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EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker.
© picture alliance / dpa

Brexit und Ceta: Jean-Claude Juncker ist der Buhmann

Seit dem Brexit-Votum hagelt es Kritik an Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Kanzlerin Angela Merkel unterstützt ihn - zumindest ein bisschen.

Alle gegen Juncker – diesen Eindruck kann man bekommen, wenn man die derzeitige Debatte über die Zukunft der EU verfolgt. Zu denen, die eine Woche nach dem Brexit-Votum der Briten auch noch anfingen, sich auf den EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker politisch einzuschießen, gehörte Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU). Söder erklärte Juncker in der „Welt“ zu einer Art Galionsfigur einer bürokratischen und technokratischen EU, die viele Briten zum Austritt bewogen habe.

Am vergangenen Wochenende hatte Tschechiens Außenminister Lubomir Zaoralek sogar den Rücktritt Junckers gefordert. Der Luxemburger sei derzeit „nicht der richtige Mann für den Job“, hatte Zaoralek in einer TV-Debatte gesagt. Zur Begründung sagte der Außenminister aus Prag, dass sich Juncker vor der Volksabstimmung in Großbritannien auf der Insel nicht für einen Verbleib des Landes in der EU eingesetzt habe. Dabei verschwieg Zaoralek allerdings, dass ein Auftritt Junckers auf der Insel während der Referendums-Kampagne von den meisten Briten wahrscheinlich als unliebsame Einmischung wahrgenommen worden wäre.

Kritik am Kommissionschefs kommt aus unterschiedlichen Ecken

Die Kritik, die in diesen Tagen an Juncker laut wird, ist vielstimmig und kommt aus unterschiedlichen politischen Ecken. Der Kommissionschef hatte sich zuletzt vor allem deshalb selbst in die Bredouille gebracht, weil er beim EU-Gipfel erklärt hatte, dass die nationalen Parlamente beim geplanten EU-Freihandelsabkommen mit Kanada (Ceta) außen vor bleiben sollten. Der anschließende Aufschrei auf Seiten der SPD und Grünen in Deutschland war besonders laut, aber auch Politiker aus den Reihen der CDU und CSU forderten eine Mitwirkung des Bundestages an der endgültigen Ratifizierung des Handelsabkommens – was nicht zwingend dasselbe bedeuten muss wie ein Vetorecht. In jedem Fall kündigte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bereits an, dass die Bundesregierung den Bundestag in jedem Fall einschalten werde – egal wie der Streit mit Brüssel ausgeht.

Und inzwischen ist auch Juncker selbst zurückgerudert – der Kommissionschef erklärte, dass eine „Behandlung“ des Ceta-Abkommens durch die nationalen Parlamente in Erwägung gezogen werden müsse. Es hat seinen Grund, dass Juncker seinen Rückzieher derart vorsichtig formulierte: Wäre die Vereinbarung mit Kanada, die als Blaupause für das geplante TTIP-Abkommen mit den USA gilt, von der Zustimmung in sämtlichen Parlamenten in der EU abhängig, dann dürfte Ceta politisch tot sein. Denn in Belgien hat beispielsweise das wallonische Regionalparlament bereits den Widerstand gegen Ceta angekündigt.

Trotzdem wirft der jüngste Auftritt Junckers beim EU-Gipfel in Brüssel einige Fragen auf. Dort hatte er die Frage einer Journalistin zu Ceta in harschem Ton zurückgewiesen: „Hören Sie mit dem österreichischen Klamauk auf, so zu tun, als ob ich mich an der österreichischen Demokratie vergreifen würde, ich respektiere sie.“ Will der Chef der Brüsseler Kommission, die im europäischen Institutionengeflecht als Hüterin der EU-Verträge gilt, aus der Defensive herauskommen – oder ist er die Rolle als Buhmann endgültig leid?

EVP-Fraktionschef Weber stärkt Juncker den Rücken

Derweil stärkte der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber, dem Kommissionschef den Rücken. „Ich schätze an Jean-Claude Juncker, dass er es mit seiner reichen europapolitischen Erfahrung derzeit am besten schafft, die verschiedenen Enden zusammenzuhalten“, sagte der CSU-Politiker dem Tagesspiegel. Die Kritik an Juncker gehöre zum „normalen demokratischen Ablauf, in dem unterschiedliche Positionen eingebracht werden“, so Weber. „Am Ende muss aber Juncker in seiner Verantwortung als amtierender Kommissionspräsident politisch entscheiden, und das tut er“, sagte der EVP-Fraktionschef. „Wir brauchen gerade in der gegenwärtigen Lage nach dem Brexit-Votum Menschen in Europa, die integrieren, und nicht Politiker, die noch weiter spalten.“

Mit Blick auf den Streit um die Beteiligung der nationalen Parlamente beim Ceta-Freihandelsabkommen sagte Weber, die EU-Abgeordnetenkammer müsse die Kollegen aus den nationalen Parlamenten einbinden, „bevor das Europäische Parlament am Schluss entscheidet“. Der EVP-Fraktionschef kündigte an: „Wir sind eine selbstbewusste Volksvertretung, die sich im Sinne der Menschen sehr kritisch mit dem Abkommen auseinandersetzen wird.“

Auch in Berlin wollen sie unterdessen Juncker offenbar etwas aus der Schusslinie nehmen. Merkel erinnerte am Donnerstag daran, dass die Einschätzung des Kommissionschefs zur Beteiligung der nationalen Parlamente in Sachen Ceta auf eine Bewertung des juristischen Dienstes der Brüsseler Behörde zurückgehe. Und wenn der Rechtsdienst der Kommission sage, dass Ceta nicht zustimmungspflichtig sei, könne die Behörde nicht einfach sagen, „das interessiert uns nicht, wie die rechtliche Bewertung ist“, sagte die Kanzlerin.

Merkel hält Ceta für ein "hochpolitisches Abkommen"

Allerdings sagte Merkel auch, bei Ceta handele es sich um ein „hochpolitisches Abkommen, das sehr breit diskutiert wird“. Man kann die Äußerung auch so verstehen: Die Einstufung von Ceta als reines EU-Abkommen, wie sie Juncker zunächst vorgenommen hatte, kommt in den Augen der Bürger nicht gerade gut an.

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