EU-Sondergipfel: Italienerin Mogherini Favoritin für Amt der EU-Außenbeauftragten
Beim EU-Gipfel am Samstag soll über die zwei Spitzenposten der EU-Außenbeauftragten und des europäischen Ratschefs entschieden werden – dabei müssen die Staats- und Regierungschefs zahlreiche Ansprüche berücksichtigen.
Die Aufgabe, welche die Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfeltreffen an diesem Samstag zu bewältigen haben, gleicht dem Geduldspiel mit dem Zauberwürfel: Immer dann, wenn man glaubt, eine Lösung gefunden zu haben, tut sich an einer anderen Stelle ein Problem auf. Die Staats- und Regierungschefs wollen in Brüssel die Nachfolge für die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton und den europäischen Ratschef Herman Van Rompuy regeln.
Das Personalkarussell ist in Gang gekommen, weil nach der Europawahl im Mai auch die alte EU-Kommission von José Manuel Barroso Ende Oktober aus dem Amt scheidet. Zudem gibt der Belgier Van Rompuy, der unter anderem für die Vorbereitung der EU-Gipfel verantwortlich ist, Ende November seinen Posten als Ratschef ab. Die Aufgabe der Neubesetzung, die sich zunächst einfach anhört, ist allerdings kompliziert. Denn bei der Vergabe der europäischen Spitzenposten müssen zahlreiche Punkte bedacht werden: eine gleichmäßige Berücksichtigung der Staaten im Westen und im Osten der EU, der Parteienproporz und nicht zuletzt eine angemessene Vertretung von Frauen in den Top-Ämtern. Erschwert wird diese knifflige Aufgabe obendrein, weil sich der Brüsseler Gipfel nicht allein auf die Personalfragen konzentrieren kann – die Ukraine-Krise steht ebenfalls auf der Tagesordnung.
Als Favoritin für die Nachfolge der Britin Catherine Ashton im Amt der EU-Außenbeauftragten gilt die italienische Außenministerin Federica Mogherini. Zuletzt hatten die Staatenlenker Mitte Juli erfolglos versucht, eine einvernehmliche Lösung für die Ashton-Nachfolge zu finden. Italiens Regierungschef Matteo Renzi hatte aus dem starken Abschneiden seines sozialdemokratischen Partito Democratico bei der Europawahl im Mai den Anspruch abgeleitet, ein gewichtiges Wort bei der Postenvergabe in Europa mitzureden. Noch im Juli wurden in Brüssel zahlreiche Einwände gegen die als außenpolitisch unerfahren und als zu russlandfreundlich geltende Mogherini vorgebracht.
Italiens Regierungschef Renzi beharrt auf den Top-Posten
Inzwischen hat sich das Blatt offenbar gewendet: Die europapolitischen Ambitionen Renzis sind seit Juli nicht geringer geworden, dafür aber der Widerstand gegen Mogherini. Aus diplomatischen Kreisen heißt es, dass der designierte Kommissionschef Jean-Claude Juncker mit Mogherini auch die Chance auf eine Verjüngung der Kommission sehe.
Käme die Italienerin als neue EU-Außenbeauftragte zum Zuge, hätte das bei der Lösung der europäischen Zauberwürfel-Aufgabe zwei Vorteile: Dem Geschlechterproporz wäre Genüge getan, und auch die Sozialdemokraten hätten nach den Christdemokraten Zugriff auf ein europäisches Spitzenamt. Zur Erinnerung: In der Frage der Barroso-Nachfolge hatten sich die Staats- und Regierungschefs nach einigem Hin und Her mehrheitlich auf den Christsozialen Juncker verständigt, der zuvor als Spitzenkandidat für die – siegreiche – konservative Parteienfamilie bei der Europawahl ins Rennen gegangen war.
Da aber sowohl der Luxemburger Juncker als auch Mogherini aus den „alten“ EU-Gründungsstaaten kommen, stellt sich zwangsläufig die Frage, welches Spitzenamt die Osteuropäer für sich beanspruchen können. Vor diesem Hintergrund wird in Brüssel Polens Regierungschef Donald Tusk als aussichtsreicher Kandidat für den Posten des EU-Ratschefs gehandelt. Auch der frühere lettische Ministerpräsident Valdis Dombrovskis ist für den Posten im Gespräch.
Aus der Sicht von Europas Sozialdemokraten hätte eine Nominierung von Tusk oder Dombrovskis aber den Nachteil, das beide aus dem Lager der Konservativen kommen. Schon frühzeitig hatten die Sozialdemokraten die dänische Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt für die Nachfolge des Belgiers Van Rompuy ins Gespräch gebracht – wohl wissend, dass Thorning-Schmidt wegen ihrer liberalen Ansichten eigentlich gar nicht so recht zur Parteilinie vieler Sozialisten in der EU passt.
Hollande versammelt europäische Sozialdemokraten in Paris
Welche personalpolitischen Ansprüche Europas Sozialdemokraten am Ende stellen werden, dürfte sich zu einem guten Teil bereits an diesem Samstagvormittag im Pariser Elysée-Palast klären. Bevor sich am Nachmittag in Brüssel die Staats- und Regierungschefs aller parteipolitischen Schattierungen versammeln, hat Frankreichs sozialistischer Präsident François Hollande unter anderem SPD-Chef Sigmar Gabriel, den EU-Parlamentschef Martin Schulz (SPD), Italiens Premier Renzi sowie dessen österreichischen Amtskollegen Werner Faymann zu einem informellen Treffen eingeladen. Auch Helle Thorning-Schmidt aus Dänemark wird erwartet.
Die Entscheidung über die Ressorts der Kommissare liegt bei Juncker
Bei der Begegnung dürfte deutlich werden, was Hollande, Renzi und Co. wichtiger ist: die Besetzung möglichst vieler EU-Spitzenposten oder eine neue Orientierung der europäischen Krisenpolitik hin zu verstärkten Wachstumsimpulsen. Eine solche Neujustierung hatte Hollande wiederholt verlangt. Zuletzt forderte er beim jährlichen Treffen der französischen Botschafter in Paris am Donnerstag ein baldiges Gipfeltreffen der Euro-Zone. Hollande verlangte, dass ein europäisches Konjunkturprogramm aus öffentlichen und privaten Investitionen in Höhe von 300 Milliarden Euro möglichst rasch umgesetzt werden solle. Juncker hatte für die kommenden drei Jahre ein solches Investitionsprogramm vorgeschlagen.
Ob nun groß angelegte staatliche Investitionen oder eher eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit die Wachstumsschwäche in der Euro-Zone beheben können – genau das ist auch eine Streitfrage, die derzeit die Gemüter in Berlin und Paris bewegt. Sowohl in der Bundesregierung als auch im Elysée-Palast setzt man darauf, dass Günther Oettinger und Pierre Moscovici, die beiden Kandidaten für die künftige Kommission aus Berlin und Paris, ein wichtiges Wirtschaftsressort erhalten. Aber die Entscheidung in diesem Punkt fällt erst nach dem EU-Sondertreffen vom Samstag. Sie liegt bei Jean-Claude Juncker.