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Ist Höcke ein zweiter Hitler? Demonstration in Berlin gegen die Ereignisse in Thüringen.
© Paul Zinken/dpa

Ist die Demokratie in Deutschland in Gefahr?: Keine Hysterie, bitte!

Das Parteiengefüge wird dieser Tage erheblich durchgeschüttelt. Aber die Besorgnis rechtfertigt keinen Alarmismus - und vor allem keine Gewalt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Wenn die Demokratie in schweres Wasser gerät, wittert mancher bereits ihr Kentern. Darum ein paar gute Nachrichten vorweg: Eine zweite Machtergreifung durch Nazis steht nicht bevor. Auch droht keine Wiederholung von Weimar. Die AfD dümpelt seit vielen Monaten bundesweit zwischen zehn und 15 Prozent herum. Das ist, europaweit betrachtet, ein eher unterdurchschnittlicher Wert für eine rechtspopulistische Partei. In absehbarer Zeit hat sie keine Chance, irgendwo mitzuregieren. Keiner ihrer Repräsentanten hat magnetisierendes Format. Die Demokratie in Deutschland ist weder durch das Beben in Thüringen bedroht, einem der kleineren Bundesländer mit 2,1 Millionen Einwohnern, noch durch das Nachbeben im Bund.

Es mag überflüssig wirken, solche Banalitäten zu betonen. Aber in einer Zeit, in der FDP-Politiker rund um die Uhr Personenschutz erhalten müssen, ihre Privathäuser mit Feuerwerkskörpern angegriffen, ihre Autos und Geschäftsstellen mit Parolen beschmiert werden, drängt sich der Verdacht auf, dass der Wahn-Wille, einen zweiten Hitler verhindern zu wollen, schnell in brutale Gewalt umschlagen kann.

Der Zweck heilige die Mittel, heißt es in extremen Situationen. Schon deshalb ist die Erinnerung daran notwendig, dass Deutschland in einer innerdemokratischen Krise steckt. Die Grundfesten des Parlamentarismus und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung wanken nicht. Wer trotzdem meint, aus antifaschistischem Impuls heraus brachial sein zu müssen, verkennt die Lage und verstößt gegen Gesetze.

Keine Ecken, keine Kanten, kein Profil

Das Parteiengefüge wird in diesen Tagen erheblich durchgeschüttelt. Die SPD kommt nach diversen Führungswechseln aus dem Tief nicht heraus. Ihr heimlicher Vorsitzender, Kevin Kühnert, tourt wortgewandt durch die Talkshows, während Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans weder Herz noch Seele der Genossen zu erwärmen vermögen.

Bei der FDP hat Christian Lindner, nachdem er bei den Jamaika-Verhandlungen in panischer Angst vor der Übernahme von Verantwortung das Handtuch geschmissen hatte, mit seinem richtungsverweigernden Wankelmut im Thüringen-Debakel den zweiten kapitalen Fehler gemacht. Die Grünen schweben in den Umfragen zwar auf Wolke 22, doch das Gezerre um die Haltung zur Homöopathie gab schon mal einen Vorgeschmack auf die Zerreißproben, die der Partei bei ernsten Themen bevorstehen.

Bleibt die CDU. Auch sie wird von den Fliehkräften erfasst, die für Volksparteien inzwischen typisch sind. Da ist die allgemeine Abkehr von Großorganisationen wie Parteien, Gewerkschaften, Kirchen. Da ist die wachsende Bereitschaft zu neuen, außerparteilichen politischen Aktionsformen wie Internet-Petitionen, Volksbefragungen, „Fridays for Future“, Youtube-Inszenierungen. Da ist der Mangel an Charisma, der aus dem langen Weg durch die Parteiinstanzen für Profi-Politiker oft resultiert. Keine Ecken, keine Kanten, kein Profil.

Ist die Werte-Union eine Art AfD-light?

Aktuell verschärfend kommt für die CDU eine tiefe Identitätskrise hinzu. Die ist zwar nicht existenzgefährdend, aber gefährlich. Starke linke und rechte Kräfte wirken zur selben Zeit auf die Partei ein. Seit dem Thüringen-Debakel ist die Debatte über den Unvereinbarkeitsbeschluss voll entbrannt, der sowohl eine Zusammenarbeit mit der AfD als auch mit der Linkspartei ausschließt. Dürfen Björn Höcke und Bodo Ramelow auf eine Stufe gestellt werden? Ist das Äquidistanz-Dogma nicht längst überholt? Das berührt das Selbstverständnis vieler Parteimitglieder vor allem im Westen der Republik.

Von rechts wiederum mahnt die Werte-Union konservative Standhaftigkeit an. Mit ihrer Kritik an Angela Merkel, der Flüchtlingspolitik vom Herbst 2015 und dem gleichzeitigen Ausstieg aus Atom- und Kohle-Industrie klingen deren Vertreter inhaltlich kaum anders als AfDler. Dadurch verschwimmen die Grenzen. Ist die Werte-Union eine Art AfD-light, also rechtspopulistisch ohne Geschichtsklitterung?

Das deutsche Parteiengefüge ist in einem Maße instabil, wie es ausgeprägter bislang nicht war. Es gibt solche Momente der Verunsicherung. Sie müssen ausgehalten und ins Produktive gewendet werden. Gut begründete Besorgnis sollte jedenfalls nicht in Alarmismus umschlagen. Wer die Demokratie in Deutschland in Gefahr sieht, spielt den Feinden der Demokratie in die Hände.

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