Streit mit Brüssel: Italiener mehrheitlich für Schuldenpolitik ihrer Regierung
59 Prozent der Italiener unterstützen die Haushaltspläne der Regierung. Für die Populisten ist die Eskalation mit Brüssel ein erfolgreiches politisches Kalkül.
Das sind offene Worte: „Die italienische Regierung ist sich bewusst, dass ihre Haushaltpolitik nicht vereinbar ist mit den Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspaktes der EU“, schreibt Italiens parteiloser Finanzminister Giovanni Tria in dem Brief, der gestern in Brüssel eingetroffen ist. Die Entscheidung, an der geplanten Neuverschuldung von 2,4 Prozent des BIP festzuhalten, sei schwierig gewesen – aber auch „notwendig“, um Italien wirtschaftlich wieder auf das Niveau zu bringen, das es vor der Krise erreicht hatte. Außerdem müsse die „dramatische wirtschaftliche Situation“ der am meisten benachteiligten Bevölkerungsteile verbessert werden.
In seinem Brief versichert Tria der EU-Kommission, dass die von der Regierung angepeilten Haushaltsziele – insbesondere das Defizit von 2,4 Prozent – nicht überschritten würden. „Sollten sich das Defizit oder die Staatsschuld nicht gemäß unseren Prognosen entwickeln, verpflichtet sich die Regierung, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, damit die geplanten Ziele eingehalten werden“, verspricht der Finanzminister. Die aktuellen Haushaltspläne stellten kein Risiko für Italien und andere Länder in der EU dar. Ministerpräsident Giuseppe Conte erklärte vor der Auslandpresse in Rom, dass seine Regierung mit der EU-Kommission einen „konstruktiven Dialog“ suche. Einen Austritt aus der EU oder aus dem Euro schloss der Premier erneut aus.
Dass sich die EU-Kommission mit den Beschwichtigungen Trias und Contes zufriedengeben wird, ist wenig wahrscheinlich. Am vergangenen Freitag hatte EU-Finanzkommissar Pierre Moscovici Italiens geplante Neuverschuldung bereits als „beispiellos in der Geschichte des Stabilitäts- und Wachstumspaktes“ und als „besonders schweren Verstoß gegen die EU-Regeln“ bezeichnet. Kritisch beurteilt hat Brüssel insbesondere die zu optimistischen Annahmen der italienischen Regierung bezüglich des künftigen Wirtschaftswachstums. Ihre offizielle Stellungnahme wird die EU-Kommission am heutigen Dienstag formulieren.
Martialische Rhetorik
Die Anführer der beiden Regierungsparteien, Luigi Di Maio von der Fünf-Sterne-Protestbewegung und Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Lega, werden sich davon kaum beeindrucken lassen. „Die Blut-und-Tränen-Sparpakete, die bisher per Fax aus Brüssel nach Rom geschickt und mit denen die Italiener massakriert wurden, funktionieren mit uns nicht“, sagte der Innenminister und Vizepremier. Auch in dem nun drohenden Defizitverfahren werde Italien „keinen Millimeter zurückweichen“. Unter der neuen „Regierung des Wandels“ werde der italienische Haushalt wieder in Rom geschrieben, nicht in Brüssel.
Die Populisten am Regierungstisch kalkulieren eine Eskalation im Verhältnis mit Brüssel bewusst ein – denn sie können angesichts der europaskeptischen Stimmung im Land von der Konfrontation nur profitieren. Kommt die Regierung in Brüssel mit ihrer Schuldenwirtschaft durch, kann sie sich als Heldin aufspielen, die das „Joch der EU-Technokraten“ endlich abgeworfen hat. Eröffnet die EU gegen Rom dagegen ein Defizitverfahren – es droht eine Geldstrafe von bis zu 0,2 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung und damit in Höhe von bis zu 3,4 Milliarden Euro –, können sie sich als Märtyrer gebärden. Vizepremier und Arbeitsminister Di Maio spielt das „David gegen Goliath“-Spiel: „Die europäischen Medien und das europäische System haben entschieden, dass wir stürzen sollen. Aber je mehr sie gegen uns sind, desto mehr halten wir zusammen“, erklärte Di Maio.
Die Mehrheit der Italiener steht dabei hinter der Regierung. Denn die Maßnahmen, die mit der Aufnahme von neuen Schulden finanziert werden sollen, sind populär. 59 Prozent der Italiener befürworten laut einer am Sonntag veröffentlichten Umfrage die Haushaltspläne. Das positive Urteil vermag nicht zu erstaunen. Vorgesehen ist eine Senkung des Rentenalters um bis zu sieben Jahre und ein Bürgereinkommen von 780 Euro für die Armen. Die geplante Steueramnestie dürfte ebenfalls viele freuen. Dass die Schulden irgendwann zurückbezahlt werden müssen, wird zumindest von denjenigen Italienern, die bei den Parlamentswahlen die Regierungsparteien gewählt hatten, gerne ausgeblendet.
Angesichts der bereits jetzt markant gestiegenen Zinsen für die Staatsanleihen wird es freilich auch immer mehr Italienern mulmig. „Die fahren uns an die Wand", erklärte am Wochenende Ex-Premier Matteo Renzi. Die Ratingagentur Moody’s hat die Kreditwürdigkeit Italiens am Freitag heruntergestuft – die Bonität befindet sich jetzt gerade noch knapp über Ramschniveau. Dass Italien tatsächlich in die Zahlungsunfähigkeit schlittern und zur Lira zurückkehren könnte, glaubt nur eine Minderheit. Laut dem in der vergangenen Woche vom EU-Parlament veröffentlichten „Eurobarometer“ wollen 65 Prozent der Italiener den Euro behalten.