„Herdenimmunität ist Illusion“: Kassenärzte-Chef fordert Abkehr von „skurriler“ Corona-Politik
Andreas Gassen geht mit der Corona-Politik von Angela Merkel hart ins Gericht. Die Impfquote für Maßnahmen heranzuziehen, hält er für „skurril“.
Die organisierte Ärzteschaft dürfte in den kommenden Wochen den Druck auf die Bundesregierung erhöhen, die derzeit geltenden Grundrechtseinschränkungen komplett zurückzunehmen und den Corona-Schutz mit dem Fortgang der Impfkampagne in den Bereich der persönlichen Risikokalkulation zu überführen.
Vor allem aber auch, weg von Angstszenarien und hin zu einer nüchternen Bewertung von schweren Erkrankungs- und Sterberisiken zu kommen – diese seien für Geimpfte und die allermeisten jungen Menschen sehr gering oder nicht vorhanden.
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Da Kinder und Jugendliche eine SARS-CoV-2-Infektion in aller Regel ohne Erkrankung überstehen und fast nie schwer erkranken oder gar sterben, und es für Ältere die Möglichkeit einer Impfung gebe, könne nicht mehr für ein Fortgelten der Corona-Maßnahmen argumentiert werden, sobald jeder und jede ein Impfangebot bekommen habe.
Laut KBV-Vize Stephan Hofmeister dürfte dies spätestens im September so weit sein. Die beiden KBV-Vorstände reagierten mit ihren Forderungen auch auf Aussagen von Kanzlerin Angela Merkel, die zusammen mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (beide CDU) diese Woche das Robert-Koch-Institut besuchte und danach dies sagte: „Je mehr geimpft sind, umso freier werden wir wieder sein, umso freier können wir wieder leben.“
Das lasse befürchten, so KBV-Chef Gassen, dass die Bundesregierung eine Beendigung der Corona-Maßnahmen von einer kaum zu erreichenden Impfquote abhängig machen könnte.
Merkel sprach beim RKI von einer Quote von 85 Prozent bei den 12- bis 59-Jährigen, von über 90 Prozent bei den über 60-Jährigen. Bei 14 Millionen Kindern und Jugendlichen und etwa einem Zehntel strikter Corona-Impfgegner seien solche Zahlen allerdings nicht realistisch – zudem sei eine Herdenimmunität selbst mit einer kompletten Durchimpfung der gesamten Bevölkerung nicht zu erreichen.
Es sei daher geradezu „skurril“, meinte Gassen, „die Impfquote für die Begründung von Coronamaßnahmen heranzuziehen“. Vielmehr dürfe es künftig alleine um die Frage gehen, ob jene, die durch eine Corona-Infektion gefährdet sein könnten, grundsätzlich die Möglichkeit hatten oder haben, sich durch eine Impfung dagegen zu schützen.
Die Inzidenzzahlen als Zentrale Größe im Krisenmanagement stehen immer stärker in der Kritik
Der Wert einer anderen zentralen Größe des Pandemiemanagements, der Inzidenzzahlen, wird in der öffentlichen Debatte seit Längerem angezweifelt, da diese mit der weitgehenden Impfung vulnerabler Bevölkerungsteile – anders als zu Beginn – mittlerweile nur noch wenig Aussagekraft über das daraus folgende Erkrankungs-, Hospitalisierungs- und Sterbegeschehen besitzen.
Die KBV unterstrich gestern nochmal die Notwendigkeit, sich von den Inzidenzen als Richtgröße zu verabschieden. Auch deshalb, weil diese in den kommenden Wochen und Monaten aller Voraussicht nach vor allem in den jüngeren mobilen Bevölkerungsgruppen dank der Delta-Variante auch in Deutschland ansteigen werden.
Erfahrungen etwa aus Großbritannien oder Spanien zeigten aber, dass dies bei Weitem nicht zu einem großen Anstieg bei den schweren Erkrankungen oder Todesfällen führe. Inzidenzen hätten als Bewertungsmaßstab daher ausgedient.
Impfangebote bis August
Schätzungsweise bis August werde jeder in Deutschland ein Impfangebot bekommen haben, schätzte KBV-Vize Hofmeister. „Wer danach nicht geimpft ist, der hat nicht gewollt.“ Es müsse nun darum gehen, möglichst viele Menschen, die noch unentschlossen seien, für eine Impfung zu gewinnen – vor allem in den Arztpraxen.
Seien bislang vorrangig Impfungen an Menschen vergeben worden, die sich aus eigener Initiative dafür in den Praxen gemeldet hätten, würde es bald darum gehen, diejenigen zu gewinnen, die aus anderen Gründen in die Praxen kommen und mit einer Impfung noch haderten.
Allerdings bräuchte es dafür auch eine Vergütung solcher Beratungsgespräche, unabhängig von einer anschließenden Impfung. Eine Viertelstunde müsste dafür jeweils einkalkuliert werden, sagte Stephan Hofmeister. Konkret hieße dies, dass ein Impfberatungsgespräch nach Vorstellungen der KBV mit etwa 12 Euro honoriert werden sollte.
Derzeit erhalten niedergelassene Ärztinnen und Ärzte für eine Corona-Impfberatung 10 Euro; kommt es anschließend tatsächlich zu einer Impfung, werden ihnen 20 Euro vergütet. Wie zuvor schon Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, forderten gestern auch Andreas Gassen und Stephan Hofmeister, Corona-Tests für jene kostenpflichtig zu machen, die sich trotz Möglichkeit nicht haben impfen lassen.
Man sollte sich hier „sukzessive aus der Gratisfinanzierung zurückziehen“, sagte Gassen. „Es kann nicht sein, dass wir für eine kleine Gruppe Impfunwilliger Testoptionen vorhalten.“
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