Abgelehnte Asylbewerber: Kein neues Leben nach dem alten
Das Bamf hat untersuchen lassen, ob sein Rückkehrprogramm für abgelehnte Asylsuchende funktioniert. Zu echten Neustarts taugt es wohl nicht.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) hat eine gemischte Bilanz des seit zwei Jahren laufenden Rückkehrprogramms für abgelehnte Asylbewerber gezogen. Demnach sind die, die Geld und Beratung aus dem Bundesprogramm angenommen haben, um in ihre Heimatländer zurückzukehren, mehrheitlich zufrieden mit dem Angebot – nämlich zu mehr 80 Prozent. Ihre Lebenssituation hat es aber offensichtlich nicht wesentlich verbessern können, wie eine Begleitstudie zur Wirksamkeit des Programms „Starthilfe Plus“ herausfand, die Bamf, Bundesinnenministerium und die UN-Migrationsorganisation IOM jetzt veröffentlichten: Etwa 40 Prozent äußerten sich Monate nach der Rückkehr – die Online-Befragung fand nach sechs bis höchstens 17 Monaten statt – insgesamt zufrieden mit ihrer Lage. Nur 39 Prozent hatten Arbeit – was auch das Forscherteam des Bamf „recht moderat“ nennt. Ihren Lebensunterhalt konnten davon lediglich 15 Prozent der Zurückgewanderten bestreiten.
Unsicherheit in Deutschland ist das stärkste Rückkehrmotiv
Für die Studie konnten zwei Sozialwissenschaftlerinnen des Bamf und ein Entwicklungsökonom des IOM die Fragebögen von 1.339 der ingesamt 6.761 Männer und Frauen – Frauen machten 20 Prozent der Befragten aus - auswerten, die bis April 2018 in das seit zwei Jahren laufende Programm aufgenommen wurden. Inzwischen erhielten 15.184 Menschen Mittel daraus. Die Online-Befragung, die im nächsten Jahr mit denselben Teilnehmern wiederholt werden soll, galt auch den Motiven für die Rückkehr. Sie spiegeln, dass nicht wirkliche Hoffnung auf Verbesserung ihrer Lage die Hauptrolle spielten (davon sprachen nur neun Prozent), sondern ihre Lage in Deutschland – mehr als zwei Drittel von ihnen hatten bereits eine Ablehnung ihres Asylantrags erhalten. In der Befragung nannten denn auch fast die Hälfte (46 Prozent) Unsicherheit über ihren künftigen Aufenthaltsstatus als Grund für die Rückkehr. Mit weitem Abstand (28 Prozent) folgte, dass sie sich in Deutschland nicht wohl oder nicht willkommen fühlten. 42 Prozent suchten wieder die Nähe zu Freunden und Familie.
Das Geld, das sie erhielten, um zurückzukehren, spielt offenbar eine sehr untergeordnete Rolle, es wurde nur von vier Prozent genannt. Und dieses Geld floss, auch dies ein Ergebnis der Befragung, zudem kaum in Investitionen, die den Rückkehrern eine neue Existenz hätten schaffen können: 80 Prozent der ersten Rate und 73 Prozent der zweiten, die das IOM an sie auszahlte, gaben sie aus, um tägliche Bedürfnisse zu befriedigen. Die Unterstützungssumme war beim Start des Programms im vorletzten Jahr mit 1200 Euro am höchsten für die, die noch vor Abschluss ihres Asylverfahrens zurückkehren wollten und den Antrag zurückzogen. Wer sich erst nach einem negativen Bescheid entschied, erhielt nur noch 800 Euro. Hinzu kommen jeweils drei- bis fünfhundert Euro aus älteren Rückkehrprogrammen.
"Beratung, Beratung, Beratung"
Martin Schmitt, Ökonom beim IOM, sprach denn auch von einer „finanziellen Überbrückungsleistung“, die den Wechsel von Deutschland in die alte Heimat abfedern helfen solle. Nach Aussage von Corinna Wicher, der Abteilungsleiterin für Rückkehr im Bamf, soll der Schwerpunkt in Zukunft „weg von finanziellen“ auf Sachleistungen liegen. Denkbar seien Weiterbildungen und andere praktische Hilfe. „Finanzielle Förderung kann nicht der einzige Aspekt sein“, sagte sie. „Andererseits wird durch Geld die Rückkehr oft überhaupt erst möglich“, etwa wenn Menschen das Geld schon für die Reise fehle.
Monica Goracci, die Deutschland-Chefin des IOM, plädierte für „Beratung, Beratung und wieder Beratung“. Es sei zentral, Vertrauen zu schaffen. Die Menschen brauchten eine Perspektive für ein neues Leben am alten Ort, sonst würden sie weiter- oder zurückwandern.
Doch daran zweifeln Kritiker der Rückkehrprogramme, die überdies nur einen sehr kleinen Teil der abgelehnten Schutzsuchenden erreichen, wie die Leiterin des Grundsatzreferats Rückkehr im Innenministerium, Ann-Marie Burbaum, einräumte – derzeit eine Viertelmillion, von denen allerdings viele ein Recht haben, dennoch in Deutschland zu bleiben.
Wem Abschiebung droht, entscheidet nicht freiwillig
Karl Kopp, Europareferent der Flüchtlingshilfsdachorganisation Pro Asyl, kritisiert schon die Behauptung der Freiwilligkeit: Freiwilligkeit dürfe nicht durch Druck und Perspektivlosigkeit erzeugt werden“, sagte Kopp dem Tagesspiegel. Wenn Angeboten wie Starthilfe plus schon früh im Asylverfahren gemacht würden, bestünde „immer die Gefahr, dass Menschen, die ein begründetes Fluchtanliegen haben und vor Verfolgung im Herkunftsland geflohen sind, voreilig dorthin zurückzudrängen.“
Er verwies auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der der Tochter eines irakischen Asylbewerbers recht gegeben hatte. Sie hatte Finnland verklagt. Der Antrag ihres Vaters war dort abgelehnt worden, obwohl es zwei Mordanschläge auf ihn gegeben hatte. Nach dem Nein der Asylbehörde unterschrieb er, kehrte mit Hilfe des IOM 2017 in den Irak zurück und wurde einen Monat später erschossen. Das Gericht in Straßburg befand, dass der Mann wegen seiner bevorstehenden Abschiebung unter Druck gewesen sei, weshalb die Verantwortung für seinen Tod den finnischen Staat treffe. Er habe sich nicht wirklich freiwillig entschieden.
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