Ukrainischer Ministerpräsident tritt zurück: Jazenjuk hat den Weg ins Ungewisse freigemacht
Der ukrainische Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk hat nach monatelangen Querelen seinen Rücktritt erklärt. Er hinterlässt verschleppte Reformen und Chaos.
Was in der Ukraine seit Wochen erwartet worden war, ist am Sonntag eingetreten: Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk tritt zurück und macht den Weg frei für Wladimir Groismann, einen Vertrauten Präsident Petro Poroschenkos.
Jazenjuk ließ am Sonntagnachmittag über sein Büro eine TV-Ansprache verbreiten, in der der Regierungschef seinen Rücktritt ankündigt, die von ihm geführte Partei „Narodni Front“ werde aber in der Regierung bleiben. Am Dienstag soll das Parlament seinen Nachfolger, den 38-Jährigen Groismann wählen, der derzeit Parlamentspräsident ist.
Spätestens nach der massiven, öffentlichen Kritik durch den US-Vizepräsidenten Joe Biden, der im vergangenen Dezember während seines Ukraine-Besuchs deutlich zu erkennen hab, dass die USA einen politischen Neustart in Kiew wollen, stand Jazenjuk unter Dauerdruck. Mitte Februar scheiterte ein Misstrauensvotum gegen den Bankexperten, der nach der Maidan-Revolution ins Amt gekommen war.
Anders als versprochen, gelang es Jazenjuk nicht, die im Land weit verbreitete Korruption zu bekämpfen. Noch schlimmer sieht die Wirtschaftsbilanz seiner Regierung aus. In den vergangenen zwei Jahren hat die Landeswährung fast 80 Prozent ihres Wertes verloren, breite Schichten verarmen. Jazenjuk hatte bei seiner Antrittsrede vor mehr als zwei Jahren, der Ukraine einen „Kamikaze-Kurs“ in Sachen Wirtschaftsreformen angekündigt. Doch die neoliberalen Rezepte verpufften ohne Wirkung, nahmen die Menschen nicht mit. Zuletzt lagen die Umfragewerte Jazenjuks bei 0,6 Prozent. In der Parlamentsfraktion gab es immer wieder Korruptions-Vorwürfe gegen hochrangige Politiker. Gegen einen von Jazenjuks Hauptfinanziers, Nikolai Martinenko, ermittelt die Schweiz. Der Energieunternehmer soll über eine Züricher Privatbank Schmiergelder von mehreren hundert Millionen Euro gewaschen haben. 30 Millionen Franken wurden zwar gesperrt. Bis heute aber haben die ukrainischen Behörden kein Strafverfahren gegen Martinenko eröffnet.
Es gab offensichtlich einen Deal
Um den drohenden Machtverlust und vor allem Neuwahlen abzuwenden, haben sich die beiden größten politischen Parteien im Parlament, Jazenjuks „Narodni Front“ und die Präsidentenpartei „Block Poroschenko“ nun offenbar auf einen Deal geeinigt. Zusammen will man am Dienstag erst für den Rücktritt Jazenjuks stimmen und dann Groismann zum neuen Regierungschef wählen. Erforderlich dafür sind 226 Stimmen, nach Medienberichten soll es 230 folgsame Abgeordnete geben.
Die angesehene Wochenzeitung „Zerkalo Nedeli“ hatte am Samstag bereits eine Art Regierungsprogramm von Wladimir Groismann veröffentlicht. Der umfangreiche Text, der mit Groismanns Namen als Autor gekenntzeichnet ist, beginnt mit dem Hinweis, dass „ein erfolgreicher Anführer stets die Meinung der Menschen kennen muss, um zukunftsgewandt zu handeln“. Anstatt den Ukrainern einen schnellen Beitritt in die EU zu versprechen, stimmt Groismann seine Landsleute auf einen „Anti-Krisen-Aktionsplan“ ein, mit dem das Land wirtschaftlich wieder auf die Beine kommen soll. In fünf Punkten zählt Groismann die Prioritäten des Landes auf: Zum einen müsse die Bürokratie abgebaut und moderne Strukturen aufgebaut werden. Das Land soll weltweit um Investoren werben, dabei sollen auch Nachbarn aus der Schwarzmeer-Region mehr Hinwendung erfahren, gemeint ist damit vor allem die Türkei. Die Ukraine benötigt einen Masterplan zur Erneuerung der Infrastruktur und zur Bekämpfung der Korruption.
Abzuwarten ist nun die Parlamentssitzung am Dienstag. Es gilt als sicher, dass Groismann gewählt wird. Eine Reihe von Reformkräften werden das Ministerkabinett offenbar verlassen, darunter Finanzministerin Natalia Jaresko und Infrastrukturminister Andreij Piwowarski. Jareskos Nachfolger der frühere Vize-Ministerpräsident der Slowakei, Ivan Miklos, werden. Der 55-Jährige und Wirtschaftsliberale gilt als enger Freund von Präsident Petro Poroschenko und war als Berater für Ministerin Jaresko tätig.