen von den Erschwernissen, die Kinder (neben der Freude) eben auch bedeuten. Es ist immer noch eine mutige Entscheidung, trotz garantierter Elternzeit und Elterngeld plus. Wer mehr Kinder in Deutschland will, muss die Mütter, aber auch die Männer noch stärker unterstützen. Den Männern Mut machen, weniger zu arbeiten und die Zeit mit den Kindern eben nicht als Karriereknick zu fürchten. Mut, sich der traditionellen Männerrolle zu verweigern. Da hat sich bei Vätern viel getan.
SPD und CDU werden im Wahlkampf versuchen, sich den Babyboom als Erfolg zuzuschreiben. Ja, Politik hat ihren Anteil am Wandel. Insgesamt aber ist das eher einer leisen gesellschaftlichen Revolution geschuldet. Als Erbe der Emanzipationsbewegung haben sich die Beziehungsstrukturen heute grundsätzlich geändert. Was früher bitterer Geschlechterkampf war, oft genug mit der Abwehr eines als negativ empfundenen Mutterbildes und dem Schrecken einer isolierenden Kleinfamilie verbunden, ist weithin einem Beziehungsideal gewichen, in dem Frauen auch mit Kindern ganz selbstverständlich ihre Freiräume und Entwicklungschancen beanspruchen.
Veränderte Wertvorstellungen der jüngeren Generation, die ganz individuell die Balance zwischen Arbeit und privaten Lebensinhalten neu justieren, haben ebenfalls zur gestiegenen Geburtenrate beigetragen. Schneller beruflicher Erfolg und hohes Einkommen haben an Wert verloren: Kinder bedeuten eben auch Lebens-Reichtum. Es kommt nicht von ungefähr, dass sich jetzt eine Generation häufiger für Kinder entscheidet, die selber vielfach in von den Auswirkungen der rebellischen 68er-Generation geprägten Elternhäusern eine repressionsfreie und glückliche Kindheit erfahren hat. Der selbstbewussten Generation hilft bei ihrer Entscheidung für Kinder freilich auch, dass die gute Wirtschaftslage, in der Unternehmen händeringend nach qualifiziertem Personal suchen, es einfacher macht, nach einer Kinderpause auch im Job wieder voranzukommen.
Ohne die Politik aber geht es natürlich nicht. Die Entscheidung fürs Baby erleichtert die Gewissheit, dass es genügend Krippenplätze, ausreichend viele Kitas und gute Schulen gibt. Unterstützend ist auch ein Wohnungsbau, der Bedürfnisse von Familien mehr berücksichtigt bis hin zu Kinderwagen-Stellplätzen. Dafür hat der Staat zu sorgen. Zu tun ist noch einiges. Ein Rückkehrrecht von Teilzeit in die vorher besetzte volle Stelle etwa. An dieser Aufgabe ist die CDU/CSU/SPD-Koalition in der ablaufenden Wahlperiode gescheitert.
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