Mietendeckel in Berlin: Jetzt spekuliert die Politik
Es wird eine Mietobergrenze geben - aber wo sie verläuft, ist so unklar wie die Frage, wohin sie führt. Ein Kommentar.
Physikalisch ist die Sache klar: Wenn’s brodelt im Topf, muss die Hitze runter, sonst fliegt einem der Deckel um die Ohren. In Berlin versucht der Senat, diese naturwissenschaftliche Gesetzmäßigkeit politisch auf den Kopf zu stellen: Der Deckel kommt drauf, um einen völlig überhitzen Wohnungsmarkt abzukühlen. Zur Druckentlastung werden ein paar Löcher reingebohrt und als Ausnahmen deklariert. Das Experiment kann beginnen – wer am Ende die Suppe auslöffelt, ist völlig offen.
Märkte werden durch die Politik im Ausgleich von gesellschaftlichen und geschäftlichen Erfordernissen reguliert, bei Bedarf wird nachjustiert. Auch der Wohnungsmarkt ist solchen Regeln unterworfen. Allerdings funktioniert in Städten wie Berlin der Ausgleich nicht mehr. Es hat deshalb nichts mit Sozialismus zu tun, wenn die Gesetze den Verhältnissen angepasst werden. So ist nun mal Politik. Auch in New York hat die Stadtregierung gerade einen Mietendeckel beschlossen, weil die bisherigen Gesetze wegen vieler Ausnahmeregeln nicht verhindern konnten, dass die Preise drastisch steigen und die Struktur ganzer Viertel radikal verändern. Das zum Grundsätzlichen.
Panischer Aktionismus
Was nun den Berliner Mietendeckel betrifft, dessen „Eckpunkte“ der Senat am Dienstag beschloss, brachte der schon vor seiner Anwendung die Brühe zum Überkochen: Tausende Vermieter versuchten schnell noch Erhöhungen durchzudrücken. Und wie es so ist, wenn die Politik jahrelang staunend, aber tatenlos gesellschaftliche oder wirtschaftliche Entwicklungen verfolgt, um sich dann panisch in Aktionismus zu überbieten: Die Risiken und Nebenwirkungen werden unterschätzt, wichtige Aspekte nicht erkannt. Dann beginnt das Gefrickel. In diesem Stadium befinden wir uns jetzt.
Bisher haben in Berlin die Investoren spekuliert, jetzt spekuliert die Politik: Sie setzt auf ein bestimmtes Verhalten von Vermietern und Mietern – und auf die Wirkung ihrer Ausnahmeregeln.
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Dass künftig das große Kapital statt in den Handel mit Altbauten jetzt in den Neubau fließt, ist eine der Hoffnungen des Senats. Dort sind die Mieten jedenfalls nicht begrenzt. Modernisierung soll sich für Vermieter nicht mehr lohnen; aber energetische Sanierung muss es trotzdem geben. Viele Mieter wünschen sich einen barrierefreien Umbau ihrer Wohnung; darauf können sie jetzt fünf Jahre warten. Zur Instandhaltung werden Vermieter weiter gezwungen; dass die Kosten auch dafür steigen, ist künftig ihre Sache. Landeseigene Gesellschaften und Genossenschaften wollten Mittel aus moderaten Mieterhöhungen in Neubau investieren; die müssen jetzt anderswo herkommen. Es wird eine Mietobergrenze geben; wo sie verläuft, ist so unklar wie die Frage, wohin sie führt.
Bürokratische Herausforderung
Das alles zu kontrollieren, Ausnahmen zu genehmigen und Härtefälle zu prüfen, wird eine bürokratische Herausforderung. Es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich die Berliner Verwaltung im Jahr 1 nach Einführung des Mietendeckels vorzustellen.
Dazu kommt, dass viele Vermieter findig darin sind, Regeln zu umgehen. Eine beliebte Methode, die mit der Einführung des Mietendeckels an Attraktivität weiter gewinnt, ist das Vermieten möblierter Wohnungen auf Zeit. Kein Mietspiegel leuchtet das aus, kein Deckel kommt drauf. Der Wert solcher Wohnungen steigt, sie sind regelmäßig wieder frei und können zum Höchstpreis gehandelt werden. Das ist so lukrativ, dass auch landeseigenen Gesellschaften dem regulären Markt auf diese Weise Wohnungen entziehen. Die Arbeit fängt also erst an. Die eine Lösung gibt es nicht.
Der Mietendeckel ist ein legitimer Versuch der Politik, gestaltend einzuwirken auf eine Ausnahmesituation, die sie selbst mit verursacht hat. Zur Geschichte gehört aber auch, dass Wirtschaft und Verbände den Wohnungsmarkt angefeuert haben bis zur völligen Überhitzung. Das Ziel beider Seiten muss es sein, einen vernünftigen Ausgleich zu finden. Sonst fliegt der Mietendeckel uns allen zusammen um die Ohren.