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Armut in einem wohlhabenden Land: Jedes fünfte Kind ist betroffen.
© Rolf Vennenbernd /dpa

Bericht des Paritätischen Gesamtverbandes: Jeder Sechste in Deutschland lebt in Armut

Die Armutsquote in Deutschland ist auf neuem Höchststand - trotz anhaltenden Wirtschaftsbooms. Und von den Betroffenen ist jeder Dritte erwerbstätig.

Armut in Deutschland ist bloß ein Bildungsproblem? Von wegen. Nahezu drei Viertel der Armen über 25 Jahren verfügen über einen mittleren oder höheren Bildungsabschluss. Armut betrifft vorrangig Migranten, Arbeitslose und Rentner? Auch falsch. Drei Viertel der Betroffenen sind hier geboren. Jeder dritte erwachsene Arme hierzulande ist erwerbstätig. Und unter den „working poor“ haben die meisten sogar eine Vollzeitstelle oder eine mehr als geringfügige Beschäftigung.

13,7 Millionen Menschen sind betroffen - mindestens

Mit seinem diesjährigen Armutsbericht tritt der Paritätische Gesamtverband diesmal etlichen Klischees entgegen, die beim Thema Armut so im Umlauf sind. Allerdings haben die Verfasser auch das leider Übliche zu vermelden: Die Armutsquote ist weiter gestiegen. Mit 16,8 Prozent sei „eine neue traurige Rekordmarke seit der Vereinigung erreicht“, sagte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider am Donnerstag in Berlin.

13,7 Millionen Menschen seien im wohlhabenden Deutschland inzwischen von Armut betroffen. Trotz des anhaltenden Wirtschaftsbooms. Und obwohl in dieser Statistik viele Arme noch gar nicht erfasst sind. Die mehr als 800.000 Wohnungslosen etwa. Die ebenfalls mehr als 800.000 Bewohner von Pflegeheimen, von denen rund die Hälfte auf Sozialhilfe angewiesen ist. Und die mehr als 200.000 Menschen mit Behinderung, die in Wohnheimen und dort in aller Regel ebenfalls von Sozialhilfe leben.

"Armut ist nicht wirtschaftlich bedingt"

Längerfristig betrachtet sei bei der Armutsentwicklung „ein ganz klarer Aufwärtstrend“ erkennbar, berichtete Schneider. In der zweiten Hälfte der 90er Jahre habe die Armutsquote noch elf Prozent betragen. Und die neuesten Zahlen ließen es auch nicht mehr zu, von einer Stabilisierung der Armutsentwicklung zu sprechen, wie das etwa im letzten Armutsbericht der Bundesregierung zu lesen war.

Alarmieren müsse die wachsende Armut vor allem wegen der guten Wirtschaftsdaten der vergangenen Jahre, meinte der Verbandschef. Wirtschafts- und Armutsentwicklung seien mittlerweile offensichtlich komplett voneinander abgekoppelt. „Mit anderen Worten: Die Armut ist nicht wirtschaftlich bedingt, sie ist politisch hausgemacht.“

Jedes fünfte Kind lebt hierzulande in Armut

Besonders erschreckend sei der Befund zur Kinderarmut, heißt es in dem Bericht. „Nicht nur jedes fünfte Kind in Deutschland lebt in Armut, sondern auch jeder fünfte arme Mensch in diesem Land ist ein Kind.“ Und bei Alleinerziehenden, so die Analysen der Paritätischen Forschungsstelle, steige das Risiko von Einkommensarmut, je jünger die Kinder sind. 56 Prozent der Alleinerziehenden mit zwei und mehr Kindern unter 15 Jahren lebten in Armut. Aber auch kinderreiche Paarfamilien sind betroffen. Ihre Armutsquote liegt bei 30 Prozent.

Definiert wird Armut in dem Bericht nach den Konventionen der Europäischen Union. Wer auf weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens in der jeweiligen Gesellschaft kommt, gilt demnach als arm. Über diese Beschreibung ist viel gestritten worden und wird es noch. Schließlich hat sie zur Folge, dass Armut dadurch relativ wird: Je wohlhabender eine Gesellschaft ist, desto weiter nach oben rückt auch die definierte Armutsschwelle. Wer hierzulande den Armen zugerechnet wird, wäre in einem ärmeren womöglich untere Mittelschicht.

Zwei Drittel der Betroffenen ohne jeden Notgroschen

Schneider wies diese Kritik zurück. Aus der täglichen Arbeit heraus wisse sein Verband, „dass die 60-Prozent-Schwelle im Alltag der allermeisten betroffenen tatsächlich eine Schwelle der Ausgrenzung markiert, die uns von Armut sprechen lassen muss“. Relative Einkommensarmut gehe mit echten materiellen und sozialen Entbehrungen Hand in Hand: kein Geld für einen Internetanschluss, einen kleinen Urlaub, die Reparatur des Autos oder Waschmaschine, den Besuch einer Sport- oder Kulturveranstaltung. Und in zwei Dritteln dieser Haushalte sei „keinerlei Notgroschen“ vorhanden.

Konkret gilt nach der EU-Definition hierzulande als arm, wer als Alleinlebender ohne Kind auf ein verfügbares Haushalts-Nettoeinkommen von weniger als 1086 Euro kommt. Bei Alleinerziehenden mit einem Kind unter 14 liegt die Schwelle bei 1412 Euro. Bei einem Paar mit einem Kind unter 14 beträgt sie 1955 Euro, bei einem Paar mit zwei solchen Kindern 2281 Euro. Bei Kindern zwischen 14 und 18 ist sie geringfügig höher.

Ein großes Problem: die Mieten

Ob die Menschen auf dem Land oder in der Stadt leben, spielt nach dieser Definition keine Rolle. Schneider räumte aber ein, dass die Mietkosten in den Städten das Armutsrisiko wesentlich beeinflussen. Dem Bericht zufolge leben nur vier Prozent der Bürger mit Wohneigentum unter der Armutsgrenze. Bei denen, die zur Miete wohnen, sind es 29 Prozent.

Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, nannte es "höchst skandalös", dass die soziale Spaltung in einem wohlhabenden Land wie Deutschland immer größer werde. "Auf der einen Seite haben wir ein starkes Wirtschaftswachstum und sinkende Arbeitslosenzahlen, auf der anderen Seite sind fast vierzehn Millionen Menschen, darunter viele Kinder und Ältere, vom Erfolg ausgeschlossen", kritisierte sie. Der Sozialstaat Deutschland versage hier bei Gerechtigkeit, sozialer Sicherung und Teilhabe. "Wenn in unserem Land nicht einmal mehr Arbeit oder Bildung davor schützen, in Armut zu fallen, ist das ein Offenbarungseid", meinte Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch.

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