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Im Zwiespalt. Juristisch entlastet das Gutachten Woelki. Die moralischen Fragen sind offen.
© Ina Fassbender,dpa

Missbrauchsskandal in katholischer Kirche: Kardinalfehler und erste Rücktritte

Das Gutachten zum Umgang mit Missbrauchsfällen im Kölner Bistum legt ein System der Vertuschung offen. Kritiker Woelkis sind nicht zufrieden.

Lange wurde darauf gewartet, dass das Gutachten zum sexuellen Missbrauch von Kindern in der katholischen Kirche veröffentlicht wird. Am Donnerstag ist die Untersuchung, die im Auftrag des Kölner Erzbistums entstand, endlich vorgestellt worden – mit Folgen: Der in den vergangenen Wochen stark kritisierte Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki wird entlastet.

Der Hamburger Erzbischof Stefan Heße und Woelkis verstorbener Vorgänger, der frühere Erzbischof von Berlin und Köln, Joachim Meisner, werden schwer belastet. Der Kölner Weihbischof Dominikus Schwaderlapp sowie der Offizial (Vorsteher des Kirchengerichts) Günter Assenmacher wurden umgehend von ihren Aufgaben entbunden. Heße und Schwaderlapp boten zudem dem Papst ihren Rücktritt vom Bischofsamt an.

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Das 800 Seiten umfassende Gutachten war im Oktober von Woelki in Auftrag gegeben worden. Zuvor hatte es einen Konflikt um die Veröffentlichung eines Gutachtens der Münchner Kanzlei „Westpfahl – Spilker – Wastl“ gegeben: Unter anderem der heutige Hamburger Erzbischof Heße soll mit rechtlichen Schritten gegen dessen Veröffentlichung gedroht haben.

Heße erklärte am Abend, er habe sich selbst nicht an Vertuschung beteiligt. „In den verschiedenen Verantwortlichkeiten habe ich immer nach bewusstem Wissen und Gewissen gehandelt“, sagte er. Die Studie lege ihm jedoch nun einen Spiegel seines damaligen Handelns vor. An den Feststellungen der Studie komme er nicht vorbei. Er wolle die Konsequenzen aus dem ihm zur Last gelegten Pflichtverletzungen ziehen. Deshalb habe er Papst Franziskus gebeten, seinen Rücktritt anzunehmen und ihn von seinen Aufgaben als Erzbischof von Hamburg zu entbinden.

Von 75 festgestellten Pflichtverstößen entfielen elf auf Heße, darunter auch Verstöße gegen die Pflicht zur Aufklärung oder zur ordnungsgemäßen Meldung von Missbrauchsvorwürfen. „Eine Stelle, die verlässlich Rechtsauskunft in den einschlägigen kirchenrechtlichen Fragen erteilt oder auf die sich aus den kanonischen Vorschriften ergebenden Pflichten hingewiesen hätte, gab es nicht“, wird in dem Gutachten festgestellt.

Auswirkungen auch auf das Bistum Berlin

Auch auf das Erzbistum Berlin könnte das Gutachten noch Auswirkungen haben. Fast ein Drittel der festgestellten Pflichtverletzungen betreffen die Verantwortung des früheren Kölner Kardinals Joachim Meisner. Dem 2017 verstorbenen Theologen werden 24 Fälle zur Last gelegt. In einem Aktenordner mit der Bezeichnung „Brüder im Nebel“ soll er zudem Vorwürfe gegen Priester gesammelt haben, die so nicht im allgemeinen Archiv des Bistums auffindbar waren. Die Vorwürfe gegen Meisner lenken den Blick auch auf das katholische Erzbistum Berlin. Denn Meisner war von 1980 bis 1989 Erzbischof von Berlin. Im kürzlich vorgestellten und zu großen Teilen nicht veröffentlichten Gutachten des Erzbistums Berlins kam er dagegen nicht namentlich vor. Dort wurden nur Namen lebender Personen genannt, die befragt worden waren.

Keine nachweisbaren Pflichtverletzungen haben die Gutachter dagegen im Fall des heutigen Amtsinhabers Kardinal Woelki gefunden. Dennoch fiel das Fazit der Gutachter für das Kölner Erzbistum vernichtend aus. „Wir sind auf ein System der Unzuständigkeit, der fehlenden Rechtsklarheit, der fehlenden Kontrollmöglichkeiten und der Intransparenz gestoßen, das Geheimhaltung jedenfalls begünstigte und an dem viele Beteiligte mitwirkten, auch außerhalb des Erzbistums Köln“, sagte der Strafrechtler Björn Gercke, der zusammen mit seiner Kollegin Kerstin Stirner das Gutachten erstellt hatte.

Man könne zwar nicht von systematischer Vertuschung durch Verantwortungsträger des Erzbistums Köln sprechen, wohl aber von „systembedingter oder systeminhärenter Vertuschung“. Den Amtsträgern des Erzbistums attestierte Gercke „massive Rechtsunkenntnisse“, zudem sei die Aktenführung des Erzbistums mangelhaft gewesen. Parallelen zum Berliner Gutachten drängen sich auch an dieser Stelle auf. Eine strafrechtliche Relevanz im Sinne des weltlichen Strafrechts allerdings hätten die Gutachter nicht feststellen können.

"Blick in den Abgrund"

Woelki selbst zeigte sich in einer ersten Reaktion betroffen von den Ergebnissen des Gutachtens. „Geistliche haben sich schuldig gemacht, indem sie ihnen anvertrauten Menschen Gewalt zugefügt haben“, sagte Woelki. „Und das in vielen Fällen ohne dafür bestraft zu werden und – umso schlimmer – ohne dass die von dieser Gewalt Betroffenen ernst genommen und geschützt wurden: Das ist Vertuschung.“

Auch der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM), Johannes-Wilhelm Rörig, zeigte sich entsetzt. „Das auf der Basis der Aktenlage von den Gutachtern gezeichnete Ausmaß des Missbrauchs und der Pflichtverletzungen kirchlicher Verantwortungsträger ist erschreckend“, sagte Rörig. „Dank der Arbeit der Anwälte haben wir einen Blick in den Abgrund eines Systems von Missbrauch und Gewalt in Köln werfen können“, sagte Martin Katsch, der Vorsitzende des Eckigen Tischs der Missbrauchsbetroffenen am Berliner Canisius-Kolleg. „Kardinal Woelki war Teil des Systems, das mindestens seit der Amtsübernahme durch Joachim Meisner hier gewachsen ist und zur dem auch die Bischöfe Heße und Schwaderlapp gehören.“ Insofern stelle sich auch weiter die Frage nach der moralischen Verantwortung Woelkis. „Sie ist heute nicht beantwortet worden.“

Das bislang unter Verschluss gehaltene erste Gutachten soll ab dem 25. März Betroffenen, Journalisten und weiteren Interessierten zur Einsicht zur Verfügung stehen.

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