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Steffi Lemke, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, bei der Europe 22-Konferenz.
© Phil Dera
Update

Koalitionszoff wegen Autobahnprotesten in Berlin: Justizminister maßregelt Umweltministerin, auch Özdemir geht auf Distanz

Die FDP kritisiert, dass Lemke die Klima-Proteste als „zivilen Ungehorsam“ bezeichnet. Auch Landwirtschaftsminister Özdemir bemängelt die Autobahnblockaden.

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat die Autobahnblockaden von Klimaaktivisten für ein Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung kritisiert. „Ich glaube, dass Straßenblockaden unserem gemeinsamen Ziel schaden“, erklärte der Grünen-Politiker am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur. „Gesellschaftliche Mehrheiten gewinnt man ganz sicher nicht, wenn man Krankenwägen, Polizei oder Erzieherinnen auf dem Weg zur Arbeit blockiert.“ Für Ziele brauche man gesellschaftliche Mehrheiten.

Die Aktivisten der Gruppe „Aufstand der letzten Generation“ blockieren seit gut zwei Wochen immer wieder Autobahnen, um ein „Essen-Retten-Gesetz“ durchzusetzen und so Treibhausgase einzusparen. Auch am Donnerstag gab es an der Berliner Stadtautobahn A100 wieder lange Staus.

Özdemir betonte: „Mir persönlich ist der Kampf gegen Lebensmittelverschwendung sehr wichtig und ich bin froh, dass wir uns als Koalition vereinbart haben, dass Lebensmittelspenden erleichtert und die Verschwendung von Lebensmitteln verringert werden.“ Dazu sei er mit anderen Bundesministerien im Gespräch.

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In der Ampel-Koalition sind Differenzen in der Haltung zu den aktuellen Klima-Protesten in Berlin deutlich geworden. Nachdem Steffi Lemke (Grüne), Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, Verständnis für die Vorgehensweise von Klimaaktivisten, die in Berlin regelmäßig Autobahnen blockieren, zeigte, reagierte ihr Kabinettskollege Marco Buschmann (FDP) mit deutlicher Kritik.

„Ziviler Ungehorsam ist im deutschen Recht weder Rechtfertigungs- noch Entschuldigungsgrund. Unangemeldete Demos auf Autobahnen sind und bleiben rechtswidrig. Protest ist ok, aber nur im Rahmen von Recht und Verfassung“, schrieb der Justizminister auf Twitter.

Anlass für diese Reaktion waren verständnisvolle Aussagen der Umweltministerin mit Blick auf die Autobahnproteste. „Es ist absolut legitim, für seine Anliegen zu demonstrieren und dabei auch Formen des zivilen Ungehorsams zu nutzen“, hatte die Grünen-Politikerin bei einer Gesprächsrunde der Europe 2022-Konferenz des Tagesspiegel, der ZEIT, des Handelsblattes und der WirtschaftsWoche am Mittwoch gesagt.

Die Aussagen von Bundesumweltministerin Steffi Lemke sehen Sie hier im Video (ab 3:42:45 bis Minute 3:45:00):

Dabei verwies Lemke auf ihre eigene Vergangenheit und die friedliche Revolution in der ehemaligen DDR, räumte jedoch ein, dass dies nicht ganz vergleichbar sei. Lemke machte auch deutlich, dass bei solchen Protestaktionen „keine Menschen zu Schaden kommen dürfen und dass niemand durch zivilen Ungehorsam auf eine Art und Weise tangiert wird, dass Schaden eintreten könnte.“

[Lesen Sie zudem: Die Aktivisten auf der Berliner Autobahn – „Wenn wir nur brave Aktionen machen, ist die Reaktion der Politik zu langsam“ (T+)]

Es sei Auftrag und Verpflichtung der Politik – Regierung wie Opposition – eine Radikalisierung der Klimaaktivisten zu verhindern, indem sie dem Handlungsauftrag der bei der Klimakonferenz in Paris eingegangen Verpflichtung auf die Klimaziele nachkomme, so Lemke.

FDP reagiert empört

Wie Buschmann machte auch dessen Parteifreund Konstantin Kuhle, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion, seinen Unmut über Lemkes Aussagen deutlich. „Mitglieder der Bundesregierung dürfen nicht zu Straftaten aufrufen. Punkt“, schrieb er auf Twitter.

Auch andere FDP-Politiker reagierten mit Unverständnis auf die Aussagen Lemkes. So twitterte der Bundestagsabgeordnete Daniel Föst, es sei „gut, dass wenigstens die FDP auf den Rechtsstaat Acht“ gebe.

Mutmaßungen über einen angesichts solcher Aussagen entflammten Streit innerhalb des Ampel-Bündnisses trat Lemke noch am späten Mittwochabend entgegen.

„Alle, die darauf warten, dass es endlich einen saftigen Koalitionskrach geben möge, enttäusche ich jetzt mal. Ich stimme mit meinem Kollegen Marco Buschmann überein“, schrieb die Grünen-Politikerin auf Twitter. Demnach sei diese Haltung in ihrem Statement „klar formuliert“.

Aber auch in ihrer eigenen Partei scheinen nicht alle Lemkes Einschätzung zu teilen. Auf die Proteste in Berlin angesprochen, erklärte die neue Grünen-Chefin Ricarda Lang am Mittwochabend in der Sendung von markus Lanz: „Und wenn jetzt wie auf der A100 Krankenwagen davon abgehalten werden weiterzufahren, wenn Feuerwehrautos abgehalten werden, dann werden dort Menschen gefährdet. Das ist komplett daneben. Und dafür habe ich kein Verständnis.“ Auf Nachfrage antwortete Lang erneut, dass sie von dieser Art Protest nichts halte.

Noch vor wenigen Tagen klang das allerdings im Interview mit dem Tagesspiegel ganz anders (hier das Interview in voller Länge). Hier erklärte Lang auf die Proteste angesprochen: "Fest steht: Es darf niemand gefährdet werden. Ich halte zivilen Ungehorsam dann für ein legitimes Mittel des politischen Protests, wenn er eben friedlich vonstatten geht." 

Initiative pocht auf Positionierung von Scholz

Die Klimaproteste in Berlin gehen inzwischen in die dritte Woche und während dieser Zeit ist die Berliner Stadtautobahn als meistbefahrene Autobahn Deutschlands ihr zentraler Ort geworden.

Dabei legen und setzen sich zwischen fünf und fünfzig Menschen in Warnwesten auf die Autobahn, zumeist vor Ampeln an Abfahrten. Schnell staut sich der Verkehr auf, wütende Autofahrer wurden zum Teil handgreiflich.

Am Messedamm räumten auch Autofahrer Protestierende von der Straße.
Am Messedamm räumten auch Autofahrer Protestierende von der Straße.
© Paul Zinken/dpa

Mit Blick auf gesetzeswidrige Aktionen, bei der in Berlin auch ein Rettungswagen im Stau stecken blieb, argumentierte die Initiative: „Eine Notlage rechtfertigt auch Gesetzesverstöße. Und wir sind in einer Notsituation.“

Beendet würden die Blockaden zur aktuellen Kampagne „Essen Retten - Leben Retten“ erst, wenn die Bundesregierung ein Gesetz gegen das Wegwerfen von Lebensmitteln beschließe.

Zudem machte die Initiative deutlich, dass sie eine Reaktion des Bundeskanzlers erwarte. „Der angebliche Klimakanzler Olaf Scholz schweigt weiterhin dazu“, kritisierten die Aktivisten in einer Mitteilung. Demnach lasse dieser trotz vorheriger Ankündigungen zu, „dass Unmengen an gutem Essen täglich weggeworfen werden, während Bedürftige in immer längeren Schlangen an den Tafeln stehen“.

„Wir brauchen Taten. Wir stecken mitten in einem Klimanotstand“, teilte die Initiative weiter mit. „Die Regierung muss jetzt handeln.“

Seit Beginn der Proteste am 24. Januar habe es 37 Blockaden in mehreren Städten gegeben, laut Polizei fanden 29 Aktionen in Berlin statt. 164 Mal habe die Polizei seither Teilnehmende, die im Schneidersitz auf Autobahnausfahrten saßen, in Gewahrsam genommen, so die Aktivist:innen.

Bundesumweltministerin Lemke will Klage gegen Taxonomie prüfen

Lemke hatte bei der Gesprächsrunde auch erklärt, dass es immer noch möglich sei, dass sich Deutschland der Klage von Österreich und Luxemburg gegen die EU-Taxonomie anschließt. „Ich kenne die österreichische Klageschrift noch nicht. Wir werden prüfen, was für Aspekte dort vorgelegt sind und wie tragend sie sind. Wir werden dies dann innerhalb der Bundesregierung erörtern und eine Position dazu finden“, sagte sie.

Zu dem vor wenigen Tagen von der Europäischen Kommission vorgelegten Taxonomie-Rechtsakt, in dem Atomkraft und Erdgas als klimafreundliche Übergangstechnologien behandelt werden, sagt die Grünen-Politikerin: „Für beide Energieträger wäre es nicht notwendig gewesen, einen ‚Delegated Act‘ zu erlassen. Das ist schon Greenwashing, was da passiert, wenn versucht wird, für die Langfristschiene hier ein Nachhaltigkeitssiegel draufzukleben.“ Das konterkariere die Taxonomie. (mit dpa)

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