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US-Militärmaschinen flogen Luftangriffe auf Syrien.
© dpa

Luftschläge gegen den Islamischen Staat: Jurist: "US-Vorgehen in Syrien ist völkerrechtswidrig"

Für die Luftschläge gegen den "Islamischen Staat" in Syrien hätten die USA die Erlaubnis der syrischen Führung einholen müssen, sagt der deutsche Jurist Reinhard Merkel.

Die irakische Regierung hat die USA um Hilfe beim Kampf gegen den „Islamischen Staat“ (IS) gebeten. Gibt es auch eine völkerrechtliche Legitimation für die US-Luftschläge gegen diese Terrormiliz auf syrischem Territorium? 

Nein. Das Vorgehen der US-Regierung in Syrien ist völkerrechtswidrig. Die Luftangriffe auf den souveränen syrischen Staat sind eine Intervention im Sinn von Artikel 2 Absatz 4 der UN-Charta, also ein militärischer Angriff auf ein fremdes Land. Das ist in diesem Fall schon deshalb illegitim, weil das damit verfolgte Ziel ohne weiteres auch mit Einwilligung der syrischen Regierung erreichbar wäre. Selbstverständlich ist es ein moralisch, politisch und rechtlich legitimes Vorhaben, die beispiellose Mörderbande des „Islamischen Staats“ zu bekämpfen. Aber das könnte die US-Regierung auch mit Genehmigung der Regierung in Damaskus tun, die ihre Bereitschaft dazu ja deutlich und glaubhaft signalisiert hat. Wer aber mit Erlaubnis der zuständigen Regierung intervenieren könnte, darf es nicht ohne tun. 

Warum wählen die USA diesen Weg Ihrer Meinung nach nicht? 

Es gibt einen gewichtigen politischen Grund. Die USA fürchten für den Fall eines entsprechenden Ersuchens in Damaskus um einen sozusagen geopolitischen Gesichtsverlust. Man hat Assad jahrelang als leibhaftigen Teufel dargestellt und die Rebellen massiv unterstützt. Wenn die USA nun Assad als Partner akzeptierten, und wäre es nur für die eng begrenzte Aktion gegen den IS, würden sie stillschweigend zugeben, dass sie in der Vergangenheit Fehler gemacht haben. Ich will die eminente Bedeutung dieses „face saving“ für eine Weltmacht wie die USA keineswegs kleinreden. Aber daraus allein ergibt sich kein Rechtfertigungsgrund für den Bruch des völkerrechtlichen Gewaltverbots. Diese Intervention ist daher unbeschadet ihres legitimen Zwecks rechtswidrig, weil der verfügbare legale Weg ausgeschlagen wurde. 

Wird der Völkerrechtsbruch dadurch „geheilt“, dass die syrische Regierung nun behauptet, die USA hätten sie über Ziele und Angriffe informiert, sich also gleichsam mit ihr abgestimmt?  

Das ist eine gute Frage. Die Information allein reicht dafür allerdings nicht. Es ist aber gut vorstellbar, dass es eine geheimdiplomatische Verständigung gegeben hat, in der Damaskus die amerikanischen Luftschläge als einen Vorteil für sich selbst akzeptiert und im Gegenzug den USA die Ermöglichung des angedeuteten „face saving“ zugesichert hat. Wäre das der Fall, dann wäre die Intervention von der tatsächlich gegebenen Einwilligung der Assad-Regierung gedeckt und völkerrechtsgemäß. 

Was folgt politisch aus diesem Vorgehen ohne Einwilligung des Regimes in Damaskus? 

Die USA gehen damit ein hohes Risiko ein. Sie unterstützen wieder einmal die falschen Leute, unter anderem auch – und zumindest de facto – die gefährliche Al-Nusra-Front. Im Spektrum der syrischen Opposition gibt es heute überhaupt keine relevante Gruppe mehr, die eine demokratische Gesinnung hätte. Unterschiedliche islamistische Gruppen ringen untereinander um die islamistische Vorherrschaft und nicht um westlich-demokratische Ideen. Hoffentlich wird man den IS auch in Syrien substanziell treffen. Aber wenn man dabei zugleich das Regime in Damaskus nachhaltig zu schwächen versucht, macht man damit nur die anderen Islamisten stark. 

Warum sagen Sie, die USA unterstützen „wieder einmal“ die Falschen? 

Wir kennen diese Art des Vorgehens zum Beispiel aus der Zeit der sowjetischen Besatzung Afghanistans. Damals rüsteten die USA die Mudschahedin gegen die Sowjets auf, die sich später gegen die Amerikaner wandten. Ich meine, die USA spielen derzeit auch in Syrien wieder ein hoch gefährliches Spiel.  

Spielt es völkerrechtlich keine Rolle, dass Assad sein eigenes Volk seit drei Jahren mit Krieg überzieht? 

Nun, soweit diese Formulierung halbwegs zutrifft, spielt das in verschiedener Hinsicht sehr wohl eine Rolle, wenn auch nicht für die vorhin erörterte Frage, ob man statt mit Erlaubnis auch ohne intervenieren darf. Aber wenn und soweit dieses Verhalten Assads völkerrechtliche Folgen hat, müsste ein ähnliches Verhalten anderer Regierungen auch vergleichbare Folgen haben. Der Westen misst hier leider mit zweierlei Maß. Über Assad hat Bundeskanzlerin Merkel gesagt, und in allen Medien haben wir drei Jahre lang ein tausendfaches Echo davon zu hören bekommen: „Wer sein eigenes Volk beschießt und bombardiert, hat jede Legitimation verloren.“ Warum gilt das eigentlich nicht für die Ostukraine und das Vorgehen des ukrainischen Militärs dort, das doch durchaus ähnlich gehandelt hat? Hat (um in der zitierten Diktion zu bleiben) Kiew nicht auch das eigene Volk militärisch attackiert und bombardiert? 

War das russische Vorgehen nicht völkerrechtswidrig?  

Doch, ganz gewiss war es das. Russland hat die Aufständischen in der Ukraine mit Waffen und Personal unterstützt, und das ist eine mittelbare Aggression im Sinne des Artikels 2 Absatz 4 der UN-Charta. Aber die Türkei, Katar und Saudi-Arabien haben die Aufständischen in Syrien viel massiver und mit weitaus verheerenderen Folgen unterstützt als die Russen die Separatisten in der Ukraine. Und die USA, Frankreich und Großbritannien haben diese direkte Unterstützung der Aufständischen in Syrien ihrerseits indirekt nachdrücklich gefördert. Auch das war und ist völkerrechtswidrig. Man kann nicht den einen Fall verurteilen und den anderen gutheißen. Damit diskreditiert man die eigenen politisch-moralischen und völkerrechtlichen Argumente. 

Ist Russland nicht viel massiver vorgegangen als der Westen und andere Staaten in Syrien, indem es in der Ukraine russische Soldaten mit schweren Waffen über die Grenze schickte, auch wenn behauptet wurde, diese seien "auf Urlaub" gewesen? 

Nein, „massiver“ keineswegs. Das beurteilt sich nicht allein nach der Quantität der eingeschleusten militärischen Mittel, die im Übrigen in Syrien keineswegs geringer gewesen sein dürfte. Es beurteilt sich auch und vor allem nach den absehbaren Folgen, die man damit anrichtet oder doch in Kauf nimmt. Und diese Folgen sind in Syrien, wo inzwischen über 200.000 Menschen dem mörderischen Totentanz zum Opfer gefallen sind, bei weitem katastrophaler als in der Ostukraine. Dass sie dort eine derart verheerende Dimension annehmen würden, war aber vorher absehbar. Daher bezeichnet es nicht einfach ein pragmatisches Schiefgehen der eigenen „guten Absichten“, sondern einen substantiellen Mangel an Legitimation für das eigene Tun. Ich glaube nicht, dass die künftige Geschichtsschreibung dem Westen den Vorwurf der Mitschuld an dieser Katastrophe erlassen wird. 

Reinhard Merkel ist Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Hamburg.

 

Hans Monath

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