Krebsregister und Vorsorgeuntersuchungen: Kabinett legt Gesetzesentwurf zur Krebsbekämpfung vor
Die Regierung will die Volkskrankheit Krebs bekämpfen und legt einen Gesetzentwurf vor. Doch wie sinnvoll sind die geplanten Veränderungen?
Bessere Datenerfassung und mehr Vorsorge: Mit diesem Doppelrezept will die Bundesregierung den Kampf gegen den Krebs forcieren. Das nun am Mittwoch vom Kabinett auf den Weg gebrachte Gesetz sieht vor, von 2016 an Versicherte persönlich zur Früherkennung von Darm- und Gebärmutterhalskrebs einzuladen. Vorbild dafür ist das bereits bestehende Programm zur Brustkrebsfrüherkennung für Frauen. Zudem werden die Bundesländer verpflichtet, ab 2018 in allen Krankenhäusern standardisierte Krebsregister zu führen. Darin sollen das Auftreten, die Behandlung und der Verlauf von Krebserkrankungen dokumentiert werden.
Bereits vor vier Jahren haben Gesundheitsministerium, Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe und die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren den Nationalen Krebsplan ins Leben gerufen. Er legt vier Handlungsfelder für die Krebsbekämpfung fest: Weiterentwicklung der Früherkennung, Verbesserung der medizinischen Versorgung und Qualitätssicherung, eine effizientere Behandlung und bessere Patienteninformation. Der jetzt vorgelegte Gesetzentwurf der Bundesregierung zu Früherkennung und Krebsregistern setzt also Empfehlungen des Nationalen Krebsplans um.
Krebs ist hierzulande die zweithäufigste Todesursache nach den Herz-Kreislauferkrankungen, etwa jeder vierte Deutsche erliegt einem Tumorleiden. 2008 erkrankten etwa 470 000 Menschen an Krebs, 218 000 starben daran. Als Krebs bezeichnet man das ungehemmte und zerstörerische Wuchern von körpereigenem Gewebe. Die Ursachen sind hauptsächlich genetische Veränderungen, die sich mit den Lebensjahren im Erbgut der Körperzellen anhäufen – weshalb Krebs auch eine Bürde des Alters ist. Da die Lebenserwartung in Deutschland weiter steigt, ist mit einer Zunahme von Krebserkrankungen zu rechnen. Immer mehr Menschen erreichen ein Alter von 70, 80 oder mehr Jahren, in denen Krebs häufig ist. Und so steigt die Zahl der Fälle, obwohl das Risiko für den Einzelnen nicht größer geworden ist, in dieser Altersgruppe an einem Tumor zu erkranken.
Wie soll künftig die Krebsvorsorge verbessert werden?
Bei ihrem Gesetzentwurf hält sich die Bundesregierung an Leitlinien der EU- Kommission. Diese sehen vor, dass Krebsfrüherkennungsprogramme „organisiert“ ablaufen sollen. Demnach werden Angehörige bestimmter Altersgruppen regelmäßig zur Krebsvorsorge- oder Früherkennung eingeladen. Solche Reihenuntersuchungen für Gesunde nennt man auch „Screening“. Bislang gibt es ein organisiertes Screening in Deutschland nur bei der Brustkrebsfrüherkennung. Frauen zwischen 50 und 69 haben alle zwei Jahre Anspruch auf eine Röntgenaufnahme der Brust (Mammographie) zur Früherkennung, die die gesetzliche Krankenversicherung bezahlte. Nun soll auch zu Darmkrebs- und Gebärmutterhalskrebs-Vorsorge eingeladen werden. Bei Darmkrebs kommen Menschen ab 50 in Frage, bei Gebärmutterhalskrebs Frauen zwischen 20 und 65. Wie das Gesetz im Detail ausgestaltet wird, etwa welche Tests eingesetzt werden und in welchen Zeitabständen zur Vorsorge eingeladen wird, darüber wird der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen befinden. Die Einladung soll die Teilnehmerzahlen erhöhen. Kritiker wie Christian Albring, Chef des Berufsverbands der Frauenärzte, weisen aber darauf hin, dass am Mammographie-Screening nur 50 bis 70 Prozent der Frauen teilnehmen und die Zahlen sogar rückläufig seien.
Unbestritten ist: Je eher ein Krebs erkannt wird, umso größer sind die Heilungschancen. Nur steckt der Teufel im Detail. Wenn bei Gesunden nach einem Tumor gesucht wird, wird nicht selten falscher Alarm ausgelöst. Das ist vor allem bei der Brustkrebs- wie bei der Prostatakrebs-Früherkennung ein Grund, dass beide Vorsorgeuntersuchungen immer noch wissenschaftlich umstritten sind.
Welchen Nutzen haben die neu geplanten Vorsorgeuntersuchungen?
Schon heute haben alle Versicherten ab dem 55. Lebensjahr Anspruch auf eine Darmspiegelung alle zehn Jahre. Darmkrebs entwickelt sich meist über mehrere Jahre aus gutartigen Wucherungen (Polypen). Bei der Darmspiegelung werden diese Polypen entfernt und damit dem Krebs vorgesorgt. Der Nutzen der Darmspiegelung ist also klar belegt. In seltenen Fällen kann allerdings bei der Untersuchung mit einem dünnen Rohr die Darmwand verletzt werden und eine Infektion der Bauchhöhle entstehen.
Gebärmutterhalskrebs ist in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter zurückgedrängt worden. Das ist auch ein Verdienst der Krebsvorsorge mit Hilfe des Abstrichs vom Muttermund, dem Übergang von der Scheide zur Gebärmutter. Heute finden sich mindestens 60 Prozent der Fälle von Gebärmutterhalskrebs bei Frauen, die die letzten fünf Jahre vor der Diagnose nicht bei der Vorsorge waren. Die Einladung könnte helfen, diese Frauen zu erreichen. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, diesen Frauen einen Selbsttest zuzuschicken, den sie dann bei derApotheke abgeben und auswerten lassen.
Die Aufforderungen zur Vorsorgeuntersuchung sind nicht unumstritten. Da es dadurch „regelmäßig zu Überdiagnosen und in der Folge zu unnötigen Eingriffen“ komme, sollten die Bürger nur zum ärztlichen Beratungsgespräch über Chancen und Risiken solcher Untersuchungen eingeladen werden, fordern die Grünen-Abgeordneten Maria Klein-Schmeink und Biggi Bender. Das sieht der Vize-Geschäftsführer beim Medizinischen Dienst der Krankenkassen, Stefan Gronemeyer, genauso. „Ein Überreden oder Motivieren der Bevölkerung ist nicht mehr zeitgemäß“, meint er. Schließlich seien auch Vorsorgeuntersuchungen nicht risikolos und es sei „zu befürchten, dass die Anzahl der Übertherapien die Anzahl der verhinderten Krebstodesfälle übersteigt“. Die Ausweitung von Kontroll- und Früherkennungsprogrammen „sichert zwar zusätzliche Einnahmequellen für Ärzte, wird aber zur Eindämmung von Krebserkrankungen überschätzt“, glaubt die Linken-Gesundheitspolitikerin Martina Bunge.
Nach Ansicht des CDU-Gesundheitsexperten Jens Spahn dagegen sollten Versicherte für den regelmäßigen Besuch von Krebsvorsorgeuntersuchungen sogar belohnt werden. Gesundheitsminister Bahr lehnt dies aber ab. Der Einzelne müsse „frei von finanziellen Druck“ entscheiden, ob Früherkennung sinnvoll für ihn sei oder nicht, sagte er. Dazu passt, dass die bisherige Regelung gestrichen werden soll, wonach chronisch Kranke für ihre Arznei mehr zuzahlen müssen, wenn sie vor dem Ausbruch ihrer Krebserkrankung nicht regelmäßig zur Vorsorge gegangen sind.
Welchen Nutzen bringen die geplanten Krebsregister?
An der Idee, flächendeckende Register, aufzubauen, ist wenig zu kritisieren. Krebsforscher sind erleichtert darüber, endlich eine gesetzliche Grundlage für solche Datensammlungen zu erhalten, sie sprechen von einem Durchbruch. Und selbst die Grünen loben den FDP-Minister für seinen Vorstoß. Beanstandet wird nur die lange Frist für den Aufbau der Register – die Länder können sich bis zum Jahr 2018 Zeit lassen. Und manchen geht die Vereinheitlichung nicht weit genug. Die Ersatzkassen etwa verlangen, die Krebsregister auf eines pro Bundesland zu begrenzen. Der SPD-Experte Karl Lauterbach wiederum ärgert sich darüber, dass die Daten nur Wissenschaft und Politik, nicht aber der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen sollen. „Die Menschen wollen wissen: Wie hoch ist das Krebsrisiko in einer bestimmten Region – etwa in der Nähe einer Chemiefabrik?“ Und für Patienten seien auch die Behandlungserfolge oder -misserfolge der Kliniken von Interesse.
Dass es bislang keine einheitlichen Krebsregister gibt, liegt vor allem an den Westdeutschen. In Ostdeutschland gibt es eine solche Datensammlung seit langem. Bereits 1952 begann die damalige DDR mit der systematischen Registrierung von Krebsfällen. Und nach der Wende beschlossen die Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und die Freistaaten Sachsen und Thüringen, diesen Datenbestand als Gemeinsames Krebsregister weiterzuführen. Epidemiologische Register gibt es auch in westdeutschen Ländern, das älteste in Hamburg. Allerdings haben die meisten noch keine vollzählige Registrierung erreicht. Zudem fehlt es an der Verknüpfung mit klinischen Registern, bei denen es um die Krebsbehandlung geht.
Nur bei Kindern ist man weiter. Seit 1980 gibt ein bundesweites Kinderkrebsregister, das epidemiologische mit klinischen Daten kombiniert. Und seit 2006 garantiert eine Qualitätssicherungsvereinbarung, dass alle jungen Patienten bundesweit nach einheitlichen Therapieplänen behandelt werden. Aus Expertensicht ist dies der Grund für die hohe Heilungsrate von inzwischen 81 Prozent, mit der Deutschland bei krebskranken Kindern weltweit an der Spitze liegt.
Wer trägt die Kosten?
Laut Gesetzentwurf wird allein der Aufbau der Krebsregister jährlich knapp 50 Millionen Euro kosten. Die Einladungskosten zu den Vorsorgeuntersuchungen summieren sich nach Ministeriumsschätzung auf 23 bis 66 Millionen Euro. Bezahlen sollen das im Wesentlichen die gesetzlichen Krankenkassen. Der Minister begründet dies damit, dass durch früh erkannte Krebserkrankungen die Versicherer jede Menge bei den Behandlungskosten einsparten. Zudem könnten sie durch „gute Verhandlungen“ ja auch Einfluss auf die Kosten der Vorsorgeuntersuchungen nehmen. Die Versicherer dagegen ärgern sich. „Wenn ganz offenbar versicherungsfremde Leistungen wie Versorgungsforschung, die Zertifizierung von wissenschaftlichen Einrichtungen oder die Ressourcenplanung der Länder mit diesen Daten gefördert werden sollen, darf das nicht allein die Beitragszahler belasten“, sagt die Chefin ihres Spitzenverbandes, Doris Pfeiffer. Zur langen Vorlaufzeit für die Krebsregister sagt sie: „Da die Länder keinen finanziellen Anreiz haben, die Aufbauphase schnell zu beenden, bezahlen wir im schlimmsten Fall fünf Jahre lang für den heutigen Zustand – und der bringt ja für die bundesweite Qualitätssicherung bekanntermaßen wenig.“