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Zum wohl letzten Mal nimmt Angela Merkel (CDU) an einem EU-Gipfel teil.
© Yves Herman/Pool Reuters/AP/dpa
Update

Streit mit Polen beim EU-Gipfel: Keine Lösung bei Frage der Rechtsstaatlichkeit – aber auch kein Eklat

Bei Merkels wohl allerletzten Auftritt in Brüssel steht das Nachbarland Polen im Fokus. Am zweiten Tag des Gipfels geht es auch um das Thema Migration.

Im erbitterten Streit um den polnischen Rechtsstaat hat der EU-Gipfel in Brüssel keine Lösung gebracht. Die Debatte der 27 Staats- und Regierungschefs sei ein Schritt, der auf dem Weg zu einer Lösung helfen sollte, hieß es in der Nacht zum Freitag aus EU-Kreisen. Dabei brauche es politischen Dialog.

Zumindest lief die Debatte offensichtlich gesitteter ab als man zunächst von vielen erwartet. Die Beratungen seien in einer ruhigen Atmosphäre geführt worden und seien eine Gelegenheit gewesen, die verschiedenen Sichtweisen besser zu verstehen. EU-Ratschef Charles Michel habe den Staats- und Regierungschef für ihre konstruktive Herangehensweise gedankt.

Nicht zu einer gemeinsamen Linie fand der Gipfel auch in der Frage, ob und wenn ja wie langfristig gegen hohe Energiepreise vorgegangen werden soll. Darüber rangen die Staats- und Regierungschefs zwar über Stunden – doch konkrete Ergebnisse gab es am Ende kaum.

So verständigten sich Kanzlerin Angela Merkel und Co. nur darauf, den Gründen für den jüngsten Preisanstieg genauer auf den Grund zu gehen. Zunächst sollen die EU-Länder national eingreifen, um Verbraucher und Unternehmen kurzfristig vor hohen Kosten zu schützen. Die Diskussionen sollen bei einem Sondertreffen der Energieminister am nächsten Dienstag fortgeführt werden. Diskutiert wird unter anderem der gemeinsame Einkauf von Gas.

Im Streit mit Polen versuchte Merkel zu vermitteln. „Rechtsstaatlichkeit ist ein Kern des Bestands der Europäischen Union“, sagte sie zu Beginn des Treffens. „Auf der anderen Seite müssen wir Wege und Möglichkeiten finden, hier wieder zusammenzukommen.“ Doch der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki ließ in der Sache kein Entgegenkommen erkennen und bekräftigte, dass sein Land sich nicht erpressen lasse.

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Hintergrund des aktuellen Streits ist ein Urteil des polnischen Verfassungsgerichts in Warschau, nach dem Teile des EU-Rechts nicht mit Polens Verfassung vereinbar sind. Diese Entscheidung wird von der EU-Kommission und etlichen anderen Staaten als höchst problematisch angesehen, weil sie der polnischen Regierung einen Vorwand geben könnte, ihr unliebsame Urteile des Europäischen Gerichtshofes zu ignorieren.

Demonstrative Rückendeckung erhielt Morawiecki von der rechtspopulistischen französischen Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen. Sie traf den polnischen Regierungschef am Rande des Gipfels und sagte ihm laut einer Botschaft im Onlinedienst Twitter ihre Unterstützung angesichts einer "inakzeptablen Erpressung durch die EU-Kommission" zu.

Ambitioniert bis zum Schluss

Für Merkel ist es in 16 Jahren Kanzlerschaft offiziellen Angaben zufolge der 107. EU-Gipfel. Sollte – wie geplant – bis Mitte Dezember eine neue Bundesregierung stehen, reist zum nächsten EU-Gipfel Olaf Scholz (SPD) als Bundeskanzler. Der luxemburgische EU-Politiker Xavier Bettel machte deutlich, dass der nächste Bundeskanzler in große Fußstapfen treten werde. „Ich freue mich auf eine Arbeit mit der neuen Regierung“, sagte Bettel. Merkel hinterlasse jedoch eine „sehr große Lücke“.

Zudem bekam Merkel den Angaben zufolge von EU-Ratspräsident Charles Michel zur Erinnerung eine Skulptur des Europagebäudes überreicht. Michel würdigte Merkel den Angaben zufolge beinahe überschwänglich: „Du bist ein Monument“, sagte der Belgier. Ein EU-Gipfel ohne Merkel sei wie Rom ohne den Vatikan oder Paris ohne den Eifelturm.

Am zweiten Gipfel-Tag an diesem Freitag beraten Merkel und ihre Kollegen unter anderem über das Thema Migration. Dabei sollte vor allem Belarus im Mittelpunkt stehen. Merkel warf Machthaber Alexander Lukaschenko bereits am Donnerstag staatlichen Menschenhandel vor. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach von einem „hybriden Angriff“.

Lukaschenko wird vorgeworfen, in organisierter Form Migranten aus Krisenregionen an die EU-Außengrenze zu bringen. Er hatte Ende Mai angekündigt, dass Minsk Migranten nicht mehr an der Weiterreise in die EU hindern werde - als Reaktion auf verschärfte westliche Sanktionen gegen sein Land. Seitdem mehren sich Meldungen über versuchte illegale Grenzübertritte an den EU-Außengrenzen zu Belarus sowie an der deutsch-polnischen Grenze. In der Bewertung des Vorgehens des belarussischen Machthabers Alexander Lukaschenko waren sich die Gipfel-Teilnehmer am Freitag jedoch einig. „Der Europäische Rat wird keinen Versuch von Drittländern akzeptieren, Migranten für politische Zwecke zu instrumentalisieren“, hieß es im Entwurf der Gipfelerklärung. (AFP/dpa)

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