"Luxemburg-Leaks": Juncker tritt Flucht nach vorn an
Als Premierminister in Luxemburg war Jean-Claude Juncker für Steuervermeidungs-Tricks von Großkonzernen im Großherzogtum politisch verantwortlich. Als EU-Kommissionschef will er nun EU-weit für größere Transparenz bei der Steuerpolitik sorgen - und hofft darauf, dass die EU-Mitgliedstaaten mitmachen.
Wer in der Vergangenheit die beiden Wörter „Luxemburg“ und „Steueroase“ in demselben Atemzug nannte, musste mit einer geharnischten Reaktion von Jean-Claude Juncker rechnen. Im Jahr 2009 verglich der damalige Luxemburger Premierminister beispielsweise die Steueroasen-Kritik mit der Nazi-Besatzung, nachdem der seinerzeitige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) die Niedrigsteuer-Praxis im Großherzogtum aufs Korn genommen hatte. Am Mittwoch schlug Juncker nun neue Töne an. Er sei zwar nicht der „Architekt“ der Luxemburger Vereinbarungen mit Großkonzernen, sagte der 59-Jährige, „aber ich bin politisch verantwortlich“.
Zwischen beiden Äußerungen liegt die Ernennung Junckers zum EU-Kommissionspräsidenten und eine Enthüllung mehrerer Medien, die detailliert wie nie zuvor die Vereinbarungen zwischen Luxemburger Behörden und Großkonzernen wie Ikea, Amazon, Pepsi, Apple, der Deutschen Bank und dem Energieversorger Eon auflisteten. Die Vereinbarungen führten dazu, dass einige dieser Unternehmen ganz legal weniger als ein Prozent Steuern auf Gewinne zahlten. Die Konstrukte entstanden in der Zeit, als Juncker Premierminister in Luxemburg war.
Juncker tritt die Flucht nach vorn an
Seit Anfang November ist Juncker EU-Kommissionschef, und damit ist die Fallhöhe für ihn in der Steuer-Causa noch einmal gewachsen. Auf eine Schonfrist, wie sie sonst für Politiker im neuen Amt gilt, kann er nicht hoffen. Deshalb entschied er sich am Mittwoch zu einem überraschenden Auftritt vor der Presse in Brüssel und anschließend im EU-Parlament. Der neue Chef der Brüsseler Behörde kündigte an, dass die Kommission eine EU-weite Regelung vorschlagen werde, wonach die EU-Mitgliedstaaten einen automatischen Informationsaustausch zu Steuerabsprachen für Konzerne organisieren sollten. Gleichzeitig spielte Juncker den Schwarzen Peter wieder an die Staats- und Regierungschefs, zu denen er früher auch einmal gehört hatte, wieder zurück: „Ich hoffe, dass die 28 Mitgliedstaaten diesen Ehrgeiz teilen werden.“
Der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold erklärte anschließend, die von Juncker vorgeschlagenen Schritte gegen die Steuervermeidung seinen unzureichend. „Immer noch verteidigt er den Steuerwettbewerb in der EU“, hielt er Juncker vor.
Der EU-Kommissionschef sieht keinen Interessenkonflikt
Vor den Europaabgeordneten sagte Juncker dann, er verstehe nicht, warum jetzt versucht werde, ihm im neuen Amt „auf Teufel komm raus“ einen Interessenkonflikt bei der Aufarbeitung der Luxemburger Absprachen zu unterstellen. Er werde nicht in die Untersuchungen von EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager zu möglichen Begünstigungen von Konzernen in Luxemburg eingreifen, sagte er. Die Untersuchungen betreffen auch Irland und die Niederlande, wo es ähnliche Geschäftsmodelle gibt. Juncker wies darauf hin, dass es Steuerabsprachen für Konzerne ähnlich wie in Luxemburg in über 20 weiteren EU-Ländern gebe. EU-Abgeordnete hatten dem ehemaligen Luxemburger Regierungschef zuvor vorgeworfen, dass er nur spärlich Informationen über die Vereinbarungen mit den Konzernen in Luxemburg herausrücke.
Rückendeckung der großen Fraktionen im EU-Parlament
Nach seiner Rede im EU-Parlament erhielt Juncker Rückendeckung aus den beiden großen Fraktionen. Der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion, Manfred Weber (CSU), erklärte, dass das Problem der Steuervermeidung über Luxemburg hinausreiche. So würden sich reiche EU-Bürger wegen der niedrigen Steuersätze bevorzugt in Belgien niederlassen. Zudem könnten Unternehmen häufig in den Niederlanden ihre Steuerlast über Stiftungen mindern. Der Vorsitzende der Fraktion der Sozialdemokraten, Gianni Pittella, sagte, man dürfe nicht zulassen, dass die EU-Kommission wegen der Diskussion um die Steuerpraktiken in Luxemburg weiter geschwächt werde. Ansonsten mache man den EU-Feinden ein „Geschenk“, sagte Pittella. Der Italiener forderte indes, dass Juncker einen Zeitplan für die Umsetzung seiner Vorschläge zum Informationsaustausch bei Steuerabsprachen mit Konzernen vorlegen müsse. Darüber hinaus müssten Großkonzerne in ihren Bilanzen künftig ihre Angaben nach Ländern aufschlüsseln und erklären, wo sie ihre Gewinne erwirtschafteten. In diesen Ländern müssten die betroffenen Unternehmen dann auch ihre Steuern zahlen, forderte Pittella.
Die Linksfraktion im Europaparlament versucht, ein Misstrauensvotum gegen die Juncker-Kommission zu organisieren. Allerdings hatte die Fraktion am Mittwoch noch nicht jene 76 Unterschriften unter den Abgeordneten beisammen, die vor einem Misstrauensvotum zusammenkommen müssen. In der Vergangenheit haben Misstrauensanträge im EU-Parlament stets die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit verfehlt.
CDU-Politiker Krichbaum: Gegenwärtige Praxis ist "unerträglich"
Unterdessen schaut man auch in Berlin genau auf „Luxemburg-Leaks“. Vor einer aktuellen Stunde des Bundestages zu dem Thema sagte Gunther Krichbaum, der Vorsitzende des EU-Ausschusses, vor Journalisten, er erwarte von Juncker EU-weite Regelungen, „damit die nationalen Regierungen bei der Steuerkraft nicht untereinander ausgetrickst werden können“. Es sei „unerträglich“, dass Konzerne wie Google oder Amazon im Gegensatz zu kleinen Betrieben über ganz über legale Möglichkeiten zur Steuervermeidung verfügten, sagte der CDU-Politiker.