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Der Traum vom Homeoffice hat Glanz verloren: Vater mit Tochter bei der Arbeit zu Hause. Andere haben ihre Jobs verloren.
© imago images/Jochen Eckel

Tag der Arbeit und Corona: Jobverlust oder Fatigue im Homeoffice – die Arbeitswelt gibt es nur noch in Extremen

Die Pandemie hat unser Verhältnis zur Arbeit auf den Kopf gestellt: Es braucht eine neue Ausgewogenheit. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Marie Rövekamp

Noch vier Mal schlafen, dann ist Wochenende. Das Vergnügen beginnt. So dachte manch ein Erwerbstätiger am Montagmorgen – damals, bevor die Pandemie alles veränderte. Unsere Freizeit ebenso wie unsere Wahrnehmung vom Arbeitsleben.

Plötzlich ist die Angst vor dem Jobverlust zurück, die Illusion vom Homeoffice-Paradies geplatzt. Dieser erste Mai, Tag der Arbeit, ist ein anderer. Jahrelang sank die Zahl der erwerbslosen Menschen, Firmen fanden nicht genügend Fachkräfte. Inzwischen haben fast 2,8 Millionen keinen Job, über den sie klagen könnten. Das sind 345.000 mehr als Anfang 2020.

Für all jene, die andere in Restaurants bedienen, auf Bühnen stehen, Hotelbetten ausschütteln und Reisen planen, bedeuten die Corona-Maßnahmen seit Monaten, ihren Beruf nicht ausüben zu dürfen. Mehr als drei Millionen Deutsche befinden sich in Kurzarbeit und hoffen, dass aus dem geringeren Lohn keine Kündigung wird. Barbesitzer und Unternehmer geben auf. Existenzen und Träume sind zerstört. Niemand weiß, wie viele es am Ende sein werden.

Von Selbstverwirklichung bei der Arbeit ist nicht mehr die Rede

Nach der Bedürfnispyramide von Abraham Maslow muss der Mensch zunächst seine Grundbedürfnisse erfüllen. Auf der nächsten Stufe folgt die Sehnsucht nach Sicherheit, wozu der Job zählt, gefolgt von sozialen Beziehungen und individuellen Erstrebungen wie Anerkennung. An der Spitze thront die Selbstverwirklichung. In der Pandemie purzelten viele von ganz oben nach fast ganz unten.

Diese Menschen werden sich nicht (mehr) über die freigewordenen Tage freuen. Sie sorgen sich um ihre Miete, ihre Zukunft. Sie quälen sich mit dem Gefühl, ihr Tun sei überflüssig, nicht zwingend gebraucht. Studien zeigen, dass Menschen ohne Arbeit häufiger traurig sind und sich wertlos fühlen.

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Sie haben eine doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit, depressiv zu werden wie Erwerbstätige. Ihr Immunsystem ist schwächer, die Sterblichkeit erhöht.
Die Kritik am Homeoffice scheint angesichts der finanziellen Not so vieler lächerlich. Zu Hause ist es sicher. Kein Bürolärm. Kein nervender Verkehr. Wer will, setzt sich im Jogginganzug an den Tisch. Deswegen träumten viele Arbeitnehmer:innen vor Corona davon. Doch wie es mit Wünschen so ist: Erfüllt sind sie gar nicht immer erfüllend.

Anfangs war Homeoffice eine angenehme Abwechslung

Was anfangs eine angenehme Abwechslung war, belastet nach Monaten ebenfalls die Psyche. Manche fühlen sich isoliert, unsichtbar. Andere können nicht mehr zugleich Mutter, Mitarbeiterin und Lehrerin sein. Alles an einem Ort, oft im gleichen Moment.

Kolleg:innen fehlen, mit all ihren Eigenheiten. Das gemeinsame Frühstück. Die guten Ideen, die in den eintönigen vier Wänden nicht mehr kommen wollen. Videokonferenzen machen auf Dauer derart müde, dass es einen eigenen Begriff dafür gibt: Zoom-Fatigue.

Benannt wurde das Phänomen nach einem der bekanntesten Anbieter für Videokonferenzen. Die virtuelle Interaktion – ohne non-verbale Sprache, aber mit dem ständigen Sehen seiner selbst – ist ungewohnt für das Gehirn. Unnatürlich.

Aus all diesen Gründen findet die Mehrheit der Bevölkerung, dass die mentale Gesundheit unter der häufigen Arbeit daheim leidet, wie eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zeigt.

Wir sind in dieser Pandemie von einem Extrem (nur Präsenz) ins andere (nur Homeoffice) gerutscht, von einem Überangebot an Arbeit zu einem Unterangebot. Ausgenommen die völlig erschöpften Krankenhaus-Angestellten, die mehr leisten als sie können. Was passieren muss? Eine neue Ausgewogenheit zwischen diesen Polen tut Not.

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