SPD-Chefin bei den Jusos: Keine Gnade für Andrea Nahles
In Düsseldorf versucht Nahles, sich als Verbündete der Parteijugend darzustellen. Echten Applaus bekommt sie kaum – dafür offene Kritik von Juso-Chef Kühnert.
Den Saal betritt sie fast unbemerkt. Durch einen Seiteneingang schleicht sich SPD-Chefin Andrea Nahles in die alte Fabrikhalle. Hier, im Süden Düsseldorfs, findet an diesem Wochenende der Bundeskongress der Jusos statt. Die jungen Genossen arbeiten gerade das 400 Seiten dicke Antragsbuch durch, als Nahles plötzlich mit einer etwa zwölfköpfigen Entourage durch den Raum schreitet. Lautlos eilt die Gruppe durch den Saal.
Als bewegten sie sich durch Feindesland, nehmen Nahles‘ Begleiter die Parteichefin in ihre Mitte. Dicht neben der SPD-Vorsitzenden läuft ihr Gastgeber, der zugleich ihr härtester Gegner ist: Juso-Chef Kevin Kühnert. Der führt Nahles höflich zum Podium. Doch so vertraut und freundlich er in diesem Moment mit seiner Parteichefin umgeht, so gnadenlos wird er sie später vorführen.
Früher waren Veranstaltungen der Jusos für Nahles ein Heimspiel. Führte sie den Verband doch selbst vier Jahre lange an. Heute ist ihr Auftritt bei den Jungsozialisten ein Kampf – nicht nur gegen due Nachwirkungen einer schweren Grippe, die sie gerade erst auskuriert hat, sondern auch gegen die Stimmung in diesem Saal voller Groko-Gegner. Kämpfen muss Nahles an diesem Vormittag aber vor allem gegen Juso-Chef Kühnert, der hier als Held gilt.
Als erfahrene Politikerin ist Nahles den Wettstreit gewohnt. Was die jungen Genossen hören wollen, das weiß auch sie. Sie lobt zentrale Juso-Forderungen wie die Ausbildungsvergütung für junge Menschen, frotzelt über die Konkurrenz von der Jungen Union und sagt Sätze wie: „Europa muss sozialer werden!“ Das kommt gut an. Nahles versucht, sich als Verbündete der Parteijugend darzustellen. Das Publikum dankt mit zaghaftem, artigem Beifall – mehr bekommt die Parteichefin von den Jusos zunächst nicht.
Richtig bejubelt wird Nahles zum ersten Mal, als sie selbstkritisch wird. Ja, die Arbeit der großen Koalition sei teils „unterirdisch“, gesteht sie ein. Da johlen die Jusos. Auch sie selbst habe Fehler gemacht, fährt Nahles fort. Viele im Saal nicken. „Es muss anders werden“, schiebt die Parteichefin hinterher. „Das ist auch ein Versprechen.“ Da ist der Beifall aber längst abgeebbt. Nahles verzieht das Gesicht, sie geht in die Knie, rudert mit dem Armen. Sie strengt sich an, wirbt um das Vertrauen der Jusos. Die klatschen kaum, verfolgen die Rede mit ernsten Mienen.
Souverän wirkt Nahles nicht
Dann schaltet Nahles auf Angriff. Die Jusos sollten ihren Widerstand gegen die große Koalition endlich aufgeben, fordert sie. Das Publikum antwortet mit höhnischem Gelächter. Nahles macht weiter: Ein „Richtungsstreit“ zwischen Befürwortern und Gegnern der großen Koalition sei das letzte, was die SPD brauche. Ein solcher Streit führe nur zur Spaltung der Sozialdemokratie. „Und dann gibt es keinen, der die Partei noch aus der Krise führen kann,“ unterstreicht die SPD-Chefin ihren Führungsanspruch.
Doch wie eine souveräne Vorsitzende wirkt Nahles nicht. Das liegt vor allem daran, dass sie heute um Unterstützung des Jugendverbands werben muss. Anders als die meisten ihrer Amtsvorgänger ist sie auf die Jusos angewiesen. Die vertreten nämlich längst nicht nur die Interessen der jungen Parteimitglieder, sondern sprechen für alle Genossen, die genug von der Groko haben – und die werden immer mehr. Das macht den Jugendverband mit seinen rund 80.000 Mitgliedern zum echten Machtfaktor in der SPD.
Als Nahles in den 1990ern die Parteijugend anführte, war das anders. Damals lehnte die SPD-Spitze Juso-Forderung oft aus Prinzip ab, weil die als weltfremd oder zu ideologisch galten. Doch so stark ist angeschlagene SPD-Chefin Nahles nicht mehr – vor allem nicht bei 15 Prozent in den bundesweiten Umfragen. Obwohl sie sich kämpferisch präsentiert, tritt Nahles beim Juso-Kongress als Bittstellerin auf. Ihr bleiben nur Appelle an den guten Willen des sozialdemokratischen Nachwuchses. „Die Parteivorsitzende grüßt die Jusos“, ruft sie zum Abschluss ihrer Rede – und schiebt fast flehend hinterher: „Bitte diskutiert mit!“
Juso-Chef Kühnert nutzt Nahles‘ geschwächte Position aus. In seinem Diskussionsbeitrag teilt er mit vollen Händen gegen die Parteichefin aus. Nicht mit offenen, direkten Angriffen, sondern mit einer Mischung aus vergiftetem Lob, Drohungen und Spott. Kühnerts Antwort auf Nahles‘ Auftritt ist eine Machtdemonstration. Er zeigt als der Herr im Haus auf, als sei er in Wahrheit der erfahrene Politiker, der Nahles ein paar gut gemeinte Tipps geben müsse. In der Familientherapie nennt man das „Parentifizierung“: wenn Kinder die Rolle ihrer unfähigen Eltern übernehmen.
„Ich habe mich auf jedes Podium gesetzt“, erzählt der 29-jährige Kühnert, als sei er Jahrzehnte im Politik-Geschäft. Lange habe er versucht, die aktuelle SPD-Politik zu verteidigen. Doch irgendwann müsse auch mal Schluss sein, gibt er fast väterlich zu verstehen. Die Jusos hätten ja gar nichts gegen die Groko, beteuert Kühnert – wäre da nicht die „überaus bescheidene Performance dieser Koalition“. Auch stehe man zur Parteiführung – wären da nicht die vielen leeren Versprechen aus dem Willy-Brandt-Haus. Die Geduldsfäden der Jusos seien „sehr gespannt“, sendet Kühnert eine Drohung aus.
Mit einem gönnerhaften Lob für Nahles schließt er seine Rede - aber nicht ohne die Bedeutung seines Jugendverbands zu betonen. „Ich schätze die Zusammenarbeit mit dir“, spricht er Nahles an. „Man merkt, wenn gelernte Jusos bei der Arbeit sind.“