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Selbstgefällig. Kim Un Jong im Kreise seiner Militärs.
© AFP

Sigmar Gabriels Vorstoß: Kim Jong Un verdient keine Entspannungspolitik

Sigmar Gabriel schlägt für Nordkorea eine andere Herangehensweise vor und erinnert dabei an die KSZE. Doch dieser Vergleich ist schräg. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Bernhard Schulz

Raketen-„Tests“ zündet Nordkorea mittlerweile im Tagesabstand. Als ob es noch um das Testen der Funktionstüchtigkeit ginge. Das vielleicht auch – vor allem geht es aber darum, „den“ Westen zu testen, voran die USA. Wie weit kann er gehen, der Diktator Kim Jong Un, bis ihm ein endgültiges Stoppsignal gezeigt wird? Damit pokern nicht nur er und die Generäle seiner irrwitzig hochgerüsteteten Armee. Darüber rätselt die ganze Welt – und schaut auf US-Präsident Trump, der am heutigen Dienstag vor der UN-Vollversammlung spricht.

Unterdessen hat Bundesaußenminister Sigmar Gabriel zum Abschluss seines China-Besuchs in einem Interview Bemerkenswertes zu Nordkorea gesagt. Das Land benötige „eine andere Sicherheitsgarantie als die Atombombe“, so Gabriel unter Verweis auf die Entspannungspolitik in Europa und die KSZE.

Das ist ein interessanter Bezug. Denn die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa war der institutionelle Rahmen, in dem die Entspannungspolitik organisiert werden konnte; am Ende, mit der Schlussakte von Helsinki des Jahres 1975, so sehr, dass die oppositionellen Kräfte in den Ländern des Ostblocks, des Warschauer Pakts, sich unter Berufung auf Helsinki ungeahnte Freiräume verschaffen und anderthalb Jahrzehnte später den Zerfall der kommunistischen Herrschaft feiern konnten.

Kim will eine Überlebensgarantie für seine Dynastie

Ob Gabriel das schon im Sinn hatte, als er der „Bild“ besagtes Interview gab? So, wie der Außenminister in der SPD politisch sozialisiert und groß geworden ist, darf, nein muss man es annehmen. Namentlich erwähnte Gabriel denn auch Willy Brandt, dessen unstrittiger Platz in den Geschichtsbüchern zuvörderst im Kapitel „Entspannungspolitik“ zu finden ist.

Vergleiche fordern genaues Hinsehen. Wenn Gabriel von einer „Sicherheitsgarantie“ analog derer spricht, die im Rahmen der KSZE bekräftigt wurde – Unantastbarkeit der Grenzen, Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten –, dann muss ein solch großes Wort angesichts des Hasardeurs in Pjöngjang doch arg verwundern. Natürlich zielt Kim Jong Un mit seinen Raketenabschüssen genau darauf: dass die Welt ihm das Überleben seiner Dynastie zusichert, um jeden Preis – auch den, dass sein Volk weiterhin in schlimmster Unterdrückung und Ausbeutung gehalten wird.

Das ist etwas ganz anderes, als was die KSZE Mitte der siebziger Jahre anzuerkennen bereit war; ungeachtet des Einmarsches in die CSSR vom August 1968, dessen Erschütterungen schließlich in die Politik der Vernunft und der Selbstbeschränkung führte, die in Helsinki vertragliche Form gewann. Damals herrschte das „Gleichgewicht des Schreckens“; und ein labiles Gleichgewicht war es bereits seit den endvierziger Jahren, gefährdet in Krisen wie jenen um Berlin 1958 und 1961, in Ungarn 1956 und der CSSR 1968. Den Griff zu den Atomwaffen so weit als möglich auszuschließen, bei Anerkennung der bestehenden Verhältnisse innerhalb Europas, war das Ziel – ein Patt unter Gleichen, gleich zumindest, was die Waffenarsenale betraf.

In Nordkorea gibt es keine Opposition

Doch Brandt (samt Egon Bahr) und die SPD dachten weiter. Die Formel lautete „Wandel durch Annäherung“. Die Sicherheitsgarantie, die der Westen dem Osten zu geben bereit war, sollte ein Aufweichen der harten Abschottung, ein Lüften des Eisernen Vorhangs bewirken. Hat es auch. Dass die SPD dabei in den 80er Jahren zu weit ging und die militärische Sicherheitsgarantie als eine politisch-ideologische Bestandsgarantie, jedenfalls für die SED und ihre DDR, umzudeuten begann – Stichwort „Friedensgespräche“, etwa zwischen den beiden Berliner Akademien 1983 –, ist der Opposition im Osten übel aufgestoßen. Von einer Opposition im heutigen Nordkorea ist nichts bekannt, und wenn es je eine gab, sitzt sie längst in Kims Gulag – aber ist es darum erlaubt, dem Regime des vermeintlich Irren eine Bestandsgarantie zu geben? Schließlich stellt niemand die Grenzen seines Staates in Frage, wohl aber die Legitimität seiner Diktatorenherrschaft.

Wer Entspannungspolitik sagt, muss im Übrigen auch den Nato- Doppelbeschluss erwähnen. Die – anders als Brandt – mit der deutschen Teilung schlussendlich versöhnte SPD der 80er Jahre hat das nicht verstehen wollen. Entspannung bedeutet Abrüstung, aber nicht einseitige Preisgabe, wie sie angesichts der sowjetischen Hochrüstung drohte. Was das im Falle Nordkoreas bedeuten kann, weiß noch niemand zu beantworten. Für eine Sicherheitsgarantie als Bestandsgarantie jedenfalls fehlen alle Voraussetzungen.

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