Gesetzentwurf von Minister Seehofer: Journalisten sehen ihre Arbeit durch Geheimdienstpläne in Gefahr
Horst Seehofer möchte die Befugnisse von Geheimdiensten ausweiten. Journalistenverbände fürchten Einschränkungen. Der Innenminister will Kritik nun ausräumen.
Reporter ohne Grenzen (ROG) sieht die geplante Ausweitung der Befugnisse der Geheimdienste in der digitalen Welt als Gefahr für die Pressefreiheit. Die von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) geplante Reform ermögliche es, Journalisten digital auszuspionieren und dabei auch die Identität von Informanten aufzudecken, erklärte die deutsche Sektion der Journalistenvereinigung. Am Freitag lenkte Seehofer ein.
Für besonders problematisch hält Reporter ohne Grenzen die Möglichkeiten, die der Verfassungsschutz mit der sogenannten Online-Durchsuchung bekommen soll. Dabei werden technische Geräte einer Person gehackt und ohne deren Wissen durchsucht. Im Strafverfahren können Ermittlungsbehörden diese Maßnahme bereits einsetzen, bei Journalisten ist sie aber unzulässig, damit das Redaktionsgeheimnis gewahrt wird. Soll das beim Verfassungsschutz nach dem Willen Seehofers nun anders sein? Im Referentenentwurfes aus dem Bundesinnenministerium, der dem Tagesspiegel vorliegt, heißt es zu Berufsgeheimnisträgern wie Journalisten, dass das „öffentliche Interesse an den von dieser Person wahrgenommenen Aufgaben und das Interesse an der Geheimhaltung der dieser Person anvertrauten oder bekannt gewordenen Tatsachen besonders zu berücksichtigen“ sei.
„Schwerer Schlag“ für die Pressefreiheit
Reporter ohne Grenzen schließt daraus, dass die Online-Durchsuchung bei Journalisten nicht generell verboten werden soll, sondern ihr Schutz mit dem Interesse des Staates an der Informationsgewinnung ins Verhältnis gesetzt werden soll – auch dann, wenn dabei die Identität einer Quelle bekannt würde. „Es wäre also möglich, Server großer Verlage und Rundfunksender zu hacken, zu durchsuchen und dabei den Schutz von Hinweisgeber:innen aufzuheben“, schreibt die Journalistenvereinigung. Dies wäre ein „schwerer Schlag“ für die Pressefreiheit in Deutschland und der Bruch des historisch errungenen Redaktionsgeheimnisses. Erstmals, so ROG, würde sich der deutsche Staat explizit das Recht geben, Redaktionen in Deutschland bei einer Vielzahl von Verdachtsmomenten zu durchsuchen und dabei auch die Identität von Informanten zu enttarnen. „Der Schaden für die Glaubwürdigkeit der Medien in Deutschland insgesamt wäre immens, da sowohl die Journalist:innen wie auch ihre Quellen jederzeit damit rechnen müssten, dass sämtliche gespeicherte Daten durchsucht werden könnten.“
Auch der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV) forderte Seehofer auf, die Pläne aufzugeben. „Das bekannt gewordene Gesetzesvorhaben des Bundesinnenministeriums würde dem Verfassungsschutz das heimliche digitale Ausspähen von Redaktionen, Journalisten und ihren Quellen erheblich erleichtern“, erklärte Frank Überall. „Ausgerechnet zum 70. Geburtstag des Grundgesetzes den Verfassungsschutz zur Bespitzelung von Journalisten ermächtigen zu wollen, ist ein unsäglicher Vorgang.“
Seehofer will Kritik ausräumen
Nach der Kritik der Journalistenorganisationen wollte Seehofer den Entwurf noch einmal verändern. „Ich will Terroristen und Extremisten bekämpfen, keine Journalisten“, erklärte er am Freitag. „Zur Ausräumung aller Restzweifel wird dieser Punkt im Gesetzgebungsverfahren deutlich gemacht und im Gesetz klargestellt.“
Voraussichtlich werde in der Gesetzesbegründung deutlich gemacht, dass der Verfassungsschutz keine weitergehenden Rechte zum Ausspähen von Journalisten bekommen soll, sagte ein Sprecher. Aus Sicht des Innenministeriums gibt der Wortlaut des Gesetzes dies auch jetzt nicht her. Reporter ohne Grenzen dagegen hatte kritisiert, Geheimdienste könnten künftig leichter in die Computer und Smartphones von Journalisten eindringen und verdeckt nach Recherchematerialien suchen.
Mehr Befugnisse für Verfassungsschutz
Der Entwurf liegt aktuell Eis. Es wird erwartet, dass Seehofer in der Sache einen neuen Anlauf nehmen wird, sobald die Nachfolge von Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) geklärt ist. Denn ihr Ministerium hatte den Entwurf im März mit dem Hinweis gestoppt, die darin vorgesehenen Befugnisse gingen über die im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vorgesehene „maßvolle“ Kompetenzerweiterung von Verfassungsschutz und BND hinaus. Ein Sprecher des Justizministeriums betonte, die geplante Reform müsse auch eine entsprechende Stärkung der parlamentarischen Kontrolle der Geheimdienste beinhalten.
Seehofer wehrte sich gegen den Vorwurf, er wolle den Geheimdiensten ein Werkzeug zur Ausforschung von Journalisten an die Hand geben. „Wir bekämpfen Terroristen und Extremisten, keine Journalisten“, schrieb er bei Twitter. Das Innenministerium wies die Behauptung zurück, Ziel des Entwurfs sei es, „die vertrauliche Kommunikation von Journalisten auszuspähen“.
SPD gegen Gesetzesentwurf
Die SPD ist dagegen, dem Verfassungsschutz Rechte zum Ausspähen von Journalisten einzuräumen. „Das Gesetz wird so auf keinen Fall kommen, jedenfalls nicht mit uns“, sagte die stellvertretende SPD-Fraktionschefin Eva Högl den Zeitungen des Redaktionsnetzwerkes Deutschland (Samstagsausgaben). „Ohne unabhängige Recherchen von Medien kommen wir nicht aus.“ Die Möglichkeiten dazu müssten eher noch gestärkt werden. „Deshalb werden alle Versuche, den Schutz von Journalisten auszuhöhlen, auf den erbitterten Widerstand der SPD stoßen“, sagte Högl weiter. (fiem, dpa, AFP)