Vor den Sondierungstreffen der Grünen: Keine roten Linien für Koalitionsverhandlungen
Am Donnerstag trifft sich das Jamaika-Sondierungsteam der Grünen zum ersten Mal. Die Spitzenkandidaten wollen vor den Gesprächen mit CDU, CSU und FDP keine roten Linien festlegen.
Am Morgen nach der Bundestagswahl klang Simone Peter noch ganz versöhnlich. Die Grünen-Chefin war auf dem Weg in die Parteizentrale, im Vorstand sollte es darum gehen, mögliche Sondierungen mit Union und FDP für ein Jamaika-Bündnis zu besprechen. Natürlich sei es für die Grünen eine „schwierige Situation“ zwischen dem CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer und FDP-Chef Christian Linder, sagte Peter. Die linke Flügelfrau zeigte sich dennoch verhandlungsbereit. Die Grünen hätten ein Regierungsprogramm mit zehn Punkten verabschiedet, da müsse es „vorangehen“. Peter stellte zugleich klar: „Wir haben nie rote Linien definiert.“
Zwei Tage später schlägt die Grünen-Chefin andere Töne an – provoziert durch lautstarke Forderungen aus der CSU. „In einer Koalition mit uns wird es ebenso wie bei CDU und FDP keine Obergrenze für Flüchtlinge geben“, sagte Peter der „Rheinischen Post“. Darauf müsse sich die CSU einstellen, wenn sie ernsthaft Jamaika sondieren wolle.
Dass die Parteichefin, die zum Kernteam der Grünen-Verhandlungsgruppe gehört, vor Beginn der Gespräche nun doch rote Linien formulierte, sorgte parteiintern bei einigen für Kopfschütteln. Schließlich hatten sich die Grünen-Führung vorgenommen, nach dem Wahlsonntag sofort umzuschalten – von Wahlkampfmodus auf verantwortungsvolle Partei. Den beiden Spitzenkandidaten Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir war das ziemlich schnell gelungen. „Alle Beteiligten wissen, dass sie aufeinander zugehen müssen“, sagte Göring-Eckardt am Dienstag vor dem ersten Treffen der Bundestagsfraktion. Ein Bündnis komme zustande, wenn alle Partner verantwortungsvoll miteinander umgingen, sagte sie. Eine Botschaft, die sich in erster Linie an CDU und CSU richtete, die man aber auch als Hinweis an die eigenen Leute verstehen kann.
Kretschmann will keine Knackpunkte nennen
Auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hält nichts davon, Vorbedingungen zu formulieren. „Es werden jetzt keine Knackpunkte genannt“, sagte er am Dienstag in Stuttgart. Alles andere sei unprofessionell. Die Gespräche würden konstruktiv mit dem Ziel geführt, dass es zu Koalitionsverhandlungen komme, sagte Kretschmann, der zum Sondierungsteam der Grünen gehört. Nach dem angekündigten Rückzug der SPD in die Opposition seien die Gespräche über eine Jamaika-Koalition ohne Alternative. Als letzte Möglichkeit bliebe ansonsten nur eine Neuwahl. „Das will doch wohl ernsthaft niemand ins Kalkül ziehen“, mahnte er. Das heißt nicht, dass die Grünen bereit wären, sich auf eine Obergrenze im Asylrecht einzulassen. Die Partei hält diese nicht nur aus menschenrechtlichen Gründen für falsch, sondern auch für verfassungswidrig. Doch diese Forderung vor den Jamaika-Sondierungen abzuräumen, will man lieber CDU-Chefin Angela Merkel überlassen.
Das 14-köpfige Sondierungsteam soll nun in den nächsten Tagen darauf eingeschworen werden, öffentlich keine roten Linien festzulegen. Zum ersten Mal kommt die Runde nach Informationen des Tagesspiegel an diesem Donnerstag und Freitag zusammen. Neben den Spitzenkandidaten und Parteichefin Peter gehört der Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter zu den Verhandlern. Aus den Ländern ist neben Kretschmann Umweltminister Robert Habeck aus Schleswig-Holstein vertreten. Zum Team gehören erfahrene Politikerinnen wie Ex-Parteichefin Claudia Roth, aber auch jüngere Abgeordnete wie die Klimapolitikerin Annalena Baerbock. Bei den ersten gemeinsamen Besprechungen soll es darum gehen, inhaltliche Prioritäten für die Verhandlungen festzulegen, heißt es bei den Grünen.
Öffentlich verweisen Spitzen-Grüne auf den Zehn-Punkte-Plan für eine grüne Regierungsbeteiligung, der Grundlage für Gespräche sein soll. Darin fordert die Partei unter anderem, die 20 schmutzigsten Kohlekraftwerke abzuschalten. Göring-Eckardt und Özdemir betonen außerdem immer wieder, dass die Grünen in der Schlussphase „Umwelt und Gerechtigkeit“ plakatiert hätten. Es reiche nicht, wenn Union und FDP Zugeständnisse bei der ökologischen Modernisierung der Gesellschaft machten. Auch in der sozialen Frage und der Europapolitik wollen die Grünen Fortschritte sehen.
In den nächsten Wochen wird es Zwischenrufe geben
Besonders heikel dürften aus Sicht der Grünen die Themen werden, bei denen „konträre Identitäten“ aufeinanderprallen, wie es Ex-Parteichef Reinhard Bütikofer formuliert. Bei der Innen- und Flüchtlingspolitik werde man deshalb „viel zu kämpfen haben“, sagte er der „taz“. Dass es auch deshalb in den nächsten Wochen immer wieder Zwischenrufe von der Seitenlinie geben wird, darauf stellen sich die Grünen-Verhandler ein. Je länger es dauert, bis die Unions-Parteien sich sortiert haben und je schriller die Töne aus der CSU werden, desto größer wird auch das Bedürfnis bei einigen Grünen sein, klarzustellen, was geht und was nicht.
Parteiratsmitglied Erik Marquardt etwa erinnerte gleich nach der Wahl daran, dass er auf dem Parteitag im Juni eine „rote Linie“ ins Wahlprogramm verhandelt habe. „Mit uns in der Bundesregierung wird es keine Abschiebungen in Krisenregionen geben, die so unsicher sind wie zum Beispiel Afghanistan momentan“, heißt es dort. Parteichefin Peter nannte weitere Differenzen: Anerkannte Flüchtlinge sollten ihre Familien nachholen dürfen, forderte sie. „Eine weitere Aussetzung des Familiennachzugs über den zweijährigen Stopp zum März 2018 hinaus lehnen wir ab.“