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FDP-Parteichef Christian Lindner ist beim Parteitag in Berlin digital aus Washington zugeschaltet.
© Michele Tantussi/REUTERS
Update

„Wir dürfen keine Kriegspartei werden“: Jetzt bloß kein Krach in der Ampel-Koalition

Die FDP beschließt die Forderung zur Lieferung schwerer Waffen an Kiew. Parteichef Lindner stellt aber klar, dass er fest an der Seite des Kanzlers steht.

Leicht mitgenommen wirkt Christian Lindner, als er am Samstag zu den Delegierten des FDP-Bundesparteitags in Berlin spricht. Linder ist allerdings nicht in Berlin, sondern aus 6700 Kilometern Entfernung zugeschaltet. Für den FDP-Chef, der in der zurückliegenden Woche während der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) Corona-positiv getestet worden ist  und seither in Washington in Isolation festsitzt, stellt diese Rede in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung dar. „Die Pandemie ist nicht überwunden. Zeuge: Christian Lindner“, sagt er.

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Für Lindner ist es sechs Uhr morgens, als er seine Parteitagsrede beginnt. Zunächst einmal sorgt die transatlantische Schalte für eine zeitliche Verzögerung von mehreren Sekunden zwischen dem Beifall im Saal und der Tonübertragung aus Washington. Schwierig ist diese Rede für Lindner aber auch deshalb, weil er den Lockerungskurs seiner Partei in der Pandemie begründen muss, obwohl Corona ihn nun selber erwischt hat.

Lindner sagt also, dass er als Finanzminister weiter die Bürgertests und Impfzentren finanzieren werde. Dann verteidigt er aber im Nachhinein noch einmal den Wegfall der meisten Corona-Beschränkungen Anfang April. Es konnte niemals das Ziel sein, dass Deutschland die am stärksten in  persönliche Freiheitsrechte eingreifenden Maßnahmen fortsetze, erläutert er zur Begründung.

Antrag zur Lieferung schwerer Waffen

Am Abend wird später beim zweitägigen Parteitag ein Antrag des FDP-Vorstandes beschlossen, dem zufolge die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine gefordert wird. Die „Lieferung schwerer Waffen und die schnelle Bereitstellung von Rüstungsgütern durch die deutsche Industrie, für die Deutschland wie angekündigt die Finanzierung übernimmt“, sollen dem Beschluss zufolge der Ukraine helfen, die russische Aggression abzuwehren. Das bringt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der direkte Lieferungen etwa von Panzern an die Ukraine ablehnt, zwar einerseits unter Zugzwang. Ausführlich begründet Lindner, warum die Ukraine „diesen Krieg gewinnen“ müsse: Das Land habe „eine klare Werteentscheidung“ gegen „die geschlossene, autoritäre Gesellschaft“ des russischen Präsidenten Wladimir Putin getroffen.

Allerdings tut der FDP-Chef in seiner Rede einiges dafür, damit aus der Forderung seiner Partei kein offener Krach in der Ampel-Koalition wird. „Wir haben es bei Russland mit einer Atommacht zu tun“, stellt  er klar. Damit stellt sich Linder an die Seite von Scholz, der zuvor seine zögerliche Haltung in der Frage der Lieferung schwerer Waffen mit dem Risiko eines Atomkrieges begründet hat. Lindner erklärt nun ebenfalls: „Wir dürfen keine Kriegspartei werden.“

In diesem Sinne knüpft auch der Antrag des Vorstandes die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine an eine Reihe von Bedingungen. So heißt es, dass Deutschland im Gleichklang mit den Verbündeten und hier insbesondere den USA und Frankreich handeln solle. Zudem wird vorgeschlagen, dass Deutschland ehemaligen Mitgliedern des Warschauer Pakts eigene Waffensysteme liefern und diese die Ukraine im Gegenzug mit Panzern versorgen sollen, mit denen die ukrainischen Streitkräfte vertraut sind. Ein solcher Ringtausch wird von der Bundesregierung derzeit mit Slowenien besprochen.

Lindner spricht erneut von Scholz' „innerem Geländer“

Aus den Koalitionsgesprächen der Ampel sind noch gut Lindners Lobreden auf Scholz in Erinnerung. In Washington wiederholt er nun mit Blick auf „gewisse CDU-Narrative“ in der Diskussion um die Lieferung schwerer Waffen, dass der Kanzler über ein „inneres Geländer“ verfüge. Scholz sei eine „verantwortungsbewusste Führungspersönlichkeit, die sorgsam abwägt“, so Lindner.

Der Außenpolitiker Bijan Djir-Sarai ist neuer FDP-Generalsekretär.
Der Außenpolitiker Bijan Djir-Sarai ist neuer FDP-Generalsekretär.
© John Macdougall/AFP

Der Vorsitzende der Liberalen will auch gar nicht die Vermutung aufkommen lassen, dass sich seine Partei demnächst  an die Seite der CDU/CSU stellen könnte, die im Bundestag ihrerseits einen Antrag zur Lieferung schwerer Waffen plant. Lindner hält der Union vor, ein „gefährliches Spiel“ zu betreiben. „Mit ihrer aktuellen Initiative zu Waffenlieferungen wird offensichtlich der Versuch unternommen, die Regierungskoalition in Schwierigkeiten zu bringen und damit auch die Regierung insgesamt zu destabilisieren“, sagt er.

Warum der FDP-Vorstand den Antrag zur Lieferung schwerer Waffen vorgelegt hat, begründet Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses. „Die Ukraine muss sich zur Wehr setzen können“, fordert sie in ihrer Rede, die großen Beifall erntet. Warnende Beiträge, die von einer Lieferung von schwerem Gerät an die Ukraine abraten, bleiben bei dem Parteitag die Ausnahme. Strack-Zimmermann weist hingegen auf dem Bedeutung der russischen Aggression für die EU hin. Wenn Russland den Krieg gewinne, „bedeutet das ein anderes Europa“, sagt sie. Mit Blick auf die osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten warnt sie davor, dass sich das Recht des Stärkeren durchsetzen könne.

Bijan Djir-Sarai zum Generalsekretär gewählt

Beim Parteitag, bei dem erwartungsgemäß der Außenpolitiker Bijan Djir-Sarai zum Generalsekretär gewählt wird,  geht für die Liberalen inhaltlich nicht zuletzt darum, vor den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen im kommenden Monat wieder mehr Aufmerksamkeit zu bekommen. In Umfragen liegt die FDP derzeit bei acht bis zehn Prozent, bei der Bundestagswahl hatten die Liberalen noch 11,5 Prozent eingefahren.

Die vergleichsweise schlechten Umfragewerte dürften auch mit dem Lockerungskurs der Partei in der Pandemie zusammenhängen, der nicht überall gut ankommt. Justizminister Marco Buschmann hält am Samstag in Berlin dagegen: Die Infektionszahlen und die Hospitalisierungsrate in den Krankenhäusern bestätige im Nachhinein die Neufassung des Infektionsschutzgesetzes, sagt er. Verantwortung und Freiheit müssten so austariert werden, dass „die Liberalität unserer Gesellschaft“ verteidigt werde, lautet das Credo des Justizministers.

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