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Zoran Zaev, Anführer der Sozialdemokraten, wurde massiv verprügelt.
© AFP
Update

Mazedonien: Jagdszenen im Parlament

Der Kampf um Macht und Identität eskaliert in Mazedonien zu einer brutalen Prügelei. Im Land geht die Angst vor einem Bürgerkrieg um.

Die Szenen roher Gewalt, die sich am Donnerstagabend im mazedonischen Parlament abspielten, sind in Europa einzigartig. In der mazedonischen Hauptstadt Skopje erstürmen Hunderte den Versammlungssaal, manche von ihnen waren maskiert. Sie schwenkten die Nationalflagge und entfesselten wilde Faustkämpfe. Die Eindringlinge protestierten gegen die Wahl des albanischen Politikers Talat Xhaferi zum Parlamentspräsidenten. Mehr als 100 Menschen erlitten Verletzungen. Übel zugerichtet wurde dabei auch der Führer der Sozialdemokraten, Zoran Zaevs. Sein Kopf blutete bereits, als ein maskierter Angreifer ihm noch einen Gegenstand über den Schädel zog.

Martialischer Auftritt der Nationalisten.
Martialischer Auftritt der Nationalisten.
© AFP

Es war eine Frage der Zeit, wann der seit Wochen tobende Machtkampf der führenden mazedonischen Parteien eskalieren würde. Der Sturm auf das Parlament zeigte nun, dass die verbreitete Furcht vor bürgerkriegsähnlichen Zuständen nicht aus der Luft gegriffen ist. „Ich rufe die Öffentlichkeit auf, ruhig zu bleiben, und sich nicht von falschen Nachrichten und Manipulationen beeinflussen zu lassen“, sagte Staatspräsident Gjorge Ivanov am späten Donnerstagabend im mazedonischen Fernsehen. Er forderte von seinen Bürgern „Ruhe und ordentliches Verhalten“ und bestellte für den Freitag die Führer der politischen Parteien in seinen Amtssitz ein.

Dabei trägt er selbst maßgeblich Verantwortung für die gefährliche Zuspitzung der Situation: Seit Anfang März weigert er sich, der parlamentarischen Mehrheit von Sozialdemokraten und drei Albaner-Parteien das Mandat für eine Regierungsbildung zu erteilen. Als Grund dafür nennt er die sogenannte „Albanische Plattform“, eine von den albanischen Parteien getroffene programmatische Vereinbarung als Grundlage für ihre Koalitionsbeteiligung. Die sieht das Albanische als zweite offizielle Landessprache vor.

Staatliche Symbole wie Wappen, Flagge und Hymne sollen verändert werden, damit sich die Albaner, ein Viertel der Bevölkerung, stärker mit ihnen identifizieren können. „Tirana-Plattform“ nennt Ivanov das Koalitionsprogramm der Albaner. An seiner Abfassung soll Albaniens Ministerpräsident Edi Rama mitgewirkt haben. Es sei also ein Dokument der Einmischung eines fremden Staates in die inneren Angelegenheiten Mazedoniens, so der Präsident.

Anhänger des langjährigen Regierungschef Gruevski haben am 27.04.2017 in Skopje (Mazedonien) das Parlament erstürmt.
Anhänger des langjährigen Regierungschef Gruevski haben am 27.04.2017 in Skopje (Mazedonien) das Parlament erstürmt.
© dpa

Ihre Umsetzung gefährde die Einheit des Landes und könne zu seiner Föderalisierung führen. Dies fürchten auch Tausende slawischer Mazedonier, die seit Wochen allabendlich „Für ein einiges Mazedonien!“ demonstrieren. Mit ihrem Sturm auf das Parlament haben deren radikalste Vertreter den Streit nun auf eine neue Eskalationsstufe gehoben.

Zoran Zaevs Sozialdemokraten bezweifeln die Begründung des Präsidenten für seine Weigerung, ihnen den Regierungsauftrag zu erteilen. Sie glauben, dass er, der der rechtsnationalen Partei VMRO-DPMNE nahesteht, nur den Ex- Ministerpräsidenten Nikola Gruevski vor Strafverfolgung schützen wolle. Seit 2006 hatte Gruevski das Land regiert. Dann musste er zurücktreten. Es war herausgekommen, dass seine Regierung politische Gegner massenweise abgehört hatte. Nun ermittelt eine Sonderstaatsanwaltschaft gegen ihn wegen des Verdachts des Machtmissbrauchs und der Korruption.

Der frühere Regierungschef Gruevski schiebt seinem Kontrahenten Zaev die Schuld für die aktuellen Vorkommnisse zu. Die Art, wie die Sozialdemokraten den Parlamentspräsidenten durchgesetzt hätten, sei „ungesetzlich, verfassungsfeindlich und entgegen den Regeln des Parlaments“, kommentierte Gruevski aus Wien, wo er zu Gesprächen weilte. Die Sozialdemokraten hätten große Schande über Mazedonien gebracht und die internationale Öffentlichkeit verachte nun das Balkanland. Die verfassungsmäßige Ordnung des Staates sei unterminiert.

Polizisten versuchen vergeblich die Menge zurückzuhalten.
Polizisten versuchen vergeblich die Menge zurückzuhalten.
© AFP

Allerdings hat sich die internationale Öffentlichkeit – mit Ausnahme Russlands – in dem Streit um die Regierungsbildung eindeutig auf die Seite Zaevs und seiner albanischen Koalitionäre gestellt. In den vergangenen Wochen waren die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini, Erweiterungskommissar Johannes Hahn und der Präsident des Europäischen Rats Donald Tusk in Skopje, um Präsident Ivanov zu überreden, einen friedlichen Machttransfer von den Konservativen zu den Sozialdemokraten und ihren albanischen Koalitionspartnern zu ermöglichen. Ivanov blieb bei seiner Weigerung. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel sagte am Rande eines EU-Treffens auf Malta: „Das, was gestern Abend die bisherige Regierungspartei gemacht hat und ihre Anhänger, das ist nicht nur untragbar, das ist gleichbedeutend mit dem Zuschlagen der Tür zur Europäischen Union, wenn das so weiter geht.“

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