Vor Steinmeier-Besuch in Sudan: Khartum unterstützen, aber Blauhelm-Mission in Darfur verlängern
Die politische Transformation ist fragil und verdient Rückhalt. Aber im Süden herrscht Gewalt und die UN-Truppen müssen bleiben. Ein Gastbeitrag.
Wibke Hansen leitet den Bereich Analyse beim Zentrum für internationale Friedenseinsätze (ZiF), Volker Perthes leitet die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP)
Deutschland hat sich richtigerweise entschieden, die politische Transformation im Sudan zu unterstützen. So wird der Bundespräsident Ende Februar Khartum besuchen, und die deutsche Entwicklungshilfe für Sudan soll wiederaufgenommen werden. Dort wurde im April 2019 der damalige Präsident Omar al-Bashir, der sich knapp 30 Jahre zuvor an die Macht geputscht hatte, nach monatelangen Massenprotesten gestürzt. Jetzt hat die sudanesische Übergangsregierung angekündigt, ihn an den Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag auszuliefern, vor dem er seit 2009 wegen der mörderischen Politik seines Regimes in der Unruheprovinz Darfur angeklagt ist.
Mit diesem Schritt versucht die neue Regierung nicht nur, sich international als verantwortliches Mitglied der Staatengemeinschaft zu präsentieren. Sie will vielmehr auch intern einen deutlichen Schlussstrich unter die Ära Bashir ziehen und ernsthafte Friedensverhandlungen auch mit den Darfur-Rebellen ermöglichen. Deshalb darf die internationale Gemeinschaft – wenn sie den politischen Übergang in Khartum unterstützen will – ihr Engagement um Friedenssicherung in Darfur nicht vorzeitig beenden.
Wirtschaftliche Erholung stärkt Zivilisten in Regierung
Die zivile Übergangsregierung unter dem Ökonomen Abdallah Hamdok muss sich die Macht bis zu Wahlen in 2022 allerdings mit dem Militär teilen. Ob ein echter Systemwandel hin zu einem partizipativen und inklusiven politischen System gelingt, und ob anhaltende bewaffnete Konflikte in Darfur und anderen Provinzen beendet werden können, hängt von der fragilen Kräftebalance zwischen Zivilisten und Militärs, zwischen demokratischen Gruppen, Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Aktivisten auf der einen, Vertreten des alten militärisch-islamistischen Systems auf der anderen Seite ab.
Der Sudan braucht internationale Unterstützung, denn ein Scheitern der Bemühungen um wirtschaftliche Erholung würde die Machtbalance in Richtung des Militärs verschieben, nicht zuletzt zugunsten von General Hamdan Daglo, genannt Hemeti. Er ist Mitglied des paritätisch aus Zivilisten und Militärs gebildeten Souveränitätsrates und Chef der sogenannten Rapid Support Forces (RSF), einer paramilitärischen Truppe. Deren Vorgängerorganisation war das Instrument Bashirs im Bürgerkrieg im Darfur, bei dem seit 2003 schätzungsweise 300000 Menschen ums Leben kamen. Heute setzen die RSF einen Teil ihrer Kämpfer als Söldner im Jemen und in Libyen ein, verfügen damit über reichlich Geld und Anhänger.
In Darfur gibt es 1,8 Millionen Binnenvertriebene
Zum politischen Neuanfang gehören die Bemühungen der Regierung in Khartum, weiterhin offene Konflikte im Land durch Verhandlungen mit diversen Rebellengruppen zu beenden. In Darfur, wo auch heute noch 1,8 Millionen Menschen als Binnenvertriebene gelten, erhält die von den Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union gemeinsam geführte Blauhelm-Mission UNAMID seit 2007 so etwas wie Stabilität.
Ursprünglich für ganz Darfur zuständig und mit über 20000 Soldaten und Polizisten ausgestattet, verfügt die Mission heute noch über etwas mehr als 4000 Blauhelme und 2500 Polizisten, die vor allem in der Bergregion Jebel Marra eingesetzt sind. Hier steht den Regierungstruppen die Rebellenorganisation SLA Abdul Wahid gegenüber. Im Unterschied zu anderen Gruppen beteiligt diese sich bislang nicht an den Friedensgesprächen, die im südsudanesischen Juba geführt werden.
Bereits 2018 legten die Generalsekretäre der Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union dem Sicherheitsrat einen Plan zum Abzug von UNAMID vor. Die Modalitäten waren damals noch mit der Regierung von Bashir verhandelt worden. Der Konflikt war zwar nicht gelöst. Aber Bashir wollte die internationale Präsenz ohnehin loswerden. Mit dem politischen Umbruch in Khartum änderten sich die Rahmenbedingungen auch für UNAMID. Auf Bitte der neuen Regierung, die Zeit für die Friedensgespräche gewinnen wollte, wurde die bereits stark reduzierte Mission bis Oktober 2020 verlängert.
Deutschland hat Federführung bei Entscheidung im UN-Sicherheitsrat
Nun will der UN-Sicherheitsrat bis Ende März über den Abzug und eine mögliche Folgepräsenz entscheiden. Deutschland hat im Sicherheitsrat zusammen mit Großbritannien die Federführung für dieses Dossier. Vor allem die USA drängen hier auf eine Lösung, die kostengünstiger ist. Derzeit ist im Gespräch, UNAMID durch eine rein zivile politische Mission der Vereinten Nationen abzulösen.
Das dürfte allerdings nicht ausreichen. Denn die Sicherheitslage in Darfur ist eben nicht stabil. Anfang Januar kamen aus der Stadt Geneina, aus der die Blauhelme bereits abgezogen waren, 65 Menschen bei interethnischer Gewalt ums Leben, Hunderte wurden verletzt, 46000 Menschen flüchteten. Und eine rein zivile Mission kann zwar die Friedensverhandlungen unterstützen, Polizisten oder Verwaltungskräfte ausbilden, die Menschenrechtslage überprüfen und politische Umbauprozesse begleiten; physischen Schutz kann sie nicht gewähren.
Wenn die Blauhelme gehen, gehen wir auch
Vor allem aber in der Krisenregion Jebel Marra ist die Sicherheitslage prekär, zu einigen Gegenden dieser Region haben die Vereinten Nationen überhaupt erst seit einigen Monaten Zugang. Der Staat ist hier nur begrenzt präsent. Fragt man hier die Bevölkerung nach Perspektiven für den Abzug der Blauhelme, so bekommt man vielerorts zu hören: Wenn UNAMID geht, gehen wir auch! Für viele sind diese Truppen gegenwärtig der einzig vertrauenswürdige Sicherheitsakteur.
Dass die politischen Umstände in Khartum sich geändert haben weiß man. Nur haben diese Veränderungen Jebel Marra noch nicht erreicht. Hier hat man es mit denselben bewaffneten Akteuren zu tun wie zuvor. Und die SLA-Rebellen um Abdel Wahid müssten erst einmal zur Teilnahme an den Friedensverhandlungen bewegt werden. Bis diese Verhandlungen in einem umfassenden Friedensschluss münden – auch mit den Darfur Rebellen –, darf hier kein Sicherheitsvakuum entstehen.
Ein ersatzloser Abzug der Blauhelme ist in dieser Situation riskant. Der Sicherheitsrat könnte stattdessen eine weitere begrenzte Blauhelmpräsenz beschließen oder der geplanten politischen Mission ein starkes UN-Polizeikontingent zur Seite stellen, das in Darfur eine stabilisierende Rolle übernimmt, solange bei nationalen Friedensverhandlungen um eine haltbare politische Lösung gerungen wird.
Die internationale Gemeinschaft darf, wenn sie nachhaltigen Wandel im Sudan unterstützen will, nicht nur nach Khartum schauen. Sie muss darauf achten, dass sie nicht durch einen überhasteten Abzug der Blauhelme aus Darfur eine Situation wie einst in Haiti oder Osttimor schafft, in der die Vereinten Nationen – kaum dass sie ein Konfliktgebiet verlassen hatten – gezwungen waren, mit einer neuen Blauhelmtruppe zurückzukehren.
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