So steht es in der Öffnungsdebatte: Kann der Lockdown gelockert werden – und wenn ja, wie?
Vor dem Bund-Länder-Gipfel werden Forderungen nach einer Öffnungsstrategie laut, sowohl im Handel als auch bei Schulen. Die Politik aber mahnt zur Vorsicht.
Fast zwei Monate ist es inzwischen her, dass das Robert Koch-Institut (RKI) den höchsten Wert an Neuinfektionen in Deutschland seit Beginn der Pandemie meldete: 33.777 neue Fälle innerhalb von 24 Stunden waren es am 18. Dezember 2020. Wenige Tage zuvor hatten Kanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten der Länder den Lockdown weiter verschärft: Schulen und Kitas, Geschäfte, Friseure, Kosmetikstudios etc. mussten schließen – und das alles kurz vor Weihnachten.
Sieben Wochen nach diesem traurigen Höchstwert an Infektionen stellt sich für Deutschland die Frage: Wie geht es in den kommenden Tagen, Wochen und Monaten weiter? Bleibt alles zu oder kann der Lockdown gelockert – und wenn ja, wie?
Die Zahl der täglichen Neuinfektionen hat sich inzwischen stark verringert. In der ersten Februarwoche lag der Höchstwert bei rund 13.000. Am Montagmorgen lag die deutschlandweite Sieben-Tage-Inzidenz laut Robert Koch-Institut (RKI) sogar nur bei 76. Aber reicht das für umfangreiche Lockerungen?
Genau darüber wollen Kanzlerin Merkel und die Länderchefs auf einem Gipfel am kommenden Mittwoch beraten. Der derzeitige harte Corona-Lockdown ist vorerst bis zum 14. Februar befristet. Auch wenn sich Stimmen für Öffnungsstrategien mehren und die Zahlen sinken, zeichnet sich eine Lockdown-Verlängerung bis 28. Februar ab, wie "Business Insider" und das "Redaktionsnetzwerk Deutschland" übereinstimmend berichten. Möglich aber, dass zum Beispiel Friseure oder Schulen und Kitas unter Auflagen öffnen können.
Eine Lockerung in Stufen bei sinkender Corona-Gefahr hält etwa Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) für sinnvoll - allerdings noch nicht im Februar. „Was zuletzt eingeschränkt wurde, soll wieder zuerst aufmachen. Deshalb haben für mich die Grundschulen Vorrang“, sagte Woidke am Montag. „Die nächsten Schritte könnten einzelne körpernahe Dienstleistungen wie das Friseurhandwerk sein.“ Zu alledem gehörten klare Hygienekonzepte, betonte der Regierungschef. Trotz sinkender Infektionszahlen sei Vorsicht geboten.
Auch die Städte und Gemeinden in Brandenburg und CDU-Landtagsfraktionschef Jan Redmann dringen auf solche Perspektiven ähnlich wie in anderen Bundesländern.
„Den Menschen eine Perspektive geben“
Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller betonte am Montag, dass es auch darum gehe, den Menschen eine Aussicht auf mögliche Lockerungen zu geben. „Wir sind in einer kritischen Phase. Zum einen geben die zurückgehenden Infektionszahlen Grund zur Hoffnung, aber die diffusen Informationen und Erkenntnisse zu den Mutanten bereiten uns große Sorgen“, sagte der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK). „Wir wollen und müssen den Menschen aber eine Perspektive für mögliche Lockerungsschritte geben, wenn dies die Infektionszahlen hergeben“, so der SPD-Politiker.
Er erwarte daher von der Bund-Länder-Schalte einen gemeinsamen Rahmenplan, möglichst gekoppelt an Inzidenzen und der Auslastung unserer Intensivmedizin.
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Die Bundesregierung besteht derweil auf eine weitere Senkung der Corona-Infektionszahlen. „Die zweite Welle der Pandemie ist gebrochen, aber sie ist natürlich noch nicht zu Ende“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. Es sei eine sehr gute Entwicklung, dass die Zahl der Neuinfektionen und die Belegung von Intensivstationen abnehme. Das Ziel, bundesweit auf weniger als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen zu kommen, sei aber noch nicht erreicht.
Auch die Haltung der Intensivmediziner zu diesem Thema ist eindeutig: Sie sehen derzeit noch keine Alternative zum Corona-Lockdown. Die Lage auf den Intensivstationen sei trotz eines Rückgangs der Zahl der Patienten mit einem schweren Covid-19-Verlauf weiterhin ernst, warnt die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi).
Intensivmediziner raten dringend zur Lockdown-Verlängerung
„Natürlich können wir den Lockdown nicht unendlich fortsetzen“, erklärte Verbandspräsident Gernot Marx. Es sei aber zwingend erforderlich, die derzeit geltenden strengen Corona-Maßnahmen auch über Mitte Februar hinaus zu verlängern. „Anfang März sollten wir dann wieder in die Diskussion einsteigen“, erklärte Marx.
Marx geht davon aus, dass die Lage bis Ostern sehr ernst bleibe. „Wenn sich der Rückgang der Corona-Patienten auf den Intensivstationen seit Jahresbeginn in diesem Tempo fortsetzt, wird es April oder Mai, bis die Situation als entspannt gelten kann.“ Dies sei nur ohne einen erneuten Neuanstieg der Infektionszahlen realistisch. Derzeit werden knapp 4000 Patienten mit einer Sars-CoV-2-Infektion auf den Intensivstationen der Krankenhäuser behandelt.
Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wirbt für eine Fortsetzung des Corona-Lockdowns. Außerdem fordert er ein weiteres schrittweises Vorgehen der Regierung. „Alle wünschen sich einen Sechs-Monats-Plan, aber den kann es halt in dieser Dynamik, in dieser Pandemie nicht geben“, sagte Spahn am Sonntag in der ARD-Sendung „Anne Will“. Es gehe nur „Zug um Zug“ - und dabei stünden noch einige harte und schwere Wochen bevor.
Es werde weiterhin notwendig sein, die konkreten Maßnahmen, die konkrete Strategie immer wieder anzupassen. „Ich weiß, alle haben eine Sehnsucht nach irgendetwas, das dann hält für sechs oder zwölf Monate. Aber das geht nicht. Das Virus ist zu dynamisch. Die Lage verändert sich zu sehr“, sagte Spahn.
„Wir werden immer wieder anpassen müssen an die Erkenntnisse, an die Entwicklung“, so der Minister. „Wir werden immer wieder überprüfen müssen, nach jeder Maßnahme, die wir ergreifen, nach jedem Schritt, den wir gehen auch nach zwei, drei Wochen: Was sind die Folgen, müssen wir nachsteuern?“
Spahn warnt vor „besorgniserregenden Mutationen“
Insbesondere die Entwicklung bei den „besorgniserregenden Mutationen“ müsse genau beobachtet werden. Die hochansteckenden Virusvarianten verbreiteten sich scheinbar schneller als das Virus bisher, sagte Spahn mit Blick auf die jüngsten Daten des Robert Koch-Instituts. Allein der Anteil der in Großbritannien entdeckten Variante B117 lag demnach Ende der Woche bei knapp sechs Prozent.
Spahn sagte außerdem, bevor es konkret werde mit Lockerungsschritten, solle abgewartet werden, „bis wir deutlich unter 50 bei 100.000 sind“.
Gegen einen langfristigen Plan spricht sich auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder aus. „Das Auf-Sicht-Fahren nervt. Aber das Auf-Sicht-Fahren ist das einzige, was wirklich hilft. Denn der Herausforderer, vor dem wir stehen, - Corona - hält sich null an Termine, die wir setzen", sagte er im ARD-„Bericht aus Berlin“.
Söder will Signale setzen – Friseuröffnung möglich?
Über eine Perspektive werde aber bei den Bund-Länder-Beratungen am Mittwoch gesprochen, sagte Söder. Die werde es sicher geben - „ganz klar“. „Wie und wie lange und in welchem Umfang, das muss man noch diskutieren.“ Es sei wichtig, kleinere Signale zu setzen - beispielsweise bei personennahen Dienstleistungen wie Friseuren. „Aber alles vernünftig Schritt für Schritt“, so der CSU-Chef.
Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) spricht sich gegen automatische Lockerungen der Corona-Beschränkungen bei einem Inzidenzwert unter 50 aus. „Es darf keinen Automatismus geben“, sagte Tschentscher der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom Montag. „Wir brauchen eine Einschätzung der Gesamtlage und müssen sehr vorsichtig bleiben.“ Ansonsten könnte der Inzidenzwert schnell wieder bis weit über 50 steigen.
Laut Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) muss die schnelle Senkung der Corona-Infektionszahlen absoluten Vorrang vor einer Lockerung des Lockdowns haben. „Mein Rat als Bundeswirtschaftsminister ist, dass wir alles, aber auch wirklich alles tun, damit die Zahlen schneller runtergehen“, sagt Altmaier im Politik-Talk der Zeitung "Bild" mit Blick auf die Beratungen von Bund und Ländern am Mittwoch.
Selbstverständlich werde auch an „Öffnungsstrategien“ gearbeitet. Derzeit seien die „Zahlen aber noch zu hoch, um konkrete Schritte jetzt schon zu verantworten“.
Über mögliche Öffnungsperspektiven sollte nach Ansicht von SPD-Kanzlerkandidat und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) aber schon jetzt diskutiert werden. „Wichtig ist, dass wir über ein Öffnungskonzept und eine Öffnungsstrategie miteinander sprechen“, sagte Scholz im ZDF-„Morgenmagazin“. „Wir müssen vorsichtig bleiben, das ist ganz sicher klar, wir müssen auf die Mutationen achten. Aber wir sehen, dass unsere politischen Handlungen auch Erfolge haben, denn die Infektionsraten gehen ja zurück.“
Druck kommt vor allem von Seiten der Wirtschaft. Verbände dringen auf ein Ende des Lockdowns. Möbelindustrie und Einzelhändler etwa legten Hygienekonzepte vor und pochten auf die Aussicht, ihre Geschäfte wieder öffnen zu dürfen. „Die geschlossenen Handelsunternehmen brauchen schleunigst eine realistische Öffnungsperspektive. Ansonsten werden wir zehntausende Geschäfte verlieren“, warnt Hauptgeschäftsführer Stefan Genth vom Handelsverband HDE.
Der Verband der Deutschen Möbelindustrie (VDM) ruft die Bundesregierung eindringlich zu einer „Strategie für ein abgesichertes Wirtschaften in der Krise“ auf. In einem offenen Brief unter anderem an Bundeskanzlerin Angela Merkel heißt es, eine „abgesicherte Öffnung“ spätestens ab 1. März sei dringend erforderlich.
Wie kann die Rückkehr in die Schulen aussehen?
Ein weiteres großes Thema am Mittwoch werden wohl die Schulen und die Rückkehr in den Präsenzunterricht sein. Eine Öffnung sei nur „sehr behutsam und vorsichtig, auf keinen Fall flächendeckend in allen Regionen möglich“, sagte der Präsident des Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, der „Welt“.
Kanzlerin Angela Merkel stellte am Montag eine längerfristige Strategie für Schulen und Kitas in Aussicht. Man wolle bei den Beratungen eine solche Strategie auf den Weg bringen, sagte Merkel am Montag nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur von Teilnehmern in Online-Beratungen des CDU-Präsidiums. Zugleich habe sie betont, in den nächsten beiden Wochen müssten die Infektionszahlen nochmals gedrückt werden.
Die Kanzlerin sagte nach diesen Informationen weiter, die Infektionswelle sei gebrochen, aber noch kein Bundesland liege unter der Zahl von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern innerhalb einer Woche. Zudem gebe es eine sehr langsame Reduzierung des R-Wertes. Besorgt äußerte sich Merkel zu der in Südafrika kursierenden Virus-Variante B1351, die auch über Großbritannien nach Deutschland komme.
Wissenschaftler halten das Risiko einer Schulöffnung unterdessen mit strengen Hygieneauflagen für beherrschbar. Das geht aus den Leitlinien zur Prävention und Kontrolle von Corona-Infektionen in Schulen hervor, die Bundesforschungsministerin Anja Karliczek am Montag vorstellte.
Die Fachgesellschaften für Epidemiologie, Public Health, Kinder- und Jugendmedizin und pädiatrische Infektiologie kommen in den 29-seitigen Leitlinien zu dem Schluss, dass Schulen in der Corona-Krise geöffnet bleiben könnten, wenn sie ein klares Set an Hygienemaßnahmen beachten. Dies setze allerdings voraus, die Klassen und Jahrgänge in kleinere und feste Gruppen zu unterteilen.
Dazu kommen strenge Abstands- und Lüftungsregeln, eine konsequente Pflicht zum Tragen medizinischer Masken und die Reduzierung der Personen bei der Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs, auch durch eine zeitliche Streckung des angebotenen Unterrichts. (mit dpa/AFP/Reuters)
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