Grünen-Europaabgeordneter Sven Giegold: "Jamaika ist eine risikoreiche Chance"
Der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold fordert "kreative Lösungen" für ein Jamaika-Bündnis und spricht über Steuern, Verhandlungen in der Bannmeile - und sein Nachdenken über den Parteivorsitz.
Herr Giegold, ist eine Jamaika-Regierung für die Grünen Chance oder Risiko?
Jamaika ist eine risikoreiche Chance. Es ist eine Chance, weil wir Inhalte umsetzen können, für die wir gewählt wurden. Ich sehe aber das Risiko, dass die Verhandlungen nicht zum Abschluss kommen, weil die politischen Unterschiede so groß sind. Wenn Jamaika funktionieren soll, brauchen wir kreative Lösungen, in denen sich die Partner wiederfinden und die das Land tatsächlich voranbringen.
Was muss in einem Koalitionsvertrag stehen, damit Sie zustimmen können?
Erstens braucht es ernsthaften ökologischen Wandel. Es geht nicht nur um Klimaschutz und Kohleausstieg, sondern auch um eine Agrarwende und nachhaltige Mobilität. Zweitens muss Deutschland wieder für ein stärkeres und solidarischeres Europa eintreten. Und drittens muss Jamaika die Ungleichheit in Deutschland verkleinern. Wenn Union und FDP tatsächlich etwas für die kleinen Leute und den Mittelstand tun wollen, können wir zusammenkommen.
Die FDP macht die Abschaffung des Solidaritätszuschlags zur Bedingung für eine Koalition. Machen Sie da mit?
Der Solidaritätszuschlag steht nicht unter Naturschutz. Aber er ist eine der progressivsten Steuern überhaupt. Von der Abschaffung profitieren insbesondere Bezieher hoher Einkommen. Wenn die Ungleichheit nicht weiter steigen soll, braucht es an anderer Stelle Mehrausgaben oder Entlastungen für Geringverdiener und den Mittelstand. Gleichzeitig will die FDP ebenso wie wir in Bildung, digitale Infrastruktur und Klimaschutz investieren. Dafür ist nur Geld da, wenn wir an anderer Stelle gerechte Steuern stärken oder schädliche Subventionen streichen.
Wie groß sind denn die Differenzen zur FDP in der Europapolitik?
Die FDP hat grundsätzlich eine proeuropäische Ausrichtung, ebenso wie alle anderen Parteien im Bundestag mit Ausnahme der AfD. Auf der Basis kann man gut verhandeln. Wenn es um die europäische Finanzpolitik geht, hat die FDP weitgehend andere Vorstellungen als wir Grünen. Andererseits gibt es auch da womöglich Anknüpfungspunkte. Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner schließt etwa ein separates Eurozonen-Budget aus, wie es Frankreichs Präsident Macron gefordert hat. Ein solches Budget wollen auch wir nicht. Wir wollen innerhalb des EU-Haushalts einen europäischen Investitionshaushalt, finanziert durch die Bekämpfung von Steuerdumping innerhalb der Europäischen Union. Wenn die FDP ihr Bekenntnis zu Investitionen und fairem Wettbewerb ernst nimmt, müsste sie dazu Ja sagen können.
Die ersten Sondierungen finden in der Parlamentarischen Gesellschaft gegenüber dem Bundestag statt. Der richtige Ort?
Es ist kein gutes Signal, wenn die Jamaika-Verhandler sich in Hinterzimmern verschanzen. Der Zuspruch zur AfD ist auch Ausdruck von Unzufriedenheit darüber, wie Politik in Deutschland gemacht wird. Die Bürger wünschen sich mehr Transparenz. Ich fände es sinnvoll, die Gespräche nicht nur in der Parlamentarischen Gesellschaft stattfinden zu lassen, sondern in Sicht- und Hörweite von Orten, wo auch demonstriert werden kann. Natürlich muss man es akzeptieren, dass die Kanzlerin zu ersten Gesprächen dorthin eingeladen hat. Aber als Grüne sollten wir darauf bestehen, dass die weiteren Verhandlungen nicht mehr in der Bannmeile stattfinden.
Nach den Jamaika-Verhandlungen wählen die Grünen ihre Parteivorsitzenden neu. Ein Kandidat, der immer wieder genannt wird, ist der Schleswig-Holsteiner Robert Habeck. Würden Sie ihn unterstützen?
Sollte er kandidieren, würde ich ihn unterstützen. Ich schätze ihn sehr.
Und wenn er nicht kandidiert: Stünden Sie dann als Parteichef zur Verfügung?
Mich haben verschiedene Leute in der Partei angesprochen, das freut mich. Ich denke über eine Kandidatur nach, aber ich bin noch nicht entschieden. Ob ich mich als Parteivorsitzender bewerbe, hängt auch davon ab, was es dann zu vertreten gilt. Nicht jedes Jamaika-Ergebnis fände ich persönlich gut. Natürlich versuche ich, mich in den nächsten Wochen so gut es geht einzubringen. Und dann sehen wir, was dabei herauskommt. Alles zu seiner Zeit.