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Der katalanische Regierungschef Carles Puigdemont vor seiner Rede im katalanischen Regionalparlament.
© Manu Fernandez/AP/dpa

Puigdemonts Rede in Barcelona: Katalonien - wie geht's nun weiter?

Kataloniens Regierungschef Carles Puigdemont erklärt die Unabhängigkeit von Spanien - und zugleich deren Aussetzung. Madrid sollte diese Chance zum Kompromiss nutzen! Eine Betrachtung.

Die Reaktionen, die noch in der Nacht zu Mittwoch von überall her kommen, sie strotzen vor Häme. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron warnte davor, Kataloniens Regionalchef Carles Puigdemont - trotz dessen Deeskalation - aufzuwerten: Puidgemont und Ministerpräsident Mariano Rajoy seien nicht als gleichwertig einstufen. Als französischer Präsident mische er sich zudem nicht in "innerspanische Angelegenheiten" ein. Grünen-Europachef Reinhard Bütikofer sagte der Agentur dpa sogar: „Der katalanische Regierungschef Puigdemont hat statt der offenen Konfrontation einen politischen Schwindel gewählt." Das sei der Trick eines Hasardeurs, der mit seinem Latein am Ende sei.

Beide Einschätzungen könnten sich als falsch erweisen. Kataloniens Regierungschef Carles Puigdemont forderte am Dienstag im Parlament in Barcelona zwar die Unabhängigkeit von Spanien - nicht zuletzt, weil seine Regierung aus linkssozialistischen, konservativen und liberalen Separatisten die meisten Abgeordneten hinter sich weiß und sich durch das umstrittene Referendum vom 1. Oktober zumindest nicht widerlegt sieht. Puigdemont sagte aber auch, man werde die Sezession "für einige Wochen" aufschieben - und zwar, um einen von der rechtskonservativen Zentralregierung in Madrid verweigerten Dialog doch noch zu eröffnen: "Ich appelliere an die Verantwortung aller. Die spanische Regierung fordere ich dazu auf, eine Vermittlung zu akzeptieren."

Behandelt die Katalanen nicht wie Kinder, ...

Wieso, sollten Demokraten da eigentlich fragen, sperrt sich Spaniens Ministerpräsident Rajoy so vehement? Erkennt er nicht, dass Millionen Katalanen die Unabhängigkeit wollen? Hofft er, dass die ebenfalls Millionen mit Spanien zufriedenen Katalanen gegen die Separatisten aufbegehren?

Sicher, die Separatisten haben nicht mit Madrids beharrlicher Härte gerechnet, nicht damit, dass die Zentralregierung jeden Vermittler ablehnen würde, vielleicht auch nicht damit, dass ihnen Spaniens Justiz indirekt mit Haft droht. Doch auch Rajoy, der rechtskonservative Regierungschef in Madrid, wird sich noch ärgern. Denn er hat die Lage ebenfalls falsch eingeschätzt: Die Wut in Katalonien ist so groß, dass Tausende in den vergangenen Tage gegen Madrid auf die Straße gingen, obwohl sie nie für Unabhängigkeit waren. Die nach all dem Druck aus Madrid, der Gewalt und der Ignoranz nun aber ein Zeichen setzen wollten: Rajoy und König Felipe sprachen im Fernsehen so grob, so herrisch, als wären die Intellektuellen Barcelonas, die Hafenarbeiter, die Ingenieure ungezogene Kinder.

... zieht die Guardia Civil aus Katalonien ab, ...

"Was wir jetzt brauchen, sind Gesten der Entspannung von beiden Seiten", sagte Barcelonas ziemlich linke Bürgermeisterin Ada Colau noch vor Puigdemonts Rede. "Wir brauchen keine Eskalation, die niemandem etwas bringt." Zugleich rief sie den in Barcelona unbeliebten Ministerpräsidenten Rajoy dazu auf, die nach Katalonien entsandten 4000 paramilitärischen Bundespolizisten der Guardia Civil wieder abzuziehen. Und: Er dürfe die katalanischen Institutionen, die schließlich demokratisch legitimiert sind, nicht entmachten. Das alles signalisiert den Katalanen: Wir wehren uns nur, die Angriffe kommen aus Madrid.

Auch aus Deutschland gibt es Stimmen, die nach Puigdemonts Rede Madrid am Zug sehen. Der Chef der Linken im Bundestag, Dietmar Bartsch, sagte dpa: „Ich hoffe, dass die spanische Regierung besonnen reagiert und einen Schritt auf die katalanische Regierung zugeht“. Er begrüße, dass Puigdemont nicht weiter Öl ins Feuer gegossen habe. „Den Weg des Dialogs einzuschlagen ist der richtige Weg in der aktuellen Situation.“

Wenn Rajoy nun also doch besonnen, strategisch, weise reagieren sollte (von demokratischer Kultur mal ganz zu schweigen), dann entscheidet er sich, mit den Separatisten zu sprechen. Dann geht er offensiv auf Puigdemont zu, ohne Vorbedingungen, aber mit einem Ziel: dem Erhalt des Landes.

Denn dann hat Rajoy die Chance, den Separatisten ihre eigene Idee schmackhaft(er) zu machen. Schließlich diskutierten gerade die radikaleren unter ihnen, viele sozialistische Linke, zuletzt folgende Möglichkeit: Die Katalanen erklären sich zu einer autonomen Nation innerhalb Spaniens. Sie dürfen über ihre inneren Angelegenheiten selbst entscheiden – und handeln alle weiteren Details mit der Zentralregierung in Madrid aus. Es entstünde ein deutlich autonomeres Gebiet als bislang, eine Region, die ihre Außen- und Verteidigungspolitik aber immer noch dem größeren Gesamtstaat überlässt.

... und schaut nach Quebec in Kanada!

Dafür zahlen die Katalanen dann selbstverständlich Steuer, sicher aber nicht mehr so viel wie bislang: 16 Prozent der 47 Millionen Bürger des Landes leben in Katalonien, sie erwirtschaften aber 26 Prozent der Steuereinnahmen. Und führen acht Prozent ihrer Wirtschaftsleistung im innerspanischen Finanzausgleich nach Madrid ab. Bevor die deutsche Bundesregierung von wünschenswerter "Stabilität" in Spanien spricht, sei ein Vergleich erlaubt: Selbst Bayern überweist nur ein Prozent seines Bruttosozialprodukts nach Berlin. Historische Vorbilder gibt es jedenfalls, selbst in Spanien genießt das Baskenland ja mehr Steuerfreiheit als Katalonien.

Oder schauen wir nach Nordamerika, wo die Lage einst ähnlich war wie auf der Iberischen Halbinsel heute: In Kanada haben die frankophonen Quebecer seit den 1960ern immer wieder einen eigenen Staat gefordert. Kanada wäre dabei um seine größte und wirtschaftlich bedeutsamste Provinz kleiner geworden - ähnlich wie Spanien, wenn es Katalonien verlöre.

Und während in Quebec linksnationalistische Militante sogar mit Bomben die Zentralregierung in Ottawa herausforderten, arbeiteten die Strategen dort an einer Dauerlösung: Quebec erhielt so viel Autonomie, wie es in einem Bundesstaat gerade noch zulässig ist. Und selbst die militanten Separatisten kamen mit vergleichsweise geringen Strafen davon. Das Land versöhnte sich weitgehend, nie bekamen die Separatisten in Quebec eine Mehrheit. In den englischsprachigen, konservativeren Westprovinzen provoziert das Entgegenkommen bis heute viele Kanadier, doch in Ottawa tastet man diesen Deal nicht an.

Wäre doch was, oder?

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