EU-Wahl in Österreich: Kanzler Kurz gewinnt, FPÖ verliert nur leicht
Einen Tag vor dem Misstrauensvotum gegen Sebastian Kurz gewinnt seine ÖVP klar die Europawahl. Den Rechtspopulisten schadet das Ibiza-Video kaum.
Sebastian Kurz hatte Wichtigeres zu tun. Als Stargast war der österreichische Bundeskanzler angekündigt zum großen EVP-Wahlkampfabschluss in München am Freitag, doch statt Bussi-Bussi mit Angela Merkel und Manfred Weber absolvierte Kurz lieber sein ganz persönliches Finale, einen Interviewmarathon in der Heimat. Ein Videogruß an die Parteifreunde, mehr war nicht drin – Europa muss eben zurückstehen in diesen bewegten Tagen, nicht nur im Terminkalender des Bundeskanzlers.
Österreich hat am Sonntag innenpolitisch gewählt, das stand für viele Experten schon fest, bevor kurz nach 17 Uhr die erste Prognose über die Bildschirme flimmerte. Die Zahlen aus Nachwahlinterviews sind mit Vorsicht zu genießen, deuten jedoch auf einen klaren Sieg von Sebastian Kurz’ ÖVP hin, die mit 34,5 Prozent stärkste Partei wäre. Die SPÖ landet nach der ersten Prognose bei rund 23,5 Prozent, die Grünen bei 13,5 Prozent. Die rechtspopulistische FPÖ kommt auf 17,5 Prozent – weniger, als es die Umfragen vor der „Ibiza-Affäre“ in Aussicht stellten; aber im Vergleich zur Europawahl 2014, bei der sie 19,7 Prozent holte, nur ein sehr moderates Minus.
Niemand in Österreich, der diese Zahlen interpretieren will, würde auf die Idee kommen, dafür nach Brüssel zu blicken. „Die Wahl wird komplett von der innenpolitischen Lage überschattet“, sagte der Wiener Politikberater Thomas Hofer dem Tagesspiegel. „Es war immer so, dass innenpolitische Themen eine große Rolle gespielt haben, wie wir es auch aus anderen EU-Ländern kennen. Aber solch eine Situation im Finale – das gab’s noch nie.“
Spätestens seit Sebastian Kurz am vergangenen Samstag Neuwahlen ankündigte, wurden die EU-Wahlen zu einem besseren Stimmungstest degradiert, auch wenn der Kanzler das am Freitag in einem Interview mit „oe24.tv“ bestritt: „Das ist definitiv keine Testwahl, es bleibt die Europawahl.“
Reine Taktik, meint Politikberater Thomas Hofer: „Er hat den Begriff gescheut, weil er nicht wusste, wie es laufen wird.“ Aber die Anzeigenmotive aus dieser Woche sprechen eine andere Sprache: Sie zeigen Sebastian Kurz, allein, ohne den ÖVP-EU-Spitzenkandidaten Othmar Karas, dazu den Slogan „Am Sonntag: Für Europa. Und Sebastian Kurz.“
Der Kanzler hatte den Wahlkampf schon vor der Ibiza-Affäre zur Chefsache gemacht. Er nahm dem EU-Veteran Karas die Sache aus der Hand. Der ist ein überzeugter Europäer und klassischer Konservativer, unwählbar also für jene neuen ÖVP-Anhänger, die Kurz 2017 mit seinem Kurs in der Migrationsfrage erschlossen hatte. Also wetterte Kurz gegen den angeblichen „Regelungswahnsinn“ und die „Bevormundung“ aus Brüssel: „Kein Mensch braucht EU-Vorgaben, etwa für die Zubereitung von Schnitzel und Pommes.“
Aber seit dem Auftauchen des Videos vom FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache im zutraulichen Gespräch mit einer angeblichen Milliardärsnichte spricht ohnehin kaum jemand mehr über die EU. Die Republik hetzt von Breaking News zu Breaking News. An diesem Montag wird das Parlament über den Misstrauensantrag gegen Sebastian Kurz entscheiden. Dem Kanzler kam die Initiative der Opposition zumindest nicht ungelegen, meint Politikberater Thomas Hofer: „Der Misstrauensantrag hat der ÖVP sicher massiv geholfen, ihre Wählerschaft an die Urne zu kriegen.“ Kurz, für seine meisterhafte Selbstinszenierung bekannt, betonte in seinen Interviews am Freitag denn auch immer wieder, dass Österreich „Stabilität“ brauche, und diese Stabilität kann seiner Meinung nach natürlich nur er garantieren.
Am Sonntag taucht Strache wieder auf
Festgelegt haben sich weder die Sozialdemokraten noch die Freiheitlichen, die endgültigen Ergebnisse vom Sonntag werden in die Entscheidungsfindung einfließen. Triumphiert Kurz mit sattem Vorsprung, könnten SPÖ und FPÖ als schlechte Verlierer dastehen, sollten sie den Kanzler tatsächlich gemeinsam stürzen. Vor allem die angeschlagenen Sozialdemokraten könnten also nochmal ins Grübeln kommen. Die FPÖ allerdings, das zeigte sich am Wochenende, dürfte sich die Chance auf Rache nicht nehmen lassen.
"Kurz muss weg“, skandierten die Anhänger der Rechtspopulisten am Freitagnachmittag auf dem Viktor-Adler-Markt in Wien, wo die Partei traditionell ihr Wahlkampffinale begeht. Ein Signal, das Parteichef und designierten Spitzenkandidaten Norbert Hofer mit einem Lächeln aufnahm. „Ich höre euch“, sagte er. „Und ihr werdet am Montag an mich denken.“
Die FPÖ mag im Laufe dieser turbulenten Woche erst aus allen Wolken und dann aus der Regierung geflogen sein, der Neustart fällt ihr sichtlich leicht. Eine Kostprobe gab EU-Spitzenkandidat Harald Vilimsky schon am Donnerstagabend ab, live im ORF, der im Moment die Hälfte seines Programms mit Politik bestreitet – und traumhafte Quoten einfährt.
Vilimsky, der Mann mit der Reibeisenstimme, brüllte wie zu besten Oppositionszeiten: „Eine Schmierenkomödie“ werde da gespielt, die Sache auf Ibiza sei „zwei Jahre alt“. Als Feindbild für Österreichs Patrioten taugt immer der Piefke: ausgerechnet kurz vor der Wahl sei „aus Deutschland über linke Medien nach Österreich hereingespielt“ worden. Ein „politischer Meuchelangriff“.
Heinz-Christian Strache, der seiner Partei den Schlamassel erst eingebrockt hat, ließ sich beim Wahlkampfabschluss auf dem Viktor-Adler-Markt nicht blicken, auch wenn er noch immer von den Wahlplakaten grinst. Neben ihm Harald Vilimsky, darunter das neue Leitmotto der Partei: „Jetzt erst recht.“ Aber am Sonntag, tauchte Strache plötzlich doch wieder auf – auf dem Wahlzettel. Auf Platz 42 der Liste der Freiheitlichen Partei Österreichs stand er: „Heinz-Christian Strache, Beruf: Vizekanzler und Bundesminister.“ Die Meldefristen waren längst abgelaufen, als er von diesen Ämter zurücktrat, also blieb sein Name. Rechtsradikale machten deswegen vor dem Sonntag mobil: Strache sollte über die Vorzugsstimmen nach vorne wandern, auf einen sicheren Listenplatz. Er selbst hat jedoch angekündigt, sich nachträglich zurückzuziehen. Aber trotzdem: Gewinnt Strache ein Europamandat, wäre das eine passende Pointe für diese Wahl im Schatten von Ibiza.
Christian Bartlau