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Sevim Dagdelen
© dpa

Sevim Dagdelen, die Grünen und die Ukraine: Keine Einsicht nach Entgleisung

Wegen einer Verbalattacke gegen die Grünen-Fraktionschefin ist die Linken-Abgeordnete Sevim Dagdelen von ihrer Führung gerügt worden. Ärger um die Politikerin gibt es nicht zum ersten Mal.

Es ist ein ungewöhnlicher Vorgang, selbst in der in Flügelkämpfen geübten Linkspartei. In einer gemeinsamen Erklärung haben Fraktionschef Gregor Gysi und die beiden Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger eine Kollegin öffentlich zurechtgewiesen, die in den eigenen Reihen schon öfter unangenehm aufgefallen ist: die nordrhein-westfälische Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen. Die 38-jährige Politikerin hatte im Plenum in einer Debatte über den Umgang mit Rechtsextremen in der Ukraine mit Bezug auf Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt von "Verbrecher" gesprochen. Für Gysi, Kipping und Riexinger ging das deutlich zu weit: "Von dieser Äußerung unserer Abgeordneten Sevim Dagdelen distanzieren wir uns", betonten sie.

Auf die Spitze getrieben wird so auch die innerparteiliche Auseinandersetzung um die in Duisburg geborene und in Bochum lebende Abgeordnete. Hinter den Kulissen gärte es schon eine ganze Weile. Schon im März war Linke-Fraktionsgeschäftsführerin Petra Sitte auf Distanz zu Dagdelen gegangen. Dagdelen - in der Fraktion Sprecherin für internationale Beziehungen - sei in den Diskussionen um die Ukraine "kein Maßstab" und auch "keine Wortführerin". Zuvor hatte Dagdelen im Februar mit einer Twitter-Nachricht für Aufsehen gesorgt: "Unerträglich diese verwelkten Grünen, die die Faschisten in der #Ukraine verharmlosen, die antisemitische Übergriffe begehen. Ein Tabubruch!"

Dagdelen gehört zum linken Flügel der Partei. Sie gehört zum Netzwerk "Freiheit durch Sozialismus" - die Gruppe nennt sich nach einem Schlagwort von Oskar Lafontaine. Die Abgeordnete bewundert sowohl den ehemaligen Parteivorsitzenden und ist auch um ein enges Verhältnis zu Sahra Wagenknecht bemüht, der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden. Was durchaus auf Gegenseitigkeit beruht. Als Wagenknecht kürzlich auf Amt als Vize-Parteichefin verzichtete, soll sie zunächst Dagdelen als Nachfolgerin favorisiert haben, wie es aus dem Karl-Liebknecht-Haus heißt. Letztlich kam dann aber mit der Hessin Janine Wissler doch eine andere zum Zug.

Für ihre Agitation nutzt Dagdelen gern die linksradikale Zeitung "Junge Welt", der sie erst dieser Tage erläuterte, dass Dikator Baschar al Assad über "eine signifikante Unterstützung in Syrien zu verfügen scheint", weshalb auch eine Lösung des Syrien-Konflikts "unter Einschluss Assads gefunden werden muss". Oder auch den russischen Auslandssender RT, der Propaganda im Sinne des Kreml macht. Dort erklärte sie im März, "Neonazis" hätten die "entscheidende Rolle" in der ukrainischen Übergangsregierung.

Nach der Wahl von Petro Poroschenko kritisierte Dagdelen auf Twitter, dass die Bundesregierung die Präsidentenwahl in der Ukraine anerkennt: "Dass die #GroKo unter den Bedingungen von Krieg und Angst von einer ,Wahl' spricht ist wirklich bizarr! #Ukraine". Beifall für ihre Äußerungen bekommt die Politikerin an der Basis immer wieder, nach dem jüngsten Streit mit Gysi solidarisierten sich auch mehrere Bundestagsabgeordnete des linken Parteiflügels. Fraktionsgeschäftsführerin Sitte sprach dagegen von einer "richtigen und wichtigen Klarstellung" zu den "Unterstellungen von S. Dagdelen an K. Göring-Eckardt".

Einsichtig zeigte sich Dagdelen nach ihrer Kritik an ihrem Auftritt im Bundestag nicht. Dort hatte sie sich "wirklich schockiert" gezeigt, dass Göring-Eckardt behaupte, mit den geringen Stimmenzahlen für Swoboda und den Rechten Sektor habe sich das Problem des Antisemitismus in der Ukraine erledigt. Um dann Bertolt Brecht zu zitieren: "Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher."

Nach der Rüge der Linke-Führung rechtfertigte sich Dagdelen: Offensichtlich wisse die Linken-Führung "nicht, dass Heiner Geißler, der ehemalige Generalsekretär der CDU, schon 1983 in der politischen Auseinandersetzung das betreffende Brecht-Zitat gegenüber der SPD verwandt hat." Parteichef Helmut Kohl und Fraktionschef Alfred Dregger hätten damals keinen Grund zu einer Distanzierung von Geißler gesehen. "Ich wundere mich", warum Kipping, Riexinger und Gysi "anders als die damalige CDU-Führung meinen, sie müssten sich distanzieren".

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