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Die ägyptische Grenze in Rafah auf der Halbinsel Sinai.
© Said Khatib/AFP

Wahlen in Ägypten: Kampfzone und Urlaubsparadies: Die zwei Welten des Sinai

Dschihadisten gegen Regierungssoldaten: Der Norden der Halbinsel gleicht einer Kampfzone. Im Süden Ägyptens dagegen feiern Touristen ihre Partys – auch weil die Beduinen sich dem IS entgegenstellen. In den Touristenzentren ist wenig vom Ausnahmezustand zu merken.

„Siehst du die Berge am Horizont? Da kommt nur durch, wen wir durchlassen.“ Husni Haschesch deutet mit seinem Zeigefinger auf ein grauschwarzes Felsmassiv, das den Süden der ägyptischen Sinai-Halbinsel vom Norden trennt. „Bisher hat es noch keiner der Terroristen bis hierher geschafft“, sagt er. Der 23-Jährige steht auf einem Felsvorsprung am Berg Mose und blickt in die Ferne. Der Südsinai, sagt er, sei sicher.

Husni ist ein Beduine vom Stamm der „Bergwächter“. Der Legende nach stammen sie von römischen Soldaten ab, die im 5. Jahrhundert damit betraut wurden, das Katharinenkloster am Fuße des Moses-Berges zu beschützen. Noch heute siedeln die Nachfahren im Örtchen Milga unweit des Klosters. Und sie nehmen ihre Aufgabe ernst – auch wenn der Feind heute der „Islamische Staat“ ist. Ein Ableger hat sich seit knapp einem Jahr im Nordsinai festgesetzt.

Ägypten kommt auch mehr als zwei Jahre nach dem Sturz des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi nicht zur Ruhe. Immer wieder erschüttern Dschihadisten mit Anschlägen das Land. Die Regierung des neuen Präsidenten und ehemaligen Armeegenerals Abdel Fattah al Sisi reagiert mit Repression und Menschenrechtsverletzungen. Medien werden zensiert, Oppositionspolitiker im Zuge des Antiterrorkampfes eingesperrt.

Im Norden wird gekämpft, die Tourismusgebiete an der Südküste sind abgeriegelt

Vor allem im Norden des Sinai liefert sich die Armee beinahe täglich blutige Kämpfe mit Islamisten. Die Terrorgruppe Ansar Bait al Maqdis („Anhänger Jerusalems“) hatte zunächst von dort aus gegen al Sisi gekämpft. Seit sie im November vergangenen Jahres jedoch der IS-Miliz die Treue schwor – sie nennen sich nun „Provinz Sinai“ – sickern die Islamisten auch ins ägyptische Festland ein. Zuletzt schockierten sie mit einem Enthauptungsvideo eines in Kairo entführten Kroaten.

Gewalt und Gegengewalt haben dem Sinai ein doppeltes Gesicht gegeben: Urlaubsparadies im Süden, Kampfzone im Norden. Entlang der Küste zieht sich eine Spur weiß getünchter Hotels und Palmenhaine vor dem tiefen Blau des Meeres, dahinter erstrecken sich die Berge wie drohende Schatten. Dutzende Militärposten trennen beide Welten; Autos, die passieren wollen, bewegen sich im Slalom zwischen mit Zement gefüllten Fässern und herbeigeschafften Steinfelsen. Soldaten stehen mit geschulterten Maschinenpistolen Spalier. Werden an den Checkpoints direkt hinter Scharm el Scheich die Pässe noch streng kontrolliert und die Leute befragt, nimmt die Neugier sowie auch die Zahl der Soldaten an den Kontrollpunkten ab, je weiter man sich Richtung Bergmassiv bewegt. Gut 130 Kilometer nördlich des Klosters endet die Reise. So sorgsam wie die „Bergwächter“ darauf achten, dass keine IS-Kämpfer in den Süden vordringen, passen die Soldaten darauf auf, dass kein Tourist die gefährliche Reise nach Norden wagt. Passieren dürfen nur jene, deren Heimat jenseits des Bergkamms liegt. Für alle anderen sei es unmöglich, sagt Ahmad.

Ahmad lebt in al Arisch, seinen wirklichen Namen und seinen Beruf will er nicht nennen. Seine Familie lebe längst in Kairo, aber er müsse beruflich immer wieder nach al Arisch zurück. Die Stadt liegt an der Mittelmeerküste und nahezu im Zentrum der beinahe täglichen Gefechte. „Es ist ein bisschen wie in einer Geisterstadt“, sagt Ahmad. Tagsüber würden die Soldaten patrouillieren, in der Dämmerung kämen die IS-Kämpfer auf ihren Pick-ups in die Stadt gerauscht. Die Islamisten greifen meist abends kurz nach Beginn der Ausgangssperre an. Sie behaupten, so das Volk schützen zu wollen und nur jene zu attackieren, die sich dann noch auf den Straßen befinden – die Soldaten. Die Ausgangssperre war Mitte Oktober 2014 beschlossen worden, nachdem bei einem Bombenanschlag mehr als 30 Soldaten getötet wurden. Zugleich wurde über den Nordsinai der Ausnahmezustand verhängt. Beides verlängert die Regierung seither immer wieder. Im Süden, in den Touristenhochburgen, merkt man vom Ausnahmezustand hingegen fast nichts. „Ach, Terror interessiert hier keinen“, sagt Barkeeper Sherif. „Gerade die Russen, die Russen kommen immer!“

Der 26-Jährige arbeitet im Pacha, der größten Diskothek im Ferienort Scharm el Scheich. Um die 1000 Gäste habe die Disko jeden Abend, vom Golfaraber bis zum britischen Pauschaltouristen. Angst vor Anschlägen gebe es nicht, allein die Sichtbarkeit der Panzer vor der Tür würde die Leute beruhigen. Dennoch: Die halbe Tanzfläche des Pacha ist derzeit mit einem künstlichen Wasserfall zugebaut. Eine „kleine Schummelei“, gibt Sherif zu. Noch vor wenigen Jahren hätten jeden Abend bis zu 3500 Gäste die komplette Fläche ausgefüllt.

Der Tourismus hat gelitten - jetzt wird mehr Opium angepflanzt.

Der Sinai erholt sich nur langsam von den Folgen des Arabischen Frühlings. Kamen laut ägyptischem Tourismusministerium 2010 noch knapp 15 Millionen Gäste auf die Halbinsel, pendeln die Zahlen seither zwischen neun und zehn Millionen. Die Hotelauslastung brach von 80 Prozent im Jahr 2000 auf 52 Prozent 2012 ein. Das hat vor allem Folgen für die Beduinen der Halbinsel.

Einer von ihnen, der genug vom Hoffen auf Touristen hat, ist Sabah. Der 35-Jährige hat 2014 mit dem Anbau von Opium begonnen. „Auf dem Sinai wurde schon immer Opium gepflanzt“, erzählt Sabah. „Aber nicht in der Masse wie jetzt.“ Vor 2011 hätte man für ein Päckchen mit etwa 40 Gramm Rohopium umgerechnet 100 Euro bekommen. Heute gibt es dafür nur noch 30 Euro.

Insgesamt leben auf dem Sinai rund 80 000 Beduinen. Fast keiner von ihnen darf in den Hotels entlang der Küste arbeiten, auch in den Armeedienst dürfen sie nicht. Neben Drogenanbau wenden sich immer mehr Beduinen daher Schmuggel und Menschenhandel zu – oder wechseln zum IS.

Husni, der Bergführer, hat die Hoffnung trotz aller Widrigkeiten noch nicht aufgegeben. Er selbst stammt aus einer Familie von Viehzüchtern. „Aber heute können wir kaum noch davon leben“, sagt er. Husni führt daher Besucher bei Sonnenaufgang auf den Berg Mose oder zeigt ihnen das Kloster. In Anbetracht der Sicherheitslage ein Glücksspiel: „Gibt es keine Touristen, gibt es hier keine Arbeit.“ Vor der Revolution seien täglich bis zu 2000 Touristen zum Katharinenkloster gekommen, heute seien 150 Gäste schon ein guter Tag.

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