Jamaika-Sondierungen: Jetzt kommt es auf Angela Merkel an
Nicht nur Müdigkeit, sondern Frust macht sich breit. Und das nicht nur wegen einer langen, ergebnislosen Nacht. Ein Weckruf.
Wolfgang Kubicki ist ein Mann der klaren Worte. An diesem Freitagmorgen dürfte er einigen, vielleicht sogar allen Jamaika-Sondierern aus der Seele gesprochen haben. „Extrem frustriert“ sei er, sagte er nach der mehr oder weniger ergebnislosen Nachtverhandlung.
Andere formulieren es netter und geben sich zweckoptimistisch. Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner spricht sogar von einem "historischen Projekt", das es jetzt umzusetzen gelte. Aber der Blick in die Gesichter verrät, dass es nicht nur eine lange, sondern auch eine extrem enttäuschende Nacht für Deutschlands Jamaikaner war.
Immerhin: Es wird weiterverhandelt. Und alle Beteiligten können nach Ende der Sondierung, wann immer das sein mag, behaupten, sie hätten alles gegeben und bis zum Schluss gekämpft. Im Fußball fallen solche Sätze meist im Abstiegskampf.
Die scheinen zu kämpfen und das ist doch gut. [...] So loten sie es aus. Und wenn das Ergebnis am Ende ist, dass die Positionen unvereinbar sind, dann gibt es - zu meiner Überraschung - unverrückbare Positionen. Und das fände ich gut.
schreibt NutzerIn hottereichlich
Und natürlich sind alle vier Jamaika-Parteien und ihre Anführer akut abstiegsgefährdet. Auf dem Spiel steht ihre Glaubwürdigkeit und ihre Macht. Das gilt besonders für CSU-Chef Horst Seehofer, der seine Ämter gegen Bayern-Brutus Markus Söder verteidigen muss. Kann Seehofer nicht liefern, hat Söder schon gewonnen.
Für die Grünen geht es vor allem um ihre Glaubwürdigkeit. Zu viele Kompromisse bei Klima und Migration könnten die Partei zerreißen und die Zustimmung zu einem Bündnis gefährden. Und so beharken sich die Christsozialen und die Ökopartei besonders heftig.
Das alles ist freilich nicht neu. Die Konflikte sind seit Wochen bekannt. Überraschend ist aber, dass sie auch unter dem Druck einer vermeintlich entscheidenden Nachtsitzung nicht aufgelöst werden konnten. Womit wir bei Angela Merkel wären.
Merkel muss ins Spiel eingreifen
Auch für die Kanzlerin geht es in diesen Stunden um alles, um ihre Glaubwürdigkeit, um ihr Amt. Sie muss übers Wochenende beweisen, dass sie in der Lage ist, die Konfliktparteien in ein Bündnis zu zwingen. Hat sie dafür noch die nötige Autorität und Führungskraft? Oft haben sich die Dinge für sie gefügt. Aussitzen, sich spät positionieren - die Methode Merkel hat meist gut funktioniert. Ob es auch für diese Situation die richtige Strategie ist, ist fraglich. Schon jetzt hat ihre Reputation Schaden genommen.
Da soll zusammenwachsen, was auf keinen Fall zusammengehört. Sollten sie sich doch noch zusammenraufen, weiß man jetzt schon, was uns in den nächsten vier Jahren erwartet:Dauerstreit, bei dem ein vernünftiges Regieren nicht möglich ist.
schreibt NutzerIn blattschuss
Darauf spielt Grünen-Chef Cem Özdemir an, wenn er sagt, dass es jetzt auch auf die Leistung des Schiedsrichters ankomme. Es ist also Zeit für Merkel, ein paar Gelbe und Rote Karten zu verteilen - sonst bricht bald eine Diskussion über den Schiedsrichter aus. Merkel ist gehalten, ins Spiel einzugreifen.
Wenn nicht, dürfte der Frust auf allen Seiten wachsen. Und das nicht nur bei den Sondierern, sondern auch beim Souverän, dem Wähler.