Theresa May und der Brexit: Revolte in Westminster
Nach dem Rücktritt von Außenminister Boris Johnson muss die britische Regierungschefin Theresa May um ihr Amt bangen. Ein Kommentar.
The lady’s not for turning – so lautet ein legendäres Zitat der früheren britischen Premierministerin Margaret Thatcher. Sie wollte damit zum Ausdruck bringen, dass sie keine Kehrtwende in ihrer – ultraliberalen – Wirtschaftspolitik machen werde. Nun teilt die heutige Premierministerin Theresa May zwar nicht den Starrsinn der „Eisernen Lady“, was man schon an ihrem Lavieren zwischen den verschiedenen politischen Brexit-Lagern in London sieht. Aber in gewisser Weise bleibt sich auch Theresa May treu: Einen „harten Brexit“ wollte sie nie, weil dies der Wirtschaft einen erheblichen Schaden zufügen würde. Mit dieser Linie, die in der vergangenen Woche auf dem Landsitz in Chequers festgezurrt wurde, hat sich die Regierungschefin vorerst durchgesetzt – und gleichzeitig eine Revolte in Westminister losgetreten. Denn die Rücktritte des Brexit-Ministers David Davis und des Außenministers Boris Johnson kommen einer politischen Mobilmachung der beiden vehementesten Vertreter eines „harten Brexit“ gleich.
Dass Davis nach der Einigung von Chequers seinen Rücktritt erklärte, dürfte für May noch zu verschmerzen sein. Der bisherige Brexit-Minister fiel in Brüssel nie durch einen übermäßigen Verhandlungsehrgeiz auf. Schon schwerer wiegt hingegen die Demission von Außenminister Johnson. Seine Rückzugs-Entscheidung könnte zu einer Revolte der Gegner Mays im Unterhaus führen. Die Premierministerin muss um ihr Amt bangen.
London betreibt weiter Rosinenpickerei
Den EU-Verhandlern in Brüssel bleibt derweil nichts anderes übrig, als den Ausgang des politischen Dramas in London abzuwarten. Dabei bleibt für die Verhandlungen in Brüssel nicht mehr viel Zeit: Bis Oktober sollen die Grundzüge der künftigen Handelsbeziehungen zwischen Großbritannien und der EU feststehen. Einfach dürften die Gespräche nicht werden, auch wenn May im Grundsatz einen „weichen Brexit“ will. Denn für Waren und Agrarprodukte strebt sie zwar eine Freihandelszone und gemeinsame Regeln mit der EU an. Über Dienstleistungen, Personenfreizügigkeit und Kapital will Großbritannien aber künftig in eigener Regie entscheiden. Eigentlich kann der EU-Chefverhandler Michel Barnier einer solchen „Rosinenpickerei“ nicht zustimmen, denn die Grundfreiheiten des europäischen Binnenmarktes lassen sich dem EU-Regelwerk zufolge nicht trennen.
Dennoch wird auch Barnier zur Kenntnis nehmen müssen, dass es schon ein Fortschritt ist, wenn die britische Regierung zwei Jahre nach dem Brexit-Referendum zum ersten Mal genauer dargelegt hat, wie sie sich die künftigen Wirtschaftsbeziehungen mit der EU vorstellt. Am Ziel sind beide Seiten aber noch lange nicht.