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dunkle Wolken über vier Kühltürmen und zwei kugeligen Reaktorgebäuden
© dpa

Atomsicherheit: Kein deutsches Atomkraftwerk hält einen Flugzeugabsturz aus

Der ehemalige Technikexperte der Atomaufsicht spricht aus, was ohnehin alle wissen: Die Atomkraftwerke können nicht mehr als einen Absturz einer mittelgroßen Militärmaschine abfangen. Der Absturz eines großen Verkehrsflugzeugs könnte eine Kernschmelze auslösen.

Mitte Juni hat das Oberverwaltungsgericht Schleswig die Betriebserlaubnis für das Atommüll-Zwischenlager Brunsbüttel kassiert. Bei der Genehmigung seien die Risiken beim Absturz von großen Flugzeugen nicht ausreichend berücksichtigt worden, hieß es in der mündlichen Begründung. Nun stellt ein Gutachten im Auftrag des Anti-Atom-Netzwerks „Ausgestrahlt“ fest: Kein deutsches Atomkraftwerk ist gegen den Absturz auch nur mittelgroßer Flugzeuge ausgelegt. Weil es kaum Nachrüstungsmöglichkeiten gebe, sei die Abschaltung der Reaktoren geboten.

Verfasst hat die Studie der pensionierte Ministerialdirigent Dieter Majer. Der Ingenieur war der ranghöchste Technikexperte der Atomaufsicht. Von 1982 an arbeitete er unter Joschka Fischer (Grüne) im Umweltministerium Hessen, später wechselte er ins Bundesumweltministerium. Dort wurde er Chef der Abteilung „Sicherheit kerntechnische Einrichtungen“, seine Chefs waren Jürgen Trittin (Grüne) und Sigmar Gabriel (SPD).
Ein Flugzeugabsturz auf ein Akw könne durch einen Unfall geschehen, aber auch gezielt durch einen Terroranschlag herbeigeführt werden, schreibt Majer in dem Gutachten. Alle deutschen Atomkraftwerke lägen unterhalb der Flugrouten von Militärmaschinen wie zivilen Flugzeugen. Ein Terrorangriff mit Flugzeugen werde spätestens seit den Anschlägen auf das New Yorker World Trade Center von Sicherheitsexperten nicht mehr ausgeschlossen.
Majer zufolge sind Flugzeugabstürze bei der Errichtung der deutschen Akws nicht umfassend berücksichtigt worden. Die Genehmigungsbehörden hätten nur die zur jeweiligen Bauzeit genutzten Militärmaschinen betrachtet. „Bei den heute noch betriebenen Atomkraftwerken ging es konkret nur darum, ob sie die Stoßbelastung durch eine abstürzende Militärmaschine vom Typ ‚Phantom‘ mit 20 Tonnen Gewicht und einer Auftreffgeschwindigkeit von 774 Kilometern pro Stunde überstehen würden.“ Zivilflugzeuge mit ihrer viel größeren Masse und Treibstoffmenge seien unbeachtet geblieben, „sie und ihr möglicher Aufprall auf ein Atomkraftwerk flossen überhaupt nicht in die Genehmigungsprozesse ein“.

Ein Absturz könnte einen Super-Gau auslösen

Auch wenn der Schadensumfang nicht genau vorherzusagen sei: Der Aufprall eines Flugzeugs auf ein Akw habe in jedem Fall „unübersehbare katastrophale Folgen“, schreibt Majer. So könnten sich Triebwerkswellen mit ihrer hohen Bewegungsenergie „wie ein Speer“ in den Reaktorsicherheitsbehälter aus Beton bohren und so die wichtigste Barriere gegen die Ausbreitung radioaktiver Stoffe zerstören. Möglich seien auch Beschädigungen des Reaktordruckbehälters, der Hauptkühlmittelleitung und von elektronischen Einrichtungen. Die Folgen wären Kühlmittelverluste, eine Freilegung von Brennelementen und im schlimmsten Fall eine Kernschmelze – der Super-Gau.
Das bei einem Crash freigesetzte Kerosin, bei voll getankten Maschinen bis zu 300 000 Liter, werde innerhalb und außerhalb des Sicherheitsbehälters „enorme Brände“ und „starke Explosionen“ auslösen, schreibt der Gutachter. Der Aufprall könne zu Erschütterungen führen, vergleichbar mit starken Erdbeben, gegen die Atomkraftwerke nicht ausgelegt seien. Großräumige Zerstörungen auf dem Gelände könnten bewirken, dass es keine Zugangs- und Eingriffsmöglichkeiten für das Personal mehr gebe. Besondere Gefahr sieht Majer für die beiden Siedewasserreaktoren im bayrischen Gundremmingen. Anders als bei Druckwasserreaktoren befänden sich dort die Lagerbecken für abgebrannte Brennelemente außerhalb der Sicherheitsgebäude, sie seien besonders leicht verwundbar: „Welche Gefahren drohen, wenn die Kühlsysteme der Brennelementelagerbecken zerstört werden, ist beim Unfall in Fukushima deutlich geworden.“
Die Möglichkeiten, die Sicherheit der Akws gegen Flugzeugabstürze durch Nachrüstungen zu erhöhen, hält Majer für „außerordentlich begrenzt“. Bauliche Maßnahmen schieden aus, weil sie angesichts einer langen Planungs- und Genehmigungszeit innerhalb der Restlaufzeiten gar nicht mehr realisiert werden könnten. Zur Vermeidung der „nicht hinnehmbaren“ Risiken bleibe deshalb nur die kurzfristige Abschaltung der Kraftwerke. Das findet auch Ausgestrahlt- Sprecher Jochen Stay. „Ein Reaktor, der noch nicht einmal gegen den Absturz eines Passagierflugzeugs mittlerer Größe geschützt ist, darf nicht weiterlaufen“, sagte er. Die Regierung müsse die Betreiber zwingen, ihre Meiler abzuschalten, solange nicht nachgewiesen sei, dass sie auch den Absturz eines großen Flugzeugs unbeschadet überstehen könnten.
Das Bundesumweltministerium erklärte gestern, Majer habe in seiner aktiven Dienstzeit „nicht die Auffassung dokumentiert, dass mit Blick auf die Thematik Flugzeugabsturz ,die kurzfristige Abschaltung aller Atomkraftwerke in Deutschland‘ erforderlich“ sei. Allerdings hatte 2001 die damalige Regierung selbst die Auswirkungen von gezielt herbeigeführten Flugzeugabstürzen auf Akws untersuchen lassen. Auch diese Studie kam zu dem Schluss, dass solche Ereignisse verheerende Folgen haben und einen „Super-Gau“ auslösen können. Das Umweltministerium hielt die Untersuchung seinerzeit unter Verschluss, der Umweltverband BUND stellte aber eine Kurzfassung ins Internet.

Das Bundesumweltministerium verweist darauf, dass die Reaktorsicherheitskommission, die nach der Katastrophe in Fukushima die "Robustheit" der Atomkraftwerke bewertet hat, derzeit noch "weitere Untersuchungen und Beratungen" zu "den Themen ,Absturz von Verkehrsflugzeugen' und ,Extreme Wetterbedingungen'" in Arbeit habe. Im vergangenen Jahr hat die Regierung einen "Aktionsplan" vorgelegt, der Informationen darüber enthält, welche Nachrüstungen innerhalb der noch verbliebenen Laufzeit an den Atomkraftwerken noch verlangt werden sollen. Die Kernpunkte sind eine Sicherstellung der Gleichstromversorgung für zehn Stunden. Die Vorhaltung von zusätzlichen Notstromaggregaten. Zudem müssen die Betreiber nachweisen, dass sie in der Lage sind, Druck in gefilterter Form abzulassen, auch wenn die Stromversorgung zusammengebrochen ist. Desweiteren sollen die "Notfallmaßnahmen zur Bespeisung des Brennelemente-Lagerbeckens" verbessert werden. Der Aktionsplan ist an diesem Punkt allerdings ziemlich vage, greift aber den Kritikpunkt von Dieter Majer auf, weil sich die Brennelementebecken in Fukushima als einer der Schwachpunkte erwiesen hatten. Für alle Anlagen sie damit begonnen worden, Richtlinien für das Verhalten der Belegschaft bei einem schweren Unfall (Severe Accident Management Guidelines, SAMG) zu erarbeiten, teilt das Umweltministerium mit. Bei einigen Anlagen müssten auch weitere Kühlwasserquellen geschaffen werden. Wie viel dieser Nachrüstungsliste tatsächlich abgearbeitet werden muss, entscheiden die Landesatomaufsichten, die den Betreibern der Anlagen entsprechende Auflagen machen können, es aber nicht tun müssen.

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